Karl Marx und die Roboter – Ist der Kapitalismus bald überwunden, weil Maschinen für uns arbeiten? Pustekuchen! Die Digitalisierung bringt nicht weniger Arbeit, sondern miesere Jobs

Karl Marx„Die Digitalisierung bringe nicht weniger als einer Zeitenwende, heißt es. (…) Lebendige Arbeit sei im Begriff zu verschwinden, so eine These, der Mensch werde ersetzbar. Die über Plattformen vermittelte Arbeit – sei es im Bereich der On-demand-Dienstleistungen wie dem Taxidienst Uber oder im Crowdworking – bedeutet bereits heutzutage eine neue Art der Ausbeutung. Andere sehen in der Digitalisierung Wachstumspotentiale und Standortvorteile, und es gibt Linke, die meinen, dass sich sogar neue Möglichkeiten zur Überwindung des Kapitalismus eröffnen. Prominent vertritt diese Position der englische Journalist und Ökonom Paul Mason in seinem vieldiskutierten Buch »Postkapitalismus«. (…) Solche Ansätze, egal ob sie von links oder von rechts kommen, fetischisieren und verklären die Rolle der Technik – so argumentiert der jüngst im Berliner Dietz-Verlag erschienene Sammelband »Marx und die Roboter«, herausgegeben von Florian Butollo und Sabine Nuss. Die 17 Beiträge in dem Band erheben den Anspruch, nicht nur die »technisch-stoffliche« Seite der Digitalisierung – künstliche Intelligenz, Algorithmen, computerbasierte Überwachung et cetera – in den Blick zu nehmen, sondern auch die »sozioökonomische« beziehungsweise »materiell-gesellschaftliche« Seite der derzeitigen Veränderungen, so Elena Louisa Lange in ihrem Beitrag. Die Autorinnen und Autoren beziehen sich auf Karl Marx. (…) Das Buch von Butollo und Nuss ist spannend und Marx’sche Begriffe wie Profit, Mehrwert, Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse werden auch meist gut eingeführt. Aber wie heutzutage Klassenkämpfe geführt werden könnten, welche Organisationsformen dafür sinnvoll wären und wie sich Widerstand von unten gestalten könnte – davon erfährt man im Buch leider nichts. Mit der Orientierung am Ökonomen Marx macht der Band deutlich, dass eine neue Technologie an sich noch zu keiner Revolution führt. Entscheidend für das Verständnis von Klassenkämpfen bleibt die Analyse des Zusammenspiels von ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Interessant wäre insofern auch ein Bezug auf die Jornalistischen Politischen Arbeiten Marx’ gewesen, die sich immer in die gesellschaftlichen Konflikte einmischten.“ Rezension von Christopher Wimmer vom 15. August 2019 aus Jungle World 2019/33 externer Link – das Buch „Marx und die Roboter: Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit (Analyse)“ erschien Juli 2019 im Dietz Verlag zum Preis von 20 Euro (352 Seiten). Siehe weitere Rezension und nun die Einleitung zum Buch:

  • Gegen den Fetisch der Digitalisierung New
    „… Als der tschechische Schriftsteller Karel Čapek Anfang des 20. Jahrhunderts das utopische Drama Werstands Universal Robots (im Original Rossumovi Univerzální Roboti) verfasste, konnte er nicht ahnen, welchen Siegeszug Roboter tatsächlich nehmen würden. Sein Stück erzählt von einem Unternehmen, das künstlich geschaffene Menschen verkauft. Massenweise werden diese Roboter als billige Arbeiter in der Industrie eingesetzt, bis sie die gesamte Weltwirtschaft verändern. Am Ende rebellieren die Kunstmenschen und vernichten die Menschheit. Das Stück gilt als Ursprung des Begriffs „Roboter“; in den Folgejahrzehnten wurde die Utopie eines „künstlichen Menschen“ in Form einer Maschine schrittweise Realität. Auch wenn der Mensch mitnichten aus der Fabrik hinausgeworfen wurde und moderne Industrieanlagen kaum jenen humanoiden Robotern ähneln, die Čapek vorschwebten, so hat die Automatisierung die Arbeitswelt entschieden geprägt – von den hochautomatisierten Prozessen in der Automobilproduktion, über den Ersatz von Tätigkeiten durch Software bis hin zu sogenannten Chatbots, textbasierten Dialogsystemen, die telefonische Servicehotlines ersetzen oder ergänzen. Die Wortschöpfung „Industrie 4.0“ suggeriert nun einen weiteren technologischen Schub, da neue, leistungsfähigere Generationen von automatisierten Systemen mit Umgebungssensibilität (Sensorik) und Lernvermögen (Künstliche Intelligenz) ausgestattet und über das sogenannte Internet der Dinge vernetzt werden können. (…) Die theoretisch denkbaren Potenziale neuer Technologien stoßen an die sozialen Grenzen von Produktionsverhältnissen, in die der Zwang zu ständigem Wachstum eingeschrieben ist. Die Tendenz des Kapitals, durch Einsparung lebendiger Arbeit Kosten zu senken, steht im Widerspruch dazu, dass die Ausbeutung lebendiger Arbeit die einzige Quelle für die Verwertung des Kapitals darstellt. Dies äußert sich auch in der Fixierung auf Technikanwendungen, mit denen durch eine Kombination von Nutzerdatenanalyse und flexibler Anpassung der Herstellungsprozesse Marktanteile erobert werden sollen. Solche Anwendungen können Unternehmen zwar Konkurrenzvorteile bieten, aber das Marktvolumen nimmt dadurch insgesamt nicht zu. Die Hoffnung auf ein technologieinduziertes Wachstum bleibt somit ein „falsches Versprechen“ und die Möglichkeiten, diejenigen Technologien weiterzuentwickeln, die tatsächlich den gesellschaftlichen Nutzen vergrößern könnten, bleiben trotz des Hypes um „Industrie 4.0″ und Künstlicher Intelligenz (KI) beschränkt.“ Überarbeitete Einleitung von Sabine Nuss und Florian Butollo vom 17. Oktober 2019 bei Telepolis externer Link aus dem Sammelband „Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=153210
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