[Buch] Die große Rentenlüge. Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist

[Buch] Die große Rentenlüge. Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich istEine gute Rente für alle ist machbar – gerecht und bezahlbar! Rund die Hälfte der heute Erwerbstätigen ist im Alter akut von Altersarmut bedroht. Das ist die unmittelbare Folge eines politisch gewollten Zerstörungsprozesses, sagen die Bestseller-Autoren Holger Balodis und Dagmar Hühne. In ihrem neuen Buch „Die große Rentenlüge“ fordern sie einen radikalen Kurswechsel in der Altersversorgung und deutlich mehr Geld für alle Rentner. Und sie zeigen auch, wie es geht: Weg mit der Riester-Rente und dem Popanz des Drei-Säulen-Modells. Statt die Finanzwirtschaft zu subventionieren, muss sich Altersvorsorge auf den Kern konzentrieren: die gesetzliche Rente. Die ist sicher, krisenfest und preiswert. Und sie kann deutlich höher ausfallen, wenn endlich alle einzahlen – auch Politiker, Beamte und Topmanager.“ Verlags-Info zum Buch von Holger Balodis und Dagmar Hühne (208 Seiten, ISBN 978-3-86489-177-9, 18,00 €) im Westend Verlag. Siehe zum Buch weitere Infos und eine Leseprobe: Kapitel 5 „Das Märchen von den guten Betriebsrenten“:

  • So geht Rente – ein Masterplan New
    express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitRund die Hälfte der heute Arbeitenden ist im Alter akut von Altersarmut bedroht. Das ist die unmittelbare Folge eines politisch gewollten Zerstörungsprozesses, sagen Holger Balodis und Dagmar Hühne. In ihrem Buch »Die große Rentenlüge. Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist« (Westend-Verlag, Frankfurt a.M. 2017) fordern sie einen radikalen Kurswechsel in der Altersversorgung und deutlich mehr Geld für alle RentnerInnen. Und sie zeigen auch, wie es geht: weg mit der Riester-Rente und dem Popanz des Drei-Säulen-Modells. Statt die Finanzwirtschaft zu subventionieren, muss sich Altersvorsorge auf den Kern konzentrieren: die gesetzliche Rente. Diese könne deutlich höher ausfallen, wenn endlich alle einzahlen – auch PolitikerInnen, Beamte und Topmanagerinnen. Die express-Redaktion hat die Veranstaltung »Altersarmut – Kein Problem?« mit den AutorInnen am 16. November in Frankfurt unterstützt. Für diejenigen, die nicht dabei sein konnten, dokumentieren wir im Nachgang hier ein für den express gekürztes und überarbeitetes Kapitel aus dem Buch…“ Artikel von Holger Balodis und Dagmar Hühne , erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 11/2018
  • Inhaltsverzeichnis und die Einleitung „Mut zu mehr Rente!“ sowie Kapitel 1 „Das Schröder-Riester-Rentendesaster“ als Leseprobe beim Verlag externer Link

Kapitel 5
Das Märchen von den guten Betriebsrenten

Eine wichtige Maßnahme der Schröder’schen Rentenpolitik wird bis heute in ihrer Bedeutung noch oft unterschätzt: Die Wandlung der Betriebsrente von einer Leistung des Arbeitgebers zu einem privaten Lebensversicherungsangebot, das der Arbeitnehmer ganz überwiegend allein finanziert. Diese neue »Betriebsrente« nutzt neben den Versicherungen vor allem den Arbeitgebern. 2001 wurde nämlich nicht nur die Riester-Rente beschlossen, sondern auch das Recht der Arbeitnehmer auf die sogenannte »Entgeltumwandlung«. Diese direkte Einzahlung (»Umwandlung«) von Teilen des Bruttolohns zum Beispiel in eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung gab es schon vorher, doch seitdem ein gesetzlicher Anspruch hierauf eingeführt wurde, verabschieden sich die Arbeitgeber immer mehr von den klassischen arbeitgeberfinanzierten Betriebsrenten. Die Entgeltumwandlung wurde quasi das neue Leitbild in Sachen Betriebsrente. »Das darf man eigentlich gar nicht Betriebsrente nennen«, erklärte der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge auf der Kölner Rentenfachtagung im Januar 2017, »denn es handelt sich ja bloß um eine vom Betrieb initiierte, zusätzliche private Altersvorsorge. Dies ist nur eine Neuauflage der Riester-Rente und führt auch zu demselben Desaster.« Also ein Etikettenschwindel. Doch so sehr Butterwegges Einschätzung den Nagel auf den Kopf trifft, es ist leider eine Minderheitsmeinung in der Gesellschaft.

Die neue »Betriebsrente« ist bis heute ein Lieblingskind der Politik und leider auch vieler Gewerkschaften. Während die Riester-Rente immer wieder in die Schusslinie gerät und auch die Finanzwirtschaft sie nur noch halbherzig verteidigt, wird die neue »Betriebsrente« noch immer wie ein leuchtender Stern am Himmel der Altersvorsorge gehandelt. Angeblich ist sie kostengünstig, nutzt direkt und effektiv den Beschäftigten und – so wird gerne suggeriert – die bösen Versicherungskonzerne und ihre Vertreter bleiben außen vor. Das ist natürlich glatter Unfug – und dennoch stehen die führenden Politiker der großen Koalition in Treue fest zur neuen »Betriebsrente«. Auf einem Branchentreff im Hotel Steigenberger Berlin, dem »Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2017« agierte Andrea Nahles als sogenannte Keynote-Speakerin und enttäuschte ihre Zuhörer nicht: »Eine lebensstandardsichernde Rente schafft die gesetzliche Rentenversicherung nicht allein.« Es folgte ein klares Bekenntnis zum Drei-Säulen-Modell: »Der beste Baustein ist dabei eine Betriebsrente.« Die über 200 versammelten Manager, Makler und Unternehmensberater waren zufrieden mit der politischen Rückendeckung. Und gegen einen Tagungsbeitrag von 2095 Euro pro Kopf ergaben sich zudem jede Menge Kontakte untereinander und zu zahlreichen weiteren Politikern, die das Feld der Altersvorsorge beackern. Als Tagungsleiter des Branchentreffs fungierte wie im Vorjahr: Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup.

Das Programm war eindeutig auf die neue Betriebsrente fokussiert. Finanzstaatssekretär Dr. Michael Meister (CDU) erläuterte als zweiter Keynote-Speaker eingehend, welche Zuschüsse der Bund dafür lockermachen will. Rund um die Veranstaltung ist wie üblich eine Art Messe aufgebaut, auf der die Top-Anbieter und Beratungsfirmen gegen saftige Standmieten auf sich aufmerksam machen. Einen Referenten auf diesem Meeting der Hochkaräter zu platzieren scheint Gold wert zu sein. Am »point of action« – wie der Veranstalter wirbt – vertreten zu sein, das lassen sich Unternehmen offenbar Zehntausende Euro kosten. Fazit: Wer als Außenstehender diese Veranstaltung im Steigenberger Hotel besuchte, der verlor den letzten Funken Hoffnung, bei der betrieblichen Altersvorsorge ginge es um die Interessen der Beschäftigten. Es geht dabei vor allem um eines: sehr viel Geld.

Für die Lebensversicherer lässt sich das relativ exakt beziffern: 18,3 Milliarden Euro nahmen sie 2016 mit den sogenannten Betriebsrenten ein. Schon über 20 Prozent ihrer Einnahmen kommen aus diesem Bereich – fast doppelt so viel, Schröder sei Dank, wie vor der Riester-Reform. Und sie sehen – so Verbandspräsident Alexander Erdland – noch »erhebliches Wachstumspotenzial«. So ist die Begeisterung groß, als Andrea Nahles eng abgestimmt mit Wolfgang Schäuble Ende 2016 das Betriebsrentenstärkungsgesetz auf die Schiene bringt. Die FAZ meldet »Versicherer loben Nahles-Reform« und »Große Versicherer profitieren von Betriebsrentenreform«. Ohne Zweifel, die neue Betriebsrente ist für die Branche mindestens so bedeutsam wie Maschmeyers »Ölquelle« zu Beginn des Jahrtausends. Und am 1. Juni 2017 war es dann endlich so weit: Der Deutsche Bundestag beschloss mit seiner schwarz-roten Mehrheit das von Nahles eingebrachte Betriebsrentenstärkungsgesetz. Es war ein schwarzer Tag für die gesetzliche Rente. Denn wenn sich eine Bundesregierung so klar für die neue Betriebsrente positioniert, heißt das im Umkehrschluss: Die Bereitschaft zu einer Leistungsverbesserung der gesetzlichen Rente ist nahe null.

Doch was ist für den Arbeitnehmer das Problem mit der neuen Betriebsrente? Und weshalb hat sie mit der alten Betriebsrente fast nichts mehr tun? Ganz einfach: Weil der Beschäftigte diese Vorsorge grundsätzlich weitgehend allein zahlen muss und sich die Sache am Ende für die meisten als Verlustgeschäft herausstellen wird. Doch zunächst eine wichtige Klarstellung: Wenn der Chef früher seinen Arbeitern und Angestellten eine Betriebsrente zusagte und der Betrieb später aus den Rückstellungen eine Rente zahlte, dann war und ist das eine gute Sache. Die Arbeitnehmer müssen für solche echten Betriebsrenten keine Beiträge zahlen und ihre gesetzlichen Renten werden dadurch nicht geschmälert. Ähnliches gilt bis heute für die weitgehend arbeitgeberfinanzierten Formen der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Das sind für den Arbeitnehmer gute Renten, vom Betrieb zugesagt und vom Betrieb bezahlt.

Ganz anders funktioniert jedoch die Entgeltumwandlung, die seit den Schröder-Riester-Reformen zum neuen Standard geworden ist. Hier zahlt zunächst in der Regel der Arbeitnehmer den Beitrag aus seinem Bruttoeinkommen allein. Gelockt wird er mit Steuer- und Sozialabgabenersparnissen. Und tatsächlich erfolgt die Einzahlung bei der Entgeltumwandlung in gewissen Grenzen steuer- und sozialabgabenfrei. Was zunächst wie ein tolles Sparprogramm aussieht, wird aber auf lange Sicht für viele zu einer bitteren Enttäuschung werden. Denn am Ende bekommen sie ein sehr schlecht verzinstes Lebensversicherungsprodukt und müssen darauf noch die vollen Steuern und die vollen Beiträge für Krankenkasse und Pflegeversicherung zahlen. Da kommen in Zukunft schnell Abzüge von rund 45 Prozent zustande. Fast die Hälfte der Betriebsrente ist damit weg. Obendrein mindert die Entgeltumwandlung noch die gesetzliche Rente, denn wer als Arbeitnehmer für das umgewandelte Gehalt keine Beiträge zahlt, bekommt dafür später natürlich auch keine Rente. Doch das sagt man den sogenannten Betriebsrentnern entweder nicht – oder nicht so deutlich. Das wäre ja schlecht fürs Geschäft.

Ulrich-Arthur Birk beschäftigt sich als Professor an der Universität Bamberg seit Langem mit dem Modell »Betriebsrente durch Entgeltumwandlung«. Die Arbeitnehmer seien damit »in eine Falle geraten«. Es rechne sich eigentlich nur noch für jene, die vom Arbeitgeber einen hohen Zuschuss bekommen oder privat krankenversichert sind. Auch Leni Breymaier (SPD) sieht die Entgeltumwandlung sehr kritisch: »Also wenn ich ›Bezaubernde Jeannie‹ wäre und die Rentenpolitik nach meinen Wünschen machen dürfte, dann würde ich alles abschaffen, was vermeintlich zur Stärkung der Alterssicherung führt, aber in Wirklichkeit die gesetzliche Rente schwächt. Alles, was die gesetzliche Rente schwächt, darf nicht gemacht werden.« Und weshalb betrifft das auch die Entgeltumwandlung? »Mal angenommen, ich verdiene 2500 Euro brutto und zahle 150 Euro in die Entgeltumwandlung ein, dann bleiben noch 2350 Euro brutto, die verbeitragt werden – statt 2500 Euro. Und damit reduziere ich später meine gesetzliche Rente, das ist einfach Quatsch!« Leni Breymaier, die lange Jahre ver.di-Vorsitzende in Baden-Württemberg war, kritisiert außerdem, dass sich die Arbeitgeber an der Entgeltumwandlung nur sehr unzureichend beteiligen müssen: »Mir geht’s ja auch um die Parität. Der große Charme der gesetzlichen Rentenversicherung ist ja, dass die Arbeitgeber sich daran hälftig beteiligen. Alles, was diese paritätische Finanzierung zerstört, wie die Riester-Rente oder die Entgeltumwandlung, lehne ich ab.«

Leider ist Leni Breymaier nicht die »Bezaubernde Jeannie«, die eine bessere Rente herbeizaubern könnte. Zwar müssen sich die Arbeitgeber – so sieht es das Betriebsrentenstärkungsgesetz vor – demnächst mit 15 Prozent an den Einzahlungen aus Entgeltumwandlungen beteiligen, doch sollte ihnen diese Beteiligung nicht allzu schwer fallen. Denn von jedem umgewandelten Euro spart der Arbeitgeber rund 20 Prozent, die er sonst als Arbeitgeberbeitrag hätte zahlen müssen. Unterm Strich bleibt  immer noch ein Plus. Zudem greift die Beteiligungsverpflichtung bei Altverträgen erst ab dem 1. Januar 2022. Klar wird: Die Entgeltumwandlung ist tatsächlich ein Sparprogramm – aber vor allem für die Arbeitgeber. Und es ist tatsächlich ein Erfolgsprogramm, aber vor allem für die Versicherungswirtschaft.

Denn wohin fließt nun das umgewandelte Gehalt? In der Regel dorthin, wo auch die meisten Riester-Beiträge hinfließen: zu den Lebensversicherungen. Die Betriebsrenten werden nämlich nur noch selten von den Betrieben selbst verwaltet. Längst haben Allianz, Ergo & Co. das Geschäft übernommen. Sie betreiben mittlerweile rund 15,5 Millionen betriebliche Verträge. Für die Konzerne wird dieses Geschäftsfeld immer wichtiger. Dafür haben sie seit Jahren intensiv gekämpft, haben ihre Lobbyisten ins Feld geschickt und fahren nun die Ernte ein: das schon erwähnte Betriebsrentenstärkungsgesetz. Noch am Tag der Verabschiedung heben die fünf Lebensversicherer Barmenia, Debeka, Gothaer, HUK-Coburg und Stuttgarter »Das Rentenwerk« aus der Taufe. Einzige Aufgabe des neuen Konsortiums: maßgeschneiderte Angebote nach dem Betriebsrentenstärkungsgesetz. Weil es sich bei den neuen »Betriebsrenten« faktisch um Lebensversicherungsprodukte handelt, leiden auch sie unter der unseligen Mischung aus hohen Kosten, Renditeschwäche und weiteren Nachteilen privater Renten. In der Vergangenheit konnten alle Beteiligten wenigstens noch darauf vertrauen, dass zum Rentenanfang zumindest die in den Vertrag geflossenen Gelder beispielsweise für eine Verrentung vorhanden sind. Das ändert sich gerade auf breiter Front. Einen Vorgeschmack darauf bekam die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Heilbronn zu spüren. Ihr bisheriger Betriebsrenten-Dienstleister, eine renommierte große deutsche Lebensversicherung, wollte ab 2017 für neue Verträge keinerlei Garantien mehr abgeben: also keine Garantieverzinsung und auch keinen garantierten Beitragser  halt. Was etwas technisch klingt, könnte böse Folgen haben: Es könnte am Ende weniger Geld herauskommen, als eingezahlt worden ist. Ein schlechtes Geschäft. Da wäre es besser, das Geld unters Kopfkissen zu legen. Der AWO-Geschäftsführer Walter Burkhardt war entsetzt: »Solche Verträge kann ich doch meinen Mitarbeitern nicht mit gutem Gewissen anbieten.« Übrigens: Die AWO Heilbronn gehört zu den wenigen Arbeitgebern, die ihren Mitarbeitern die Betriebsrente überwiegend finanzieren, nämlich zu zwei Dritteln. Dennoch machen viele Mitarbeiter davon keinen Gebrauch, da sie sich selbst das verbleibende Drittel an Eigenleistung nicht leisten können.

Die Entgeltumwandlung wirkt aber auch zerstörerisch für das gesamte Sozialversicherungssystem. Nicht nur der Rentenkasse gehen Milliarden an Einnahmen verloren, auch den Krankenkassen und der Agentur für Arbeit werden weniger Beiträge überwiesen. Damit sinkt aber auch der Schutz der Arbeitnehmer: Sie bekommen bei Krankheit weniger Krankengeld und bei Arbeitslosigkeit weniger Arbeitslosengeld. Betriebsrenten, die vermeintlich der Alterssicherung nutzen sollen, zerstören also genau betrachtet die soziale Absicherung auf breiter Front. Das sieht mittlerweile auch Walter Riester sehr kritisch. Auf einer Jubiläumsveranstaltung anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Rentenversicherung wies der Ex-Minister darauf hin, dass man seinerzeit die Sozialabgabenfreiheit nur bis 2008 beschlossen hatte. Er sei sehr verärgert gewesen, als seine Nachfolger die Befristung gekippt hätten. Nun, Riester sollte wohl am besten wissen, welchen Einfluss Lobbyisten haben können.

Den größten Schaden richtet die Entgeltumwandlung aber zweifellos bei der Rente an. Besonders nachteilig für den späteren »Betriebsrentner« ist das, was zunächst ein Vorteil schien: die Sozialabgabenfreiheit. Vom umgewandelten Gehaltsanteil fließt kein Beitrag in die Rentenkasse. Und damit fällt auch die Rente später niedriger aus. Ein Beispiel: Wandelt ein Beschäftigter 40 Jahre lang den maximal möglichen Betrag um, so fehlen ihm nach aktuellen Rentenwerten später rund 100 Euro Rente im Monat. Bei einem Rentenbezug von 20 Jahren bedeutet das einen Verlust von 24000 Euro. Da die Rentenwerte regelmäßig steigen, wird der Verlust vermutlich noch deutlich höher ausfallen. Das sind empfindliche Einbußen in der persönlichen Rentenkasse.

Noch aus einem weiteren Grund erweist sich die Entgeltumwandlung als ein vergiftetes Geschenk: Seit einer zunächst wenig beachteten Gesetzesänderung zum 1. Januar 2004 werden auf alle betrieblich veranlassten Renten- oder Kapitalauszahlungen die vollen Krankenkassenbeiträge fällig. Und das sogar rückwirkend, ohne Vertrauensschutz für bestehende Verträge. Viele Betroffene hatten die damalige Gesetzesänderung nicht mitbekommen oder die Tragweite nicht verstanden. Umso größer ist nun die Empörung: Die Rentner zahlen, wenn sie nicht privat krankenversichert sind, im Alter die vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Und zwar nicht nur ihren (Arbeitnehmer-) Anteil wie bei der gesetzlichen Rente, sondern auch den Arbeitgeberanteil. Von dieser Doppelverbeitragung sind bereits Millionen Rentner betroffen. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen: Das gilt sogar für jene Personen, die früher keinen Cent Krankenkassenbeitrag gespart haben. Das sind jene Arbeitnehmer, die bereits oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung verdienten und sich dennoch in die Entgeltumwandlung locken ließen. Sie zahlten als Arbeitnehmer Höchstbeiträge, ob mit oder ohne Entgeltumwandlung, und nun werden sie erneut (und zwar doppelt) geschröpft.

Da konnte Andrea Nahles auf dem »Zukunftsmarkt Altersvorsorge 2017« den anwesenden Versicherungsmanagern auch keine Entwarnung geben. Bei denen ist das Ärgernis der doppelten Verbeitragung mittlerweile sehr wohl als Verkaufshemmnis angekommen, und sie fordern eine Korrektur. Doch die Ministerin sah praktisch keine Chance auf ein Ende der Doppelverbeitragung. Da ginge es um zu viel Geld für die Krankenkassen, und Ressortkollege Gröhe könne wohl kaum auf die Milliarden verzichten.

Millionen von Betroffenen fühlen sich in genau dieser Frage von der Politik schlicht verschaukelt. Sie wurden in die sogenannten Betriebsrenten hineingelockt, haben jahrelang wie gewünscht privat betrieblich vorgesorgt – und nun stehen sie im Regen. Reiner Heyse kennt viele solcher Beispiele. Der Ex-Betriebsrat und aktive IG-Metaller hat mit Leidensgenossen den Seniorenaufstand gegründet und sagt: »Wir wollen, dass die gesetzliche Rente wieder lebensstandardsichernde Renten zahlt. Und dass der Unsinn aufhört, dass Millionen Arbeitnehmer in ungünstige Riester- und Betriebsrentenverträge geschickt werden.« Von einer Betriebsrente könne man eigentlich nur reden, wenn der Arbeitgeber mindestens so viel einzahlt wie der Arbeitnehmer. Sonst sei das nur ein »betrieblich organisiertes Über-den-Tisch-ziehen.« Heyse kann nicht verstehen, dass seine eigene Gewerkschaft, die IG Metall, die Entgeltumwandlung massiv fördert und dafür zusammen mit den Metall- Arbeitgebern sogar ein eigenes Unternehmen gegründet hat: die »MetallRente«. Dahinter steht ein Konsortium von Lebensversicherern (Allianz, Ergo, R+V und SwissLife). Seit rund zwei Jahren rechnen Heyse und seine Mitstreiter vor, welch schlechtes Geschäft diese sogenannte Betriebsrente für die späteren Rentner ist. Von der IG-Metall-Spitze fordern sie sogar die Abwicklung der MetallRente, bislang ohne Erfolg. »Das ist insofern verrückt, weil der IG-Metall-Vorstand unsere Zahlen nicht widerlegen konnte«, stellt Heyse fest, »offenbar will man sich den Fehler aber nicht öffentlich eingestehen.« Das ist auch nicht ganz einfach für die größte Einzelgewerkschaft der Welt. Denn in der Öffentlichkeit verkauft sie die MetallRente als ein Erfolgsprojekt. Mit über 680000 Verträgen ist es das größte branchenübergreifende Versorgungswerk Deutschlands. Für 2016 meldete sie sogar das »beste Ergebnis der letzten fünf Jahre«. Doch für die, die im Alter in den Genuss der Leistungen kommen, ist es leider keine Erfolgsstory. Sie reagieren zunehmend frustriert. Zum Beispiel Klaus Seifferth. Er arbeitete beim Autozulieferer Valeo als Qualitätsingenieur und gehört zu denen, die schon bald nach Gründung der MetallRente einen Vertrag schlossen. Seifferth erinnert sich: »Da wurde damals massiv vom Betriebsrat Werbung gemacht. Der Allianz-Vertreter bekam sogar tageweise ein Besprechungszimmer im Werk zur Verfügung gestellt und hat dort seine Sprechzeiten abgehalten. Ich hab den Vertrag auch dort bei dem Allianz-Mann unterschrieben. « Rund zehn Jahre lang zahlte er ein, insgesamt 16827 Euro, und als er mit 62 Jahren in Rente ging, kam der Zahltag: 21690 Euro. Ein tolles Ergebnis, freute sich Seifferth zunächst, und zahlte davon seinen Hauskredit ab, um als Rentner schuldenfrei zu sein. Doch die Ernüchterung kam schnell. Das Finanzamt verlangte volle Steuern und die Krankenkasse rund 18 Prozent Beitrag auf die Gesamtsumme. Dazu kommt noch die Reduzierung seiner gesetzlichen Rente. Rechnet Seifferth alles haarklein zusammen, bleiben ihm von der stattlichen Metallrente weniger als 8000 Euro. »Ich konnte das anfangs nicht glauben, habe sofort den Betriebsrat angesprochen, doch der zuckte nur mit der Schulter. Auch meine Einsprüche beim Finanzamt sind abgeschmettert worden.«

Formaljuristisch ist das tatsächlich alles korrekt, doch für das Gerechtigkeitsgefühl von Bürgern wie Klaus Seifferth ist das eine Katastrophe: »Das ist für mich reine Abzocke. Es wäre für mich besser gewesen, ich hätte jeden Monat 100 oder 200 Euro in die Schublade gepackt, dann hätte ich heute mehr.« Natürlich hat Seifferth früher auch Steuern und Abgaben gespart, doch unterm Strich bleibt ein sattes Minus – vor allem, weil er seiner zeit als vergleichsweise gut verdienender Ingenieur durch die Entgeltumwandlung keinen Cent Krankenkassenbeitrag sparen konnte. Auch fünf Jahre nach seiner Verrentung ist Klaus Seifferth noch immer stinksauer: »Profitiert haben von der Metall- Rente die Allianz und der Finanzminister, und die IG Metall hat das alles zu verantworten.« Bei seiner Gewerkschaft hat er sich seinerzeit auch beschwert, aber nie eine Antwort erhalten. Daraufhin ist er ausgetreten. Reiner Heyse vom Seniorenaufstand glaubt, dass das erst der Anfang einer Empörungswelle ist. »Noch bekommen erst wenige eine MetallRente. Erst nach und nach werden die Kollegen in den nächsten Jahren diesen Frust erleben – und werden nach Schuldigen fragen.«

Auch wer gar keine Entgeltumwandlung betreibt, bekommt die Nachteile zu spüren – über die Rentenanpassungsformel. Jede Gehaltsumwandlung sorgt dafür, dass die Bruttolohn- und Gehaltssumme ein wenig sinkt und damit auch die nächste Rentenerhöhung für alle ein ganz klein wenig gebremst wird. Den Schaden haben also sowohl die heutigen als auch die künftigen Rentner, sowohl die Entgeltumwandler als auch die, die sich diese Maßnahme nicht leisten können oder wollen. Kopfschüttelnd stellt Winfried Schmähl diese schweren Verwerfungen fest. »Die Entgeltumwandlung ist ein Sargnagel für die gesetzliche Rente«, stellt der von allen Seiten hochgeschätzte Rentenexperte fest. Und wundert sich darüber, dass gerade diese Form der zusätzlichen Altersvorsorge im Wahljahr von Rentenministerin Andrea Nahles als Joker ins Rennen geschickt wird. »Sie weiß genau, was sie da tut«, ist sich Schmähl sicher.

Dieser Meinung ist auch Matthias W. Birkwald von der LINKEN: »Andrea Nahles ist stets sehr gut vorbereitet und informiert. Sie kennt die Zusammenhänge und weiß, dass sie mit der Förderung der Betriebsrente die gesetzliche Rente aushöhlt.« Birkwald plädiert denn auch für den sofortigen Stopp der Förderung: »Wir brauchen diese verrückte Form der Betriebsrente nicht. Ich kann doch nicht mit Steuermitteln und Geldern der Sozialkassen ein Verfahren subventionieren, das die Rente zerstört.«

Siehe zum Buch auch:

  • Buchtipp: Die große Rentenlüge – Warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist
    „Der Titel wirkt reißerisch, aber der Inhalt trägt ihn zumindest der Richtung nach – wobei das Buch selbst deutlich macht, dass es nicht die eine große Lüge gibt, sondern ein ganzes Geflecht von Lügen, mit denen interessierte Kreise aus Wirtschaft, „Wissenschaft“, Politik und Medien die gesetzliche Rente schlecht machen und für Alternativen werben, an denen die private Finanzwirtschaft verdient. Da gibt es das „Märchen von den guten Betriebsrenten‘“, das überzeugend entzaubert wird, unter anderem weil die staatliche Förderung so gestaltet ist, dass sie die gesetzliche Rente weiter schwächt. Ganz abseits vom politischen Hickhack der Argumente liefern Holger Balodis und Dagmar Hühne darüber hinaus auch wertvolle Klarstellungen und Erläuterungen zu dehnbaren Begriffen wie Rentenniveau, die für alle nützlich sein dürften, die nicht schon von Berufs wegen die verwirrenden Regeln und Begrifflichkeiten der Rente beherrschen. Die Autoren skizzieren prägnant ihre Vorstellungen von einem funktionstüchtigen Rentensystem zum Wohle der (Mehrheit der Bürger) und stellen das dem deutschen weit überlegene österreichische System vor, das ihnen in vielem als Vorbild dient…“ Buchtipp mit Gegenargumenten von und bei Norbert Häring vom 7. September 2017 externer Link zu einer Buchkritik des am 1. August beim Westend Verlag erschienenden Buches „Die große Rentenlüge“ von Holger Balodis und Dagmar Hühne (Preis: 18 Euro, 208 Seiten)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=122276
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