Doch noch „Finanzmärkte revisited“? Eine Schweigepflicht der Finanzmarktakteure oder eine „Omerta“ – und ein Theaterstück?

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 20.1.2013

Wie schön, dass im Rahmen dieses Bankenstückes von Andres Veiel „Himbeerreich“ in Berlin und Stuttgart die großen politischen Finanzmarktexperten Steinbrück (ehem. Finanzminister) und Jörg Asmussen (ehemaliger Finanzstaatssekretär, jetzt Bundesbanker, – und der „gute Geist“ für die Durchsetzung der sog. „Verbriefung“ für ein Gespräch mit dem Theater-Autor und -Regisseur zu diesem Thema nicht zur Verfügung standen.
(http://www.nachdenkseiten.de/?p=15905#h05 externer Link)

Dabei war die „schärfste Kritik“, die an diesem Stück von Andres Veiel geübt werden konnte diejenige, dass die Soziologen in ihrem Buch (von 2010) „Strukturierte Verantwortungslosigkeit“ mit der Befragung von dreißig Bankern schon mindestens soweit vorgedrungen waren (= unter der Überschrift „Charaktermasken des Kapitals“ im Feuilleton der Süddeutschen am 14. Januar 2013)

Da taucht die jetzt doch sehr gravierende Frage auf, wie glaubwürdig diese Beiden als Politiker noch die Finanzmärkte regulieren wollen, wenn sie doch nur die Klappe halten „müssen“? Oder muss man dieses Schweigen doch eher als so etwas wie die „Omerta“ der Mafia sehen?

Doch einmal der Sinn des Hochfrequenzhandels in der politischen Diskussion

Nur das, was Steinbrück und Asmussen meinen verschweigen zu müssen, wird gerade sehr ausführlich im Bundestag anhand des „Hochfrequenz-Handelsgesetzes“ – auch kritisch – behandelt.
Dazu empfehle ich, (nicht weil ich persönlich schon alles objektiv überblicke, aber weil ich selbst angesichts meiner Einschätzung von kritischer Kompetenz so vorgegangen bin) zunächst einmal aus der Anhörung des Bundestages
(www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a07/anhoerungen/2013/123/Stellungnahmen/index.html externer Link) die schriftliche Stellungnahme von Rudolf Hickel zum Sinn bzw. Unsinn von diesem – durch Algorithmen gesteuerten (= Automatisierung von Entscheidungsabläufen) – Hochfrequenzhandel (= nach Aussagen großer Hedgefonds konzentriert sich die Forschung auf das Ziel, die Zahl der Transaktionen auf über 400 000 je Sekunde zu erhöhen)
(siehe außer dem TAZ-Artikel, der wohl als ziemlich einziger darüber berichtete, die Stellungnahme von Rudolf Hickel in der Übersicht des Bundestages bei www.nachdenkseiten.de/?p=15891#h02 externer Link) Die Basis dieses sog. Hochfrequenzhandels bildet das kaum noch überschaubare Angebot an rein spekulativen Derivaten (entstanden in Deutschland mit jenem „Verbriefungspapst“ Jörg Asmussen vgl. dazu www.nachdenkseiten.de/?p=3529 externer Link, wo Albrecht Müller das so treffende Bild gebraucht, die haben „Gift“ in Flaschen gefüllt und als Heilmittel verkauft)

Das Problem dieses ausgeuferten Derivatehandels erklärt Rudolf Hickel dann so: „Im Juni 2012 überstieg das Volumen der gehandelten Derivate die Weltproduktion um das Neunfache (!). Der Großteil der Geschäfte hat kaum etwas mit Finanzierungsanforderungen aus der Produktionswirtschaft zu tun. Beispiele sind: Strukturierte Wertpapiere (CDO) Kreditausfallversicherungen (CDS), Zertifikate, Leerverkäufe, Zinsdifferenzgeschäfte. Bei den strukturierten Wertpapieren wird das… entstehende Risiko aus der vermittelnden Bank durch Mehrfachverpackung anonymisiert ausgelagert. Die „Produktion“ dieser Spekulationsinstrumente sowie der Eigenhandel zum Großteil außerhalb der Börsen („Over the counter“) erklärt vor allem die Krisenanfälligkeit des spekulativen Investmentbanking in Großbanken, die im Falle drohender Insolvenz wegen ihrer „systemischen Relevanz“ (= in der Verknüpfung mit den Privat- und Geschäftskunden – d.h. sozusagen der kreditsuchende Bürger als „Geisel“ für die Banken, um staatliche Unterstützung („Bail out“) zu erzwingen.) dann zu Lasten der öffentlichen Haushalte durch den Staat (= durch den Steuerzahler!) gerettet werden müssen.“

Turbohandel ohne Sinn – die Hauptursache für die Krisen

Dieser Turbohandel ist somit die eigentliche Ursache der extrem gewachsenen Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte, meint deshalb Rudolf Hickel. (Siehe seine schriftliche Stellungnahme a.a.o. – sowie dort noch die Stellungnahmen von Weed und „Finance Watch“ – die immer wieder erwähnte Bundesbank hat ja bezüglich ihrer früheren deutlichen Kritik „inzwischen“ – wohl auch sachwidrig – den Schwanz eingezogen)

Interessant – und je nach Aufnahmegewohnheit des einzelnen – ist noch die Video-Aufnahme der gesamten Anhörung zum Hochfrequenzhandel vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages (www.nachdenkseiten.de/?p=15905#h19 externer Link)

Neben der hier erwähnten Video-Sequenz ab der 54. Minute zu Rudolf Hickel und Dirk Müller (zu ihm siehe noch weiter unten im Text) möchte ich auch noch auf die Passage der Anhörung ca. ab der Minute 7.50 mit Rudolf Hickel hinweisen (bis etwa zur Minute 12.50), der dort schlussfolgert: „eigentlich brauchen wir (für die realwirtschaftliche Entwicklung) diesen Hochfrequenzhandel überhaupt nicht – aber wenn es schon nicht anders geht, dann müssen wir ihn angemessen regulieren.

Dies wird (auf englisch) von Finance Watch noch hervorragend damit ergänzt,(von ca. der Minute 12.50 bis zur Minute 17.10) das deutlich macht – gegen das Argument der „besseren“ Liquidität: Liquidität durch diese Finanzmarktgeschehen entsteht allenfalls dort, wo bei den attraktiven Konzernen ohnehin keine Liquidität erforderlich ist, jedoch just da, wo wir – realwirtschaftlich – Liquidität bräuchten, daran haben diese „Märkte“ wiederum nur geringes oder gar kein Interesse. Dieses Argument der „besseren“ Liquidität ist letztlich nur ein Scheinargument, um diese Tätigkeiten der Banken zu rechtfertigen – während er für die Realwirtschaft keinen Sinn ergibt.
(und noch zur Presse-Erklärung von Finance Watch, in der Lallemand Deutschland auffordert zum Vorreiter bei der Regulierung des Hochfrequenzhandels zu werden: http://www.finance-watch.org/wp-content/uploads/2013/01/Pressemitteilung_Finance_Watch_150120131.pdf externer Link pdf)

Wie schon bei den NDS erwähnt, ist außer Rudolf Hickel noch Dirk Müller von „Finanz-Ethos“ besonders beachtenswert, weil er die These von Rudolf Hickel, dass der Hochfrequenzhandel für die „Realwirtschaft“ einfach überflüssig ist, noch weiter zuspitzt und klarmacht, dass durch diese Praktiken die Realwirtschaft geschädigt bis „vernichtet“ wird, weil ihre Existenz vor diesen „Gewinnen“ der Finanzmärkte keine reelle Chance mehr erhält (vgl. http://standpunkte.blogsport.de/2013/01/18/der-finanzausschuss-des-bundestages-zum-hochfrequenzhandel-dirk-mueller-16-01-2013-bananenrepublik/ externer Link sowie sein klar provozierender Vortrag vor dem Finanzausschuss- Ausschuss „extra“ auf Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=mh3vklgOcKo externer Link) – aber scheinlich kann man diese finanzmarkthörige politische Gemeinschaft nur aufstören, indem man ihnen doch etwas provozierend die langfristigen Folgen ihrer Finanzmarktabhängigkeit vor Augen führt.

Und aus Frankreich noch die umfassende Analyse zur Einschränkung der Macht der Banken auf die Staatsschulden.

Wer jetzt sich noch nicht umfassend für das gesamte Finanzmarktgeschehen informiert fühlt, für den gibt es aktuell noch einen ganzen Tagungsband des OFCE im Netz: „The Euro-Area in Crisis“ von Catherine Mathieu and Henri Sterdyniak (http://www.ofce.sciences-po.fr/publications/revue127.htm externer Link)

In diesem Zusammenhang mit der Reduzierung der Macht der Finanzmärkte – wie beim Hochfrequenzhandel – erscheint mir dabei der Beitrag von Stephan Schulmeister „The European Monetary Fund“ – A systemic Problem needs a systemic Solution“ (= ganz am Ende des Tagungsbandes bei der Diskussion der „Exits“) besonders bemerkenswert. Für Schulmeister bleibt es eben ein zentrales Anliegen: „Eurobonds should not be tradet in capital markets because otherwise financial investors might start to speculate against or in favour of Eurobonds relative to governement bonds of the US, the UK, Japan or some smaller states. Even though this game would be less easy than playing off member countries of a monetary union against each other (wie es die deutsche Regierung unter der Kanzlerin Merkel nicht nur initierte, sondern auch weiter so schätzt – vgl. vor allem ab dem Abschnitt „Ja, das Finanzmarktregime über die Staatsschulden wurde am Anfang dieser Finanzkrise von der deutschen Regierung richtig herbeigerufen“ auf der Seite 4 bei https://www.labournet.de/?p=17959 – oder weiter auch noch den Abschnitt auf der Seite 9 „..Merkel bleibt ihrer Euro“vision“ treu: Mit einem Spardiktat-„Regime“ und populistischen Opportunismus bleibt Europa ein Gefängnis“ (www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/zur-jahreswende-20122013-was-jetzt-auf-uns-wartet-es-wird-spannend-werden/) – und vielleicht noch zur Ergänzung den Claus Offe „Europa in der Falle“ bei www.labournet.de/?p=21892) – und Schulmeister fährt dann fort: „it is nevertheless superfluous!“

Und zusätzlich hält er es für erforderlich: „Banks would no longer get rents by borrowing at the ECB at low rates and investing in governement bonds at high rates. The business does not add any value to the overall economy (just profits to the banks). Beachte: Genau dies hatten wir doch schon oben beim Hochfrequenzhandel) in contrast to financing firms where banks` seeking for the best investment opportunities can – in principle – improve the allocative efficiency. It seems reasonable that investors finance governements directly“.

So wichtig – und vor allem ökonomisch vernünftig – das erscheint, um aus der „Falle für Europa“ herauszufinden, so weit scheint doch noch der Weg dorthin!

Es ist nämlich nicht nur bemerkenswert, sondern direkt erstaunlich, dass selbst dem Spar-Diktat des sog. Fiskalpaktes gegenüber kritische Organisationen wie der DGB weiterhin „alles“ dennoch unter dem Regime des Finanzmarktes belassen wollen. (vgl. „eine 11.Frage zur Eurokrise: „Ein Ende für die Politik des Zeitkaufens im Interesse der Anleger“ bei http://archiv.labournet.de/diskussion/eu/wipo/krise_bahl37.html)

Jedoch die „Falle für Europa“ wie auch das „Gefängnis als Vision“ werden kein Ende finden, solange diese Herrschaft der Finanzmärkte nicht „regulierend“ zurückgenommen wird.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=23065
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