Anthony Atkinson: Noch Keynes bezeichnete die Ökonomik als moralische Wissenschaft. Finanzkrise, Ungleichheit und makroökonomische Instabilität

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 30.8.2016

Ungleichheit

In der Süddeutschen wird das neue Buch von Athony Atkinson „Ungleichheit“ in einem Interview mit Anthony Atkinson selbst vorgestellt: „Wenn wir die Banken retten können, wieso können wir dann nicht die Menschen retten?“ Das wirft die Frage auf, ob die Ökonomen die Frage der Einkommensverteilung aus dem Abseits holen können. Es ist jedoch nicht zu sehen, dass sich die Ökonomen dafür in einem umfassenden Sinne interessieren. Dabei richtet die Zunahme von Ungleichheit dadurch Schaden an, dass eine Gesellschaft entsteht mit weniger Zusammengehörigkeit.

Die gängige These der (Mainstream-) Ökonomen, dass die – inzwischen radikal gewordene – Marktwirtschaft einer gewissen Ungleichheit bedarf, um zu boomen, entgegnet er mit der – historisch nicht zu leugnenden – Tatsache, dass Deutschland von 1950 bis etwa 1980 es erlebt hat, dass Armut und Ungleichheit abnahmen. In dieser langen Zeit ging es der Wirtschaft sehr gut – im Gegensatz zu heute. Wachstum und mehr Gleichheit gehen also durchaus zusammen, erklärt uns Atkinson. – Aber was scheren diese Ökonomen die historischen Tatsachen? – Oder wie Atkinson es noch einmal auf den Punkt bringt: Die Ökonomen sind Gefangene ihrer Modelle geworden. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anthony-atkinson-firmen-werden-profitabler-wenn-sie-mitarbeitern-mehr-zahlen-1.3137181 externer Link)

Auf die Frage, ob Atkinson einen Zusammenhang zwischen der Unfähigkeit der heutigen Industriestaaten zu wachsen und der Ungleichheit sähe, erwidert er, dass er dies für eine gute Frage hält, weil – mit Verweis auf Joseph Stiglitz (http://rhickel.iaw.uni-bremen.de/ccm/homepages/hickel/aktuelles/joseph-stiglitz-arm-und-reich-/ externer Link) – die Produktivität eines Arbeitnehmers eben auch damit zusammenhängt, wieviel er als Beschäftigter verdient. – Ja, du kriegst eben, was du zahlst.

Die Politik hat weitgehend – trotz Mindestlohn – die Lohnpolitik aufgegeben.

So bemängelt Anthony Atkinson auch, dass die Politik die Lohnpolitik aufgegeben habe, die es in den sechsziger Jahren durchaus gab. Der Einfluss der Gewerkschaften ging stark zurück. Daher sollten die Regierungen die Lohnpolitik – anders wohl als unter dem Vorzeichen der Austerität – wieder aufnehmen, so können sie die Ungleichheit verändern. (vgl. dazu als ein Beispiel auch im europäischen Rahmen „Arbeitskampf in Europa – die großen Unterschiede Deutschland und Frankreich“ (https://www.labournet.de/?p=100012) sowie mit den weiteren Einschränkungen der Streikfähigkeit in Deutschland durch eine „Tarifeinheitsgesetz“ (https://www.labournet.de/?p=79826)

Warum können nicht alle Einkommen steigen, wenn die Gehälter an der Spitze so steigen?

Mit diesen „ökonomischen Hebeln“ zur Verringerung der Ungleichheit stimmt Atkinson aber eher mit dem Ansatz von Marcel Fratzscher, dem DIW.Präsidenten, überein – nur weitaus konsequenter und radikaler, der lediglich meint die Ungleichheit interessiert mich nicht so sehr als Prinzip, sondern dort wo es die Wirtschaft runterzieht. Für Fratzscher sind das dann die ärmsten 40 Prozent. Und diese Vermögenslage der ärmsten 40 Prozent verhindern eine angemessenes Wirtschaftswachstum – da meint Fratzscher einen Gegensatz zu Thomas Piketty auszumachen, für den die Reichen und die Superreichen das Problematische zu sein scheinen. (zu seinem Buch „Verteilungskampf“ siehe „Ungleichheit kostet Wachstum“. (http://www.fr-online.de/wirtschaft/diw-chef-ungleichheit-kostet-wachstum,1472780,33944388.html externer Link)

So verlieren die finanziell Schwächsten den Anschluss (vgl. dazu noch einmal ab der Mitte der Seite 1 „Tiefe Kluft zwischen Arm und Reich – und zwar vor allem weil die unteren 50 Prozent der Bevölkerung immer ärmer werden“ bei https://www.labournet.de/?p=92376).

Dieses Missverhältnis der Politik wirft Atkinson, der sicher die herrschende Ungleichheit stärker betont als Fratzscher, der nur einen „Ausschnitt“ hervorheben will, als Frage so trefflich auf: „Warum können wir Banken retten, aber nicht die Menschen retten?“ Dazu hat er dann -zumindest – ein Paket von 15 Vorschlägen zur Überwindung dieser so gewaltigen Ungleichheit uns aufgeschrieben (Seiten 388 ff.) Das zeigt, wie komplex dieses Problem als Langfrist-Strategie angelegt sein muss.

Schon der erste Vorschlag zeigt, wie grundsätzlich eine solche Strategie angelegt sein muss: „Politische Entscheidungsträger sollten sich besonders der Richtung des technischen Wandels widmen, indem sie Innovationen fördern, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern und der menschlichen Dimension der Dienstleistungserbringung Vorrang einräumen.“ Ohne einen solchen grundsätzlichen Richtungswechsel gerät – das dürfte inzwischen auch kein Geheimnis mehr sein – dieses abgehängte Prekariat auch politisch immer mehr auf „Abwege“, obwohl diese für sie gerade keine bessere Zukunft bedeuten. (http://www.heise.de/tp/artikel/47/47975/1.html externer Link)

Diese Entwicklung von einem „falschen Bewußtsein“ bezüglich der Lösung dieser für die „Abgehängten“ so auswegslos erscheinenden Lage gibt es in der Forschung – wenn auch bisher nur für fremde Länder – Ansätze zu ergründen, warum politische Spannungen dann in ethnische Konflikte „transformiert“ werden. (https://idw-online.de/de/news657951 externer Link)

Es könnte doch durchaus sinnvoll sein, einen solchen Ansatz in der Genese und mit dem „Umkippen“ auch bei uns zu ergründen. – Ach, wahrscheinlich will das bei uns keine(r) wissen, weil unsere politischen Eliten würden allzu schnell als Fehlerquelle und Ursache dieser Fehlentwicklungen ausgemacht werden.

Basierend auf der Durchsicht der ganzen Studien zur Wirkung der Ungleichheit auf die ökonomische Stabilität bzw. Instabilität kommen die drei Autoren von Behringer / Theobald / van Treeck – bei einer sehr vorsichtigen Abwägung aller Faktoren über „Ungleichheit und makroökonomische Instabilität“ zu dem Ergebnis, dass eben klare Anhaltspunkte dafür gibt, dass die in vielen Ländern gestiegene Ungleichheit in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise ab 2007 steht. (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12690.pdf externer Link pdf)

Das trifft sich wieder mit der Aussage von Anthony Atkinson bei der Frage nach den wichtigsten Gründen für die enorme Zunahme der Ungleichheit – gerade in Deutschland: Die Kapitaleinkünfte sind wichtiger geworden – zusammen mit der Liberalisierung der Finanzmärkte. (Vgl. dazu „Warum jetzt nicht endlich eine Diskussion über die durch die Politik erst aufgehobene Regulierung für eine stabile Bankenwelt“ auf der Seite 2 ff. bei https://www.labournet.de/?p=102275 – sowie weiter: „Die Erfahrung einer Bankenkrise: Lehman-Brothers revisited. „Nie wieder“ soll der Der Steuerzahler für die Fehler der Banken einstehen müssen.“ – bei https://www.labournet.de/?p=101242)

Menschen mit Kapitaleinkommen, fährt Atkinson fort, profitieren stark, nicht zuletzt durch den Aufstieg einer – marktradikal freigesetzten – Finanzindustrie. Und auf der anderen Seite hat die Politik auch die Ungleichheit noch weiter verschärft, weil sie den Wohlfahrtsstaat und die Besteuerung der Besserverdienenden eingeschränkt hat. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/anthony-atkinson-firmen-werden-profitabler-wenn-sie-mitarbeitern-mehr-zahlen-1.3137181 externer Link)

Auch Verteilung zwischen den Nationen bei einer Währungsunion – das Überschuss-Recycling

Und im internationalen Maßstab braucht die Verteilungs-Diskussion in der europäischen Dimension – insbesondere der Währungsunion mit dem Euro – auch einen Ausgleich: Das hat jetzt – ergänzend zu Atkinson- der griechische Ökonom Yanis Varoufakis mit seinem neuen Buch „Das Euro-Paradox“ ins Spiel gebracht: Wenn der Euro – und damit auch Europa – funktionieren sollen, dann werden reiche Nordländer wie Deutschland, Österreich, die Niederlande,Dänemark und Finnland mehr Mittel in den Süden schicken müssen. Oder wie der Ökonom Varoufakis das ausdrückt, ein Währungssystem wie der Euro brauche eben einen Mechanismus des „Überschuss-Recycling“. (http://www.taz.de/!5331154/ externer Link oder noch http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/ttt/sendung/sendung-vom-28082016-110.html externer Link und auch http://www.kunstmann.de/titel-0-0/das_euro_paradox-1108/druckansicht/9783956141263.pdf externer Link pdf)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=103627
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