Eure Armut kotzt uns an! Die öffentliche Stimmung richtet sich immer öfter nicht gegen die Armut – sondern gegen die Armen

Wer in Berlin in einen Supermarkt geht, dem kann es passieren, dass ihm beseelte Freiwillige der Kampagne „Laib&Seele“ auflauern. Diese Initiative für „Lebensmittelspenden“, initiiert vom rbb und der evangelischen Kirche, gibt mehrmals im Jahr die Parole aus: „Eins mehr!“ Supermarkt-Kunden sollen dann ein erworbenes Food-Produkt als Armenzehrung entbehren. Wie gut, dass zumindest eine dieser christlich Engagierten genau weiß, dass sich die Armen auch mit wenig zufrieden geben: „Kaufen Sie einfach eine Packung der billigsten Spaghetti, die es hier gibt, und spenden Sie sie uns!„…“ Artikel von Marcel Malachowski in telepolis vom 11.03.2013 externer Link

Aus dem Text: … In Gänze betrachtet wirkt es, als hätte die Politik und auch die Mehrheitsgesellschaft die Unterschicht bereits komplett aufgegeben. In großen Teilen Mecklenburg-Vorpommerns gibt es nicht einmal mehr eine funktionierende Infrastruktur: Der ÖPNV wird ausgedünnt, Ärzte schließen ihre Praxen, Banken und Supermärkte ihre Filialen – es ist einfach zu wenig Kaufkraft vorhanden. Im Ruhrgebiet werden mittlerweile ganze Stadtteile abgerissen – kurioserweise dienten die verlassenen Straßen in den letzten Jahren als Drehorte für den ARD-Tatort.
Dafür, dass die neue Armut aber alleine in Deutschland Millionen von Menschen betrifft, kommt sie in den Medien nur sehr selten vor: Zwar wird gerne über die allgemeine Wohlstandsbedrohung durch den globalisierten Turbo-Kapitalismus diskutiert, die alltägliche Zerstörung von Millionen Biografien, die alleine durch Geldmangel verursacht wird, kommt aber nur randständig vor oder wird in stereotyper Dramaturgie aufgewärmt: sozialromantische Reportagen über nächtliche Flaschensammler, Mutmach-Dokus über alleinerziehende Mütter, die es irgendwie doch schaffen, oder die beiden ALG II-Empfänger, die ein populär gewordenes Hartz-IV-Kochbuch schrieben. Als sie vom Stern TV-Moderator gefragt wurden, ob man denn vom Regelsatz wirklich gut essen könne, wiesen diese darauf hin: „Süßigkeiten muss man sich natürlich verkneifen.“ Anerkennendes Klatschen danach vom Publikum für so viel Selbstdisziplin. (…) Der alte linke Spruch, wonach die Grenzen nicht zwischen den Völkern verlaufen, sondern zwischen den Klassen, erfährt etwas verändert, neue Wahrheit: Die Mittelschicht verbündet sich quasi mit „denen da oben“ gegen die „da unten“ und am liebsten gegen die „ganz unten“
…“

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