Wie man Mieter schützt. Vier Wege zum bezahlbaren Wohnen: Städtische Immobilien, Syndikate, Genossenschaften und Mietergewerkschaften

Dossier

Mieter:innengewerkschaft„… Jeder vierte Bewohner Wiens wohnt in einer der 220.000 Gemeindewohnungen, die der Stadt gehören. Noch einmal fast genauso viele Menschen wohnen in städtisch geförderten Genossenschaftswohnungen. Wien sorgt so dafür, dass die Mieten in der Stadt niedrig bleiben: Viele kosten lediglich 6,50 Euro pro Quadratmeter, unter zehn Euro ist garantiert. Es gibt lediglich ein paar Bedingungen (…) Für Menschen, die nicht nur wohnen, sondern auch leben wollen, bietet Schweden viele Lösungen. Eine davon heißt: Hyresgästföreningen (H.). Das ist kein Name für ein Möbelstück, sondern eine schwedische Mietergewerkschaft. Sie setzt sich seit mehr als hundert Jahren für die Interessen von Mietern ein – derzeit von 528 000 Haushalten. Sie betreibt Kampagnen auf nationaler Ebene, in den Regionen und Nachbarschaften. (…) Der wichtigste Aspekt, der die H. zudem von Mietervereinen oder Kiezgruppen in Deutschland unterscheidet: Sie handelt mit den Immobilienbesitzern kollektiv gültige Mietpreise aus. Wie in der Arbeitswelt halten die beiden Konfliktparteien das Ergebnis in einem Tarifvertrag fest. Einigen sie sich nicht, kam es früher oft zu Mietstreiks. Bis heute gilt: »Keine staatliche oder private Firma kann einfach die Mieten einführen, die sie will. Sie müssen mit uns verhandeln. (…) Es ist das neueste Projekt des Mietshäuser Syndikats, das 1983 in Freiburg gegründet wurde. Inzwischen gehören 136 Projekte in ganz Deutschland dazu, mit regionalem Schwerpunkt in Baden-Württemberg (37). 23 Projekte sind es in Sachsen, 18 in Berlin, 15 in Brandenburg und zwölf in Hessen. Ziel ist es, die Mieten für die jeweiligen Bewohner dauerhaft niedrig zu halten…“ Artikel von Johanna Treblin vom 15.12.2018 beim ND online externer Link, siehe dazu:

  • Miete verweigern, Kündigung ins Klo. Eine Berliner Gewerkschaft für Mieter will mit Streiks gegen Verdrängung vorgehen. Geht das überhaupt? New
    Gewerkschaft, das war einmal ein großes Wort, bevor es in den letzten Jahrzehnten zunehmend verblasste. Das lag nicht nur an der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Auch stellt sich für Arbeiter in Großstädten wie Berlin immer häufiger die Frage, was von erkämpften Lohnerhöhungen bleibt, wenn gleichzeitig die Mieten steigen. Im Schnitt haben sich letztere in den vergangenen Jahren in der Hauptstadt schneller erhöht als die Löhne. Wohnraum ist zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden. Wenn nun also die Konfliktlinie zwischen Kapital und Arbeit nicht mehr nur durch die Betriebe verläuft, braucht es da nicht auch eine Gewerkschaft für Mieter? Olga ist davon überzeugt. Sie ist Sprecherin der kürzlich in Berlin entstandenen Mieter:innengewerkschaft. Noch seien sie eine Initiative zur Gründung einer Gewerkschaft, betont sie. »Aber unser langfristiges Ziel ist es, ein kollektives Miet- und Mitbestimmungsrecht zu erkämpfen.« Die Initiative sieht es als Problem an, dass Mieter in den Auseinandersetzungen mit Vermietern oft alleine dastehen. Deshalb wollen sie für eine kollektive Vertretung von Mietern kämpfen. Analog zu den Tarifparteien im Arbeitsrecht soll die Gewerkschaft dann zum Verhandlungsgegenüber für Vermieter werden. Die Idee ist nicht neu. Bekanntestes Beispiel ist Schweden. Seit mittlerweile über 100 Jahren gibt es dort die Mietergewerkschaft »Hyresgästföreningen«. Heute vertritt sie über 500 000 Haushalte. Statt über den Markt werden die Mieten bei den schwedischen Gewerkschaftsmitgliedern über Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaft und Vermieter bestimmt. In Deutschland hingegen werden die Interessen der Mieter traditionell durch die Mietervereine vertreten. Doch diese würden meist nur als »Dienstleister« wahrgenommen, kritisiert Tarabota. Mit ihrer Beratung und Rechtsschutzversicherung helfen sie vor allem im individuellen Fall, eine Kollektivierung der Kämpfe findet nicht statt. Auch bei den klassischen Gewerkschaften gibt es bisher keine Bestrebungen, die Arbeit auf die Wohnungsfrage auszuweiten…“ Artikel von Yannic Walther vom 17.10.2020 im ND online externer Link – siehe ihre Homepage externer Link und die Mieter:innengewerkschaft Berlin bei Twitter externer Link
  • Mieter:innengewerkschaft in Frankfurt am Main: Warum wir eine Mietergewerkschaft brauchen
    Deine Miete ist zu hoch, der Vermieter repariert die kaputte Heizung nicht oder will dich sogar rauswerfen? Egal welchen Ärger du mit deinem Vermieter und deiner Wohnsituation hast: Du bist nicht alleine. Zusammen können wir uns wehren und die Wohnsituation für alle verbessern. Das gegenwärtige Recht bevorzugt Vermieter und viele Gesetze sind in ihrem Interesse geschrieben. Manche Vermieter schrecken auch vor illegalen Methoden nicht zurück, bedrohen Mieter oder nutzen Unwissenheit aus. Sie sind kollektiv organisiert, wir noch nicht. Der einzelne Mieter hat eine viel geringere Macht als der Vermieter. Aber wir haben das verfassungsmäßig garantierte Grundrecht uns auch als Mieter zusammenzuschließen. Kein Vermieter darf uns dafür belangen. Durch eine Mietergewerkschaft können wir das Kräfteverhältnis verändern und uns vor der Willkür wirklich schützen. Die Initiative für eine Mietergewerkschaft beabsichtigt mit Nachbarschaftsinitiativen ebenso wie mit Beratungs- und Rechtshilfeorganisationen wie dem Mieterschutzbund zusammenzuarbeiten. Doch auf juristischem Wege alleine lässt sich weder der rasante Anstieg der Mieten, noch die permanente Krise der Wohnverhältnisse in dieser Gesellschaft ändern. Die Stadt ist selbst der größte Immobilieninvestor und Vermieter. Sie profitiert von hohen Mieten wie sonst Niemand. Von ihr eine grundsätzliche Veränderung der Wohnverhältnisse zu verlangen, heißt gegen Windmühlen anrennen. Wir müssen selbst eine eigenständige Kraft dort aufbauen, wo wir im Kleinen schon heute etwas verändern können: In unseren täglichen Auseinandersetzungen mit dem Vermieter. Wenn wir in den Stadtteilen eine Basis aufgebaut haben, können wir anfangen auch für die größeren Veränderungen zu kämpfen, stadtweite Kampagnen organisieren und sogar kollektive Mietverträge erkämpfen. Mitglieder der Mietergewerkschaft helfen sich auf allen Ebenen in ihrer Auseinandersetzung mit den Vermietern: Vom gemeinsamen Schreiben von Beschwerdebriefen bis hin zum Einberufen von Haus-, Straßen und Stadtteilversammlung zur Vorbereitung vielseitigster kollektiver Aktionen gegen die konkreten Missstände in unseren Nachbarschaften. Eine Mietergewerkschaft kann nur effektiv sein als Zahnrad einer umfassenderen sozialen Infrastruktur. Es reicht nicht den Kampf alleine auf das Feld der Mieten zu beschränken. Denn Mieter sind auch Arbeiter und was immer wir an möglichen Mietsenkungen erkämpfen, kann leider schnell wieder durch Lohnsenkungen kassiert werden. Wenn wir uns mit dem Gewerkschaftskampf im Betrieb verbinden und gemeinsam wachsen, können wir einen Gegenmacht zu den Chefs, Behörden und Vermietern aufbauen…“ Aus der Begründung externer Link bei der Mieter:innengewerkschaft in Frankfurt am Main externer Link
  • „Organisierung statt Befriedung“ am 20. März 2018 von Jessica Sommer im Lower Class Magazin externer Link ist ein Beitrag, der sich (vor allem) mit dem Konzept der MieterInnen-Gewerkschaft befasst: „Was sollen wir also tun, damit dieser Funke nicht erlischt? Auch in der jüngeren Vergangenheit gab es immer mal wieder diese Momente der Hoffnung in denen wir Linke dachten, jetzt sei der Moment gekommen, in dem unsere Bewegungen wieder erstarken würden, in dem der Druck von unserer Seite so zunehmen würde, dass wir dem Kapitalismus irgendwie den Gar aus machen würden: die Anti-Globalisierungs-Proteste Anfang des Jahrhunderts waren so ein Moment und natürlich die Platzbesetzungen während und nach Occupy. Doch dann passierte (so gut) wie nichts – und warum eigentlich? Die Politik-Professorin und Marxistin Jodi Dean argumentiert in ihrem klugen Buch „Crowds and Party“, dass die Linke sich davor scheut, langfristige Organisationsstrukturen aufzubauen, weil der Neoliberalismus so wirkmächtig ist, dass der in der Linken und in Linken selbst fortwirkt und so der Individualismus immer über langfristiges Engagement siegt. Ihr Appell: Das wird erst enden, wenn wir attraktive, aber vor allem robuste Alternativen bauen. Sie schlägt den Aufbau einer Partei vor. Das würde allerdings im Fall der Berliner Mieter*innen keinen Sinn machen: eine linke Partei aufbauen, die nur ein Thema hat? Der Misserfolg ist vorprogrammiert. Aber warum eigentlich keine Gewerkschaft gründen? Eine Gewerkschaft würde viele Probleme lösen, die es heute noch in der Mieter*innen-Bewegung gibt. Da wo die Mietervereine versagen, macht die Gewerkschaft überhaupt erst weiter. In London haben sich Mieter*innen mittlerweile in „Renter’s Unions“ zusammengeschlossen und durch Mietenstreiks erste Erfolge gegen Vermieter*innen erzielt. 5 Monate lange hatten Londoner Studierende gegen ihren Vermieter, das University College London gestreikt und gewonnen: die ausstehenden Mieten mussten nicht gezahlt werden und die Miete wurde gesenkt. Auch hierzulande könnten Mietenstreiks ein probates Mittel sein. Gerade die Möglichkeit des Streiks verschiebt auch das politische Kampffeld: heute sind es oftmals die Parteien und die Regierungen die in den Kämpfen angesprochen werden (müssen). Derzeit gibt es kaum Hebel um wirklich gegen Vermieter*innen wie die Deutsche Wohnen anzutreten und ihnen nachhaltig zu schaden“.
  • „Auf ein neues Level“ von Redaktion und Ferdi Konun bereits am 27. Mai 2012 in der Direkten Aktion externer Link zur selben Fragestellung der MieterInnen-Gewerkschaft: „Im Wesentlichen lassen sich derzeit drei Modelle auf diesem Feld ausmachen: das Engagement in Parteien, um wohnungspolitische Anliegen einzubringen; die Mietervereine, gewissermaßen Schutz- und Versicherungsorganisationen; Stadtteil- und Mieterinitiativen, in denen sich MieterInnen und AnwohnerInnen selbst organisieren. Zwischen diesen Formen kann es Überlappungen geben: So sind Menschen aus Initiativen auch in Parteien aktiv oder arbeiten Mietervereine mit Initiativen zusammen usw. Theoretisch gibt es noch das Konzept einer Mietergewerkschaft, wie es etwa in den USA von der Buffalo Class Action vorgeschlagen wurde. Auch die Ansätze der FAU-Schwestergewerkschaft ZSP in Warschau gehen in diese Richtung (…) Bei der Frage nach den Perspektiven jenes Konzeptes gilt es, dieses in die bisherige Organisationslandschaft einzuordnen (Parteien werden im Folgenden allerdings ausgeklammert). (…) Die Wurzeln der Gewerkschaften waren in vielen Ländern so genannte Arbeitervereine. Diese waren meist Schutzorganisationen, organisierten Versicherungen und Solidarität. Ihr funktionaler Charakter entsprach etwa dem, was wir heute von den Mietervereinen kennen, nur dass diese auf einem anderen Feld tätig sind und sich zu großen, professionalisierten (Dienstleistungs-)Strukturen entwickelt haben. (…) Einen analogen Wandel, hin zu sozialen Kampforganisationen, haben die Mietervereine nicht vollzogen. Dabei haben der Kapitalismus und der Wohnmarkt Bedingungen hervorgebracht, die dies als überfällig erscheinen lassen. Denn die großen Hausverwaltungen setzen viele MieterInnen in direkte Beziehung zueinander, in ihnen findet sich eine konzentrierte Angriffsfläche. So wie sich ArbeiterInnen in Betrieben und Branchen zusammentun, könnten sich MieterInnen nach Häusern und Hausverwaltungen – lokal und überregional – organisieren und potentiell bestimmte Tarife, Wohnstandards und Mitbestimmung durchsetzen, ja sogar ein Übernahmemodell entwickeln“.
  • Mietexplosion geht weiter: Kommt die „Explosion“ der MieterInnen-Bewegung?
  • Siehe auch: Aus dem Kampf der schwedischen Mietergewerkschaft
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=141578
nach oben