Tarifexperte über Folgen der Krise: „Uns droht Troika für alle“

Nicht nur die Südeuropäer sollen Löhne kürzen. Auch für die anderen Länder habe die EU-Kommission solche Pläne, warnt Tarifexperte Thorsten Schulten. Interview von Eva Völpel in der taz online vom 12.05.2013 externer Link

Aus dem Text: „… Die Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen, die wichtigste Direktion der Europäische Kommission, die auch die Troika-Memorandenprogramme mitschreibt, listet in einem aktuellen Report sogenannte „beschäftigungsfreundliche Reformen“ auf, die nötig seien. Sie sagt unter anderem ganz offen, wir wollen, dass die Tarifbindung reduziert wird und wir wollen, man höre genau hin, dass die allgemeine Lohnsetzungsmacht der Gewerkschaften reduziert wird. (…) Belgien beispielsweise hat ein sehr gut entwickeltes Flächentarifvertragssystem. Und sie indexieren ihre Löhne, das heißt, steigen die Preise über eine gewisse Marke an, werden die Löhne automatisch auch angehoben. Beides ist der Kommission ein Dorn im Auge. Sie fordert, die Indexierung abzuschaffen und empfiehlt, Betrieben sollte es möglich sein, vom System übergreifender Flächentarifverträge abzuweichen. Schweden wiederum empfiehlt die Kommission mehr Lohnspreizung nach unten. Bisher hat das Land eine sehr solidarische Lohnpolitik und versucht, den Niedriglohnbereich weitgehend durch Tarifverträge zu begrenzen. (…) Die Tarifbindung geht drastisch zurück, immer mehr Beschäftigte stehen also ohne Schutz eines Tarifvertrags da. Ganz deutlich sieht man das beispielsweise in Spanien. Von 2011 auf 2012 hat sich dort die Zahl der gültigen Tarifverträge von 4.337 auf 2.611 fast halbiert. Will man aber tarifliche Erfolge verallgemeinern, geht das nur über Flächentarifverträge. Die kann man leicht zerschlagen, aber es ist unglaublich schwierig, sie wieder aufzubauen. (…) Deutschland spielt die zentrale Rolle. Die Gewerkschaften hier müssen alles daran setzen, die deutsche Politik der europäischen Krisenbearbeitung zu verändern. Denn die Lage der Gewerkschaften in den Krisenländern erscheint mir doch relativ hoffnungslos, trotz der eindrucksvollen Mobilisierungen, die dort stattfinden.“

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