Machtfrage Transformation. Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand analysiert anstehende Umbrüche und plädiert für eine »eingreifende Politik«

Hans-Jürgen Urban: Gute Arbeit in der Transformation. Über eingreifende Politik im digitalen Kapitalismus. VSA-Verlag , Hamburg 2019In der IG Metall ist derzeit viel von »Transformation« die Rede. Das ist gut so. Denn es drückt aus, dass sich Europas größte Industriegewerkschaft von der Idee verabschiedet hat, der gegenwärtige Wandel sei lediglich graduell und könne strukturkonservativ begleitet und nur ein wenig sozial abgefedert werden. Es stehen dramatische Umbrüche an, so viel ist Konsens. Weniger klar ist, welche Antworten die Gewerkschaften darauf geben. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, positioniert sich hierzu im Vorfeld des Gewerkschaftstags im Oktober in Nürnberg. In seinem Buch »Gute Arbeit in der Transformation« plädiert er dafür, die anstehenden Umwälzungen nicht Marktkräften und Profitinteressen zu überlassen. Seine Gewerkschaft fordert er zu einer eingreifenden Politik auf, die Bündnisse mit anderen gesellschaftlichen Kräften sucht und auch weitergehende Fragen einer Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert. (…) Urban betont, dass den anstehenden Veränderungen unterschiedliche Potentiale innewohnen: »In ihnen steckt die Möglichkeit, Arbeit zu erleichtern und zu erneuern (…). Aber sie können gewiss auch Arbeit verdichten und entfremden.« Auf welche Weise sie wirken, ist demnach umkämpft und entscheidet sich »letztlich in Machtfragen«. Das hebt sich wohltuend vom Mainstream der IG Metall ab, der den Eindruck vermittelt, die Umbrüche könnten weitgehend im Konsens mit den Konzernen umgesetzt werden – wenn diese nur verstünden, was die Stunde geschlagen hat und dass sie ihre Beschäftigten brauchen, um die Herausforderungen zu bewältigen. (…) Vor diesem Hintergrund sei gesellschaftliche Gegenmacht unverzichtbar. Die Gewerkschaften sieht er dabei als Schlüsselakteure, die sich »in allen Reproduktionssphären zu positionieren und zu bewähren« haben. Von diesem Anspruch sind allerdings insbesondere die Industriegewerkschaften noch meilenweit entfernt...“ Rezension von Daniel Behruzi in der jungen Welt vom 10.09.2019 externer Link von Hans-Jürgen Urban: Gute Arbeit in der Transformation. Über eingreifende Politik im digitalen Kapitalismus. VSA-Verlag externer Link, Hamburg 2019, 264 S. Siehe dazu eine weitere Rezension und ein Interview mit dem Autor:

  • »Es gibt Anlass, die Eigentumsfrage neu zu stellen«
    Hans-Jürgen Urban ist Vorstandsmitglied der IG Metall und spricht im Interview von Sebastian Puschner bei der Freitag vom 26. September 2019 externer Link über Vergesellschaftungen: „… Die Belegschaften wissen, dass wir die verbindlichen Klimaziele im Interesse des Erhalts natürlicher Lebensgrundlagen einhalten müssen. Aber sie stecken in einem Dilemma – es geht um Klimaschutz, aber zugleich um ihre Arbeitsplätze, Beschäftigung und Einkommen. Zumal viele Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen und auf Restrukturierung und Standortschließungen setzen – nicht aus Umweltgründen, sondern um exorbitante Renditen zu halten. Diese Konflikte erzeugen mitunter Ängste; und die Gefahr, sich in strukturkonservativen Haltungen zu verschanzen: Lieber das Bewährte verteidigen als sich auf das riskante Neue einlassen. (…) Es gibt in den Gewerkschaften konkrete Vorschläge für mehr Mitbestimmung, aber keine entwickelte Debatte über Alternativen zum kapitalistischen Markt. Doch auch bei uns wird vielfach argumentiert, dass eine Ökonomie, die auf dem Profitprinzip und einem daraus resultierenden Wachstumszwang fußt, kaum in der Lage sein wird, die großen Menschheitsprobleme zu lösen: etwa die ungerechte Verteilung des Wohlstands und die Zerstörung von Gesellschaft und Natur. Aber die große Frage lautet ja: Wie denn dann? (…) Das Motto „Nie wieder wachsen“ halte ich für genauso falsch wie das Gegenteil – dass die Probleme schlicht durch mehr Wachstum gelöst werden können. Solange Wachstum soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung befördert, ist es Teil des Problems, nicht die Lösung. Es geht darum, anders zu wachsen! Und das führt uns wieder zum Demokratiethema: Wie sich die Wirtschaft, wie sich die Gesellschaft entwickeln soll, muss nach demokratischen Spielregeln durch die Gesellschaft selbst und nicht durch Profit- und Wachstumszwänge entschieden werden. Ich plädiere dafür, das zum Kern einer neuen wirtschaftsdemokratischen Debatte zu machen. In Berlin geht eine Initiative daran, Deutsche Wohnen & Co. zu enteignen, um Räten aus Mietern, Beschäftigten, Politik wie Bürgern das Sagen zu geben. Ich freue mich über diese Bewegung und darüber, dass viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dabei sind…“
  • [Rezension] Transformation zu Guter Arbeit
    „Hans-Jürgen Urban bietet in seinem Buch zur Transformation der Wirtschaft zahlreiche Hinweise für die Zivilisierung und Regulierung der kapitalistischen Markt- und Profitlogik. Das schafft er jenseits anachronistischer Verstaatlichungsrezepte und biederer altsozialistischer Illusionen. Absolut lesenswert. (…) Die Gewerkschaften – und allen voran die IG Metall – begegnen der Herausforderung der Transformation des Kapitalismus mit dem gewerkschaftspolitischen Strategiebegriff „Gute Arbeit“. Gemeint ist damit nicht etwa eine Rückkehr zu den „guten alten Zeiten“ des fordistisch geprägten Normalarbeitsverhältnisses, sondern eine situativ angemessene Neujustierung von kollektiven Arbeitsrechten und individuellen Autonomie- und Emanzipationsansprüchen. In diesem Sinne ist Gute Arbeit eine „regulative Idee“ (Kant) oder „reale Utopie“ (E.O.Wright). Das heißt: Sie ist eine nach dem Stand der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung mögliche, aber von den herrschenden Machtverhältnissen vorerst blockierte Kombination von sozialer Sicherheit, individueller Autonomie und ökologischer Nachhaltigkeit. Ob und wann es zu einer solchen Kombination kommt, hängt von den Interessen- und Machtverhältnissen zwischen den Akteuren Staat, Kapital und Arbeit ab, vor allem aber von der Solidarität und Konfliktbereitschaft der Gewerkschaften und ihrer Mitglieder. (…) Das Konzept Gute Arbeit revitalisiert in diesem Sinne ein gewerkschaftliches Programm, dass in den 1980er-Jahren unter dem Titel „Humanisierung der Arbeitswelt“ aufgelegt worden war. (…) Urban lässt keinen Zweifel über die normative Grundlage des Konzepts Gute Arbeit: „kontinuierliche Arbeitszeitverkürzung“. Ohne sie ist „eine solidarische Verteilung des Arbeitsvolumens“ auf alle Erwerbspersonen unmöglich. Obendrein ist die Entbindung von Mobilisierungspotenzialen der Produktivitätssteigerung nur möglich, wenn die Wirtschaft demokratisiert und die grundgesetzlich garantierte Sozialbindung des Eigentum aktualisiert wird…“ Rezension von Rudolf Walther vom 24.09.2019 bei der DGB-Gegenblende externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=154269
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