Europa von unten: Was deutsche Gewerkschaften verlernt haben und aus strategischen Erwägungen nicht mehr wirklich wollen – oder, wie man grenzüberschreitend das Gegenteil von Solidarität praktiziert.

Die InternationaleWas haben dem Management nahe stehende Betriebsräte und links angehauchte lokale und regionale Gewerkschaftskader in Deutschland gemeinsam? Sie verkaufen ihre Seele an den Wettbewerb und verhindern gezielt einen solidarischen Interessenausgleich zwischen den Beschäftigtengruppen, den Unternehmensstandorten, innerhalb der Wertschöpfungsketten und grenzüberschreitend sowieso. Sie nutzen ihre Kapazitäten bewusst nicht für einen breiten Interessenausgleich. Die Kernbelegschaft des jeweiligen Unternehmens ist zur heiligen Kuh eines neuen Klassenkampfs geworden. Diese Kerngruppe wird bei der Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg von den Beschäftigten mit anderem Status gezielt abgegrenzt, um den vermeintlichen Gesamterfolg des Unternehmens nicht zu gefährden. Die durchschlagende Kurzfriststrategie auf der einzelbetrieblichen Ebene hat die Gewerkschaftsstrukturen erschüttert, Solidarität zur unerwünschten Floskel degradiert und eine brutale Hierarchie im Interessenausgleich in der Arbeitnehmerschaft etabliert. Gewerkschaften sind hier aber nicht Opfer, sondern Täter. Harter Einsatz für die Kernbelegschaft eines Unternehmens gilt als klassenkämpferisch, auch wenn er sich gegen die Interessen anderer Belegschaftsgruppen oder Standorte im In- und Ausland richtet…“ Artikel von Hardy Koch vom 14.02.2017 bei Makroskop externer Link und, weil wir den Beitrag so gut finden, umfangreiche Zitate hieraus:

  • Aus dem Text: „… Weg vom Ausgleich zwischen verschiedenen Statusgruppen in der Arbeitnehmerschaft, weg von den Partnern in Europa und weg von den Prinzipien eines solidarischen Interessenausgleichs. In diesem Konzert gebärdet sich der DGB mit seinen Mitgliedsorganisationen als die Heuschrecke Europas im System der Interessenvertretung. Nach dem Prinzip, stark macht nur, was uns stark macht, hat man mit zurückhaltender Lohnpolitik, rücksichtslosem Standortgeschacher und der globalen Gewerkschaftszuständigkeit unter deutscher Führung die Konturen eines neuen Selbstverständnisses erkennen lassen. (…) Und dann geschieht das „Unglaubliche“. Die europäischen Regierungen beraten bei Ihrem ‚Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit‘ auch über Tarifpolitik. Das gewerkschaftliche Gezeter ist groß. Was die Heuchler in den gewerkschaftlichen Chefetagen übersehen, ist die Tatsache, dass sie selbst durch ihre tarifpolitische Enthaltsamkeit im grenzüberschreitenden Kontext erst die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass sich auf diesem Hauptgeschäftsfeld der Gewerkschaften jetzt andere genussvoll tummeln. So kann das gehen, wenn man seinen eigenen Argumenten nicht mehr traut, die da lauten: langfristige Ziele und Stabilität gehen vor kurzfristiger Abzocke. Aber wenn die Grundsatzabteilung europäisch heuchelt, während die Tarifabteilung das nationale Schwert schärft, kann das Ergebnis nicht anders sein. Stillstand oder Rolle rückwärts. (…) Auf der einen Seite findet eine zunehmende Verbetrieblichung der gewerkschaftlichen Arbeit statt, aber auf der anderen Seite lässt man die betrieblichen Akteure im Regen härter werdender Konkurrenz stehen. Dabei muss gemeinsame grenzüberschreitende Teilhabe nicht notwendiger Weise zu materiellen Verlusten führen. Die entstehen bei Restrukturierungsverhandlungen in den meisten Fällen ohnehin. Es geht hier definitiv um geteilte Verantwortung, mit dem Ziel, gemeinsam besser bestehen zu können. Aber es läuft nicht, weil sich jeder selbst der Nächste ist. (…) Es muss zu einer wirklichen Europäisierung der Gewerkschaften kommen. D.h., die Statuten der Organisationen müssen so verändert werden, dass bestehende europäische Gewerkschaftsstrukturen nicht als Vorfeldorganisation, als abhängige Botschaft im Ausland oder als Befehlsempfänger verkommen. Da muss Macht direkt und unmittelbar hin, und das selbst dann, wenn man dabei die eigentlichen Machtträger nach Europa schiebt. (…) Macht teilen oder umverteilen? Dieser Gedanke behagt der Avantgarde der deutschen Betriebsräte und Arbeitsdirektoren nicht. Interessenvertretung von unten nach oben denken? An den Orten der Unternehmenszentralen und betrieblichen Entscheidungszentren größere Verantwortung für alle Beteiligten in der europäischen Wertschöpfungskette übernehmen? Ja, wer sind wir denn? Weiß denn keiner, unter welchem enormen Druck wir stehen? Wir sind doch die armen Schweine des Systems. Glaubt vielleicht jemand, wir lassen uns zum Vergnügen korrumpieren?...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=111881
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