„Stärker denn je“? Die IG Metall im Spagat

Artikel von Jochen Gester als Vorabdruck aus der nächsten SoZ vom März 2014 – wir danken!

Gewerkschaftstage der IG Metall sind mehr als trockene Arbeitssitzungen. Sie sind emotionale Events, inszeniert, um die Delegierten im Gefühl zu bestärken, einer großen und mächtigen Organisation anzugehören, die auf der Straße des Erfolgs marschiert. So war es auch auf dem letzten a.o. GT im Dezember. In seiner Eröffnungsrede traf der neu gewählte Vorsitzende Detlef Wetzel den angesagten Ton:„Man hat versucht uns zu vernichten, man hat uns bekämpft, und doch sind wir immer noch da. Stärker denn je! Sein Kollege Armin Schild, Leiter des IG Metall-Bezirks Mitte und Mitglied des SPD-Vorstands, – er war an den Verhandlungen zum Regierungsprogramm der Groko beteiligt – , wiederholte diese Einschätzung in einem Interview der „metall“: „Der Koalitionsvertrag ist ein ermutigendes Zeichen dafür, dass Gewerkschaften Einfluss auf die Politik nehmen können. Wir hatten noch nie so großen Einfluss.Und in einer Presseerklärung der IG Metall war zu lesen, das Regierungsprogramm der Groko bilde eine Grundlage für einen Kurswechsel der Politik im Interesse der Beschäftigten.

Auch wenn man sich hier ein wenig verwirrt die Augen reibt und nicht so recht an das unerwartete  Wunder glauben mag, macht man es sich zu einfach, wenn man darin nur politisches Kabarett sieht. Denn positive Entwicklungen im Organsiationsbereich der IG Metall, die Ausdruck wachsender gewerkschaftlicher Einflussnahme sind oder zumindest sein können, gibt es durchaus. Im dritten Jahr in Folge übersteigt die Zahl der neuen Mitglieder diejenigen, die durch Austrit oder Tod die Organisation verlassen. Dabei dürfte es von besonderer Bedeutung sein, dass die Zahl der jungen Mitglieder am stärksten wuchs. Die IGM-Jugend ist mit 227 000 Mitgliedern der größte deutsche Jugendverband. Schließlich gibt es auch Zulauf aus einem Bereich, der lange sehr stiefmütterlich behandelt wurde: 2013 wurde der 60.000ste Leiharbeiter organisiert. Auch wurden Fortschritte im Aufbau neuer gewerkschaftlicher Strukturen erzielt, so z.B. im Bereich der Produktion regenerativer Energieanlagen. In neuen Betrieben konnten gewerkschaftliche Beriebsräte gebildet werden. Auch gelang es, in wichtigen Betrieben Leiharbeitsverträge in feste Anstellungsverhältnisse umzuwandeln. Soweit so schön.

Doch diese Fortschritte bleiben durch die grundsätzliche Ausrichtung – die IG Metall sieht sich als als Sozialpartner eines gemeinsamen Wettbewerbspakts mit den großen in Deutschland ansässigen Konzernen der Branche – gleichzeitig begrenzt und bedroht. Nicht zufällig gab Bertod Huber sein Debut als Buchautor mit einer Veröffentlichung darüber, wie sich eine europäische Gewerkschaftsbewegung als solidarisch agierender Akteur entwickeln kann, sondern mit Gedanken über einen „Kurswechsel für Deutschland“. Auch Detlef Wetzel sprach in seiner Antrittsrede darüber, wie „wir“ „unseren Spitzenplatz in der Weltwirtschaft“ verteidigen können. In der Konsequenz prägt dieses Denken alle Felder gewerkschaftlichen Handelns. Vor allem impliziert es die praktische Verpflichtung die (letztlich von dem Management definierte) Wettbewerbsfähigkeit der „eigenen“ Unternehmen nicht zu beeinträchtigen.

Auch wenn es durch die Equal Pay-Verordnung der EU die Möglichkeit gegeben hätte, künftig Leiharbeiter/innen nach Tarifvertrag zu bezahlen, zog man es vor, diese Anpassung durch eigene Tarifverträge abzufedern. Auch lehnt es die IG Metall heute ab, diese früher bekämpfte Form der prekären Beschäftigung generell infrage zu stellen. Nicht anders beim Mindestlohn. Geradezu auffällig ist der unkritische Umgang mit der jetzt von der Groko vereinbarten Lohnhöhe von 8,50 €, die ja nicht einmal zu einer Rente oberhalb der Grundsicherung verhilft. Auch ist nach wie vor offen, wer davon alles ausgenommen ist.

Besonders deutlich wird die faktische Anerkennung der Agenda 2010-Politik in der Rentenfrage. Die IG Metall verzichtet trotzgewaltiger Mehrheiten dafür innerhalb der Bevölkerung auf die Forderung nach Rücknahme des Gesetzes zur Heraufsetzung des Rentenzugangsalters auf 67 Jahre zugunsten eines Konzepts des flexibilisierten Ausstiegs für besonders belastende Tätigkeiten. Das jetzt beschlossene und hochgelobte Rentenpaket ist eher ein kleiner Hopser als der große Sprung nach vorn. Der Kreis der Menschen mit 45 Jahren Erwerbsarbeit, der jetzt in den Genuss einer vorzeitiger Altersruhe ohne Rentenminderung kommt, soll nicht einmal 20 000 Lohnabhängige umfassen.

Geradezu dünnbierig sind die Positionen des IG Metall-Vorstands in Fragen gewerkschaftlicher Rechte und der Demokratie. Gewerkschaftlichen Publikationen und Reden verantwortlicher Funktionäre zeichnen ein Bild, nach dem in einer Gesellschaft Demokratie herrscht, wenn es Wahlen zu Parlamenten und im Unternehmen Betriebsratswahlen gibt. Die betrieblichen Herrschaftsverhältnisse, die im bedeutendsten Teil der Gesellschaft die Demokratie ausschließen, scheinen gar nicht mehr zu existieren. Es reicht heute, wenn die Gewerkschaft im Betrieb als Vertragspartner anerkannt wird, um der Betriebsordnung den Segen zu geben. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, dafür zu sorgen, dass es in diesem Spiel von scheinbar Gleichen „fair“ zugeht. Der IG Metall-Vorstand kann es sich als besonderess „Verdienst“ anrechnen, dass heute fast jede politische Kampagne mit diesem quarkigen Label beklebt wird.

Doch es geht um mehr als Begriffsdefinitionen. Die IG Metall ist in der Frage der sog. Tarifeinheit zu einer treibenden Kraft staatlicher Ordnungspolitik auf dem Arbeitsmarkt geworden. Diese ursprünglich geradezu klandestin vorbereite Gesetzesinitiative eines kleinen Männerbundes aus den Vorständen von Arbeitgeberverband und DGB zur Einschränkung des Streiksrechts erlebt jetzt ihren zweiten Anlauf, nachdem der erste an der innergewerkschaftlichen Opposition in ver.di scheiterte. Es war Bertold Huber, der dieses Wunschkind der Arbeitgeber danach adoptierte. Auch sein Nachfolger sieht sich in der Pflicht. Hier wird mir dann als IG Metall-Mitglied wirklich kotzübel. Auch wenn er die Vorhaben der Groko weniger euphorisch betrachtet, gibt es doch zu denken, dass Hans-Jürgen Urban als Vorstandsmitglied in einem Artikel der Zeitschrift „Sozialismus“, der sich mit dem Regierungsprogramm befasst, kein Wort zum Thema „Tarifeinheit“ verliert. Die Linke im Vorstand der IG Metall war schon immer prekär. Doch früher war wenigstens die Jugend langezeit eine feste Bank der linken Opposition. Doch dies ist heute leider Geschichte.

In diesen Kontext passt auch die Positionierung zum TTIP, zu dem sich die IG Metall bisher ziemlich bedeckt hält. Bekannt ist lediglich eine Stellungnahme aus den Wirtschaftspolitischen Informationen des Vorstands, die sich vor allem mit der Entwicklung der Handelsströme und möglichen Risiken der weiteren Liberalisierung befasst, die politische Sprengkraft des Vorhabens jedoch genau so wenig begreift wie schon vorher beim TTIP- Vorgänger MAI. Fast nicht wahrnehmbar ist die gewerkschaftliche Kritik in Fragen der Verteidigungs und Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr als weltweit agierende Interventionsarmee reizt ebeno wenig zum Widerspruch wie die Rekordhöhe im Rüstungexport. Unwillkürlich entsteht so im Kopf die gedankliche Brücke zu 1914. Auch damals war die Gewerkschaft zu einem bedeutenden sozialen Akteur herangewachsen, suchte jedoch dann ihr politisches Überleben im Schulterschluss mit einer imperialistischen Politik. Eine Lehre aus dieser Katastrophe für Gewerkschaften sollte vor allem darin bestehen, ihre Identität als nicht staatliche angebundene, international orientierte Bewegung von Lohnabhängigen zu pflegen und belastbare Verbindungen und Organisationsformen zu schaffen, die gemeinames Handeln über Grenzen hinweg ermöglichen. Da wäre dann ein wirklicher Kurswechsel.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=53079
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