[Buch] Sklaverei als Menschenrecht. Über die bürgerlichen Revolutionen in England, den USA und Frankreich

[Buch von Rainer Roth] Sklaverei als Menschenrecht. Über die bürgerlichen Revolutionen in England, den USA und FrankreichDie Versklavung von Millionen Afrikanern gehört zu den barbarischsten Erscheinungen der modernen kapitalistischen Zivilisation. Sie gilt allgemein als Verstoß gegen die universalen Menschenrechte des Liberalismus und der Aufklärung. (…) Sklaverei gehörte zu den ökonomischen Grundlagen, auf denen die Menschenrechtserklärungen Englands, der USA und Frankreichs fußten. Kapitalismus und Menschenrechte sind wirtschaftliche und rechtliche Grundlage auch der heutigen bürgerlichen Gesellschaften. Die barbarische Vergangenheit ist noch lebendig. Sie existiert in anderen Formen weiter…“ Buch von Rainer Roth (Frankfurt am Main, November 2015, 612 Seiten, 15,- Euro, zu bestellen über DVS – Digitaler Vervielfältigungs- und Verlagsservice, Frankfurt am Main, info@dvs-buch.de sowie info@klartext-info.de). Siehe dazu weitere Infos und eine Leseprobe:

  • Von der Sklaverei zur Lohnsklaverei
    Auszüge aus dem Kapitel 6.2 des Buches als exklusive Leseprobe im LabourNet Germany:

6.2 Von der Sklaverei zur Lohnsklaverei

6.2.1 Sklaverei, Lohnarbeit – zwei Arten von Knechtschaft

Überall, wo ein Teil der Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muss der Arbeiter, frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit überschüssige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel der Eigner der Produktionsmittel zu produzieren, seien diese Eigentümer nun … amerikani­scher Sklavenhalter, moderner Landlord oder Kapitalist“ (Engels (1868), Rezension des Ersten Bandes „Das Kapital“ MEW 16, 301).

[Mehrarbeit der Sklaven] Die Sklavenhalter besaßen sämtliche Produktions­mittel und den unfreien Ar­beiter, der ihnen als Arbeitsmaschine diente. Sie hatten die Arbeitskraft des Sklaven für immer gekauft mitsamt der Person. Sklaven besitzen keine Ware namens Arbeitskraft, sie selbst sind eine Ware.

Obwohl sie nicht sich selbst gehören, arbeiten sie dennoch eine gewisse Zeit für sich. Ein Teil der Arbeitszeit der Sklaven dient nämlich dazu, die Mittel für Lebensmittel, Kleidung, Unterbringung und minimale gesundheitliche Versor­gung zu erzeugen, die ihnen ihr Besitzer zur Verfügung stellt, ebenso die Mit­tel für die Ernährung und Kleidung nicht arbeitsfähiger Kinder und Erwachse­ner. „Was der Sklave an Lohn erhält, (ist) in der Tat nichts …, was der Sklaven­halter ihm vorstreckt, sondern nur der Teil der realisierten Arbeit des Sklaven …, der ihm in Form von Lebensmitteln wieder zuströmt“ (Marx (1863), MEW 26.3, 88). Der „Lohn“ des Sklaven besteht in Lebensmitteln und dem mietfreien Wohnen in Hütten, nicht in Geld. Sklaven arbeiten also einen Teil des Arbeitstages für sich, obwohl ihre gesamte Arbeit als unbezahlte Arbeit erscheint.

Die Quelle des Reichtums der Sklavenhalter war die Mehrarbeit der Sklaven, die Arbeitszeit, die über die Arbeitszeit hinausging, die der Selbsterhal­tung der Sklaven und ihrer Familien diente. Je weniger der Sklavenhalter für Er­nährung, Kleidung und Behausung seiner Sklaven ausgab, desto größer war sein Anteil an ihrer Mehrarbeit. Förderlich dabei war die verbreitete Gewohn­heit, den Sklaven ein kleines Stück Land zur Verfügung zu stellen, das für die Plantagenproduktion unbrauchbar war. Für eine bestimmte Zeit (bevorzugt sonntags) wurden Sklaven von der Arbeit für ihren Herrn freigestellt, damit sie ihre Parzelle oder ihren Garten bewirtschaf­ten konnten. Hier konnten sie sogar Kleinvieh halten und, wenn sie Über­schüsse erwirtschafteten, diese auf Sonntagsmärkten verkaufen. Je mehr sie ihren Lebensunterhalt durch Selbst­versorgung bestritten, desto weniger Le­bensmittel musste ihnen der Pflanzer zur Verfü­gung stellen, desto größer wurde also die Mehrarbeit. Im günstigsten Fall musste der Sklavenhalter überhaupt keine Verpflegung mehr für sie kau­fen. Sklaven scheinen „fast ohne Ausnahme die Eigenversorgung der Versor­gung durch den Herrn vorgezogen zu haben“ (Meissner 2008, 111). Die selbst erar­beiteten Nahrungsmittel dürften qua­litativ besser gewesen sein als die, wel­che die Sklavenhalter für sie abfallen ließen.

[Mehrarbeit der Lohnsklaven] Lohnarbeiter verkaufen ihre Arbeitskraft als Ware auf dem Arbeitsmarkt ge­gen Geld. Sie erhalten Lohn nicht als Vorschuss, sondern als Ertrag ihrer eige­nen Arbeit, nachdem der Käufer ihrer Arbeits-kraft diese eine Zeit lang genutzt hat. Der Lohn dient dazu, die Kosten der Re­produktion ihrer Arbeitskraft zu decken. Der Teil des Arbeitstags, dessen Er­träge darüber hinausgehen, stellt ebenfalls Mehrarbeit dar, deren Produkte dem Käufer der Ware Arbeitskraft zufallen. Lohnarbeiter können nur für ihre eigenen Bedürfnisse arbeiten, wenn sie eine gewisse Zeit umsonst für den Be­sitzer von Kapital arbeiten. Sie können nur für sich arbeiten, wenn sie Mehrar­beit für das Kapital abliefern. Das ganze Produktionssystem zielt da­rauf ab, diese Mehrarbeit zu erhöhen, vor allem, indem die Produktivität der Arbeit er­höht, aber auch, indem der Arbeitstag verlängert wird. Auch das „System der Lohnarbeit (ist) ein Sys­tem der Sklaverei“ (Marx (1875) MEW 19, 25). „Das Kapital pumpt in dem ihm ent­sprechenden gesellschaftlichen Produktions­prozess ein be­stimmtes Quantum Mehr­arbeit aus den unmittelbaren Produzen­ten oder Arbei­tern heraus, Mehrar­beit, die jenes ohne Äquivalent erhält und die ihrem We­sen nach immer Zwangs­arbeit bleibt, wie sehr sie auch als das Resultat freier kon­traktlicher Überein­kunft erscheinen mag“ (Marx (1894) MEW 25, 827).

Die Lohnarbeit erscheint nicht als Ausbeutung, sondern als gerechter Aus­tausch von Waren. Lohnarbeiter tauschen als Eigentümer ihrer Ware Arbeits­kraft die Nutzung dieser Arbeitskraft gegen die Ware Geld, welches an­deren Eigentümern gehört. Wenn Lohnarbeiter mit dem Lohn ihre Reproduktions­kosten decken können, erscheint der Tausch als Tausch unter Gleichen, als ge­recht, im anderen Fall erscheint er als ungerecht. Obwohl der Lohn nur die Unterhaltungskosten der Ware Arbeitskraft deckt und die Ergebnisse ihrer Mehrarbeit dem Käufer dieser Ware zufallen, erscheint die gesamte Arbeit der Lohnarbeiter als vollständig bezahlte Arbeit. Die Bezahlung pro Stunde oder pro Monat verdeckt die unbezahlte Mehrarbeit innerhalb dieser Stunden. Lohnarbeit erscheint deshalb auf der Oberfläche nicht als Ausbeutungsver­hältnis, obwohl sie auf der Aneignung unbezahlter Mehrarbeit beruht.

Mehrarbeit ist aber nicht nur Bedingung für Sklaverei in verschiedenen For­men. Sie wäre vielmehr Quelle des Wohlstandes der ganzen Gesell­schaft, wenn die Produzenten der Mehrarbeit sich deren Ergebnisse selbst an­eignen könnten, „Mehrarbeit überhaupt, als Arbeit über das Maß der gegebnen Bedürf-nis­se hinaus, muss immer bleiben. Im kapitalistischen wie im Sklavensystem usw. hat sie nur eine antagonistische Form und wird ergänzt durch den Müßiggang eines Teils der Gesellschaft“ (Marx (1894) MEW 25, 827).

6.2.2.1 Lohnarbeit – ebenfalls Zwangsarbeit

Der Vertrag zwischen dem Käufer der Ware Arbeitskraft und dem Verkäufer erweckt den Anschein, auf der Basis von Freiwilligkeit abgeschlossen zu sein. Tatsächlich aber beruht er auf Zwang, da sich eigentumslose Lohnarbeiter die Mittel zum Leben an­ders als durch diesen Verkauf nicht beschaffen können. „Der Schein seiner Unabhängigkeit wird durch den beständigen Wechsel des in­dividuellen Lohnherren und die juristische Illusion des Kontrakts aufrechterhal­ten“ (Marx (1867) MEW 23, 599).

Lohnarbeiter sind nicht durch eine Besitzurkunde bzw. Ketten an ihre Nutzer gebunden, sondern dadurch, dass sie auf Grund ihrer Eigentumslosigkeit ge­zwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Sie sind lebenslänglich nicht an einen bestimmten Käufer gekettet, was sie zu direkten Sklaven machen wür­de, sondern an die Gesamtheit der Käufer. Mit Lohnarbeit als vorherrschender Form der Aneignung unbezahlter Arbeit sind arbeitende Menschen persönlich frei, aber indirekt Sklaven bzw. „Leibeigene“ des Gesamtkapitals. Lohnarbeiter sind moderne Sklaven. Der Lohnarbeit zu entfliehen, ist schwierig, da sich die Möglichkeiten, Kleineigentümer zu werden, im Laufe der kapitalisti­schen Ent­wicklung immer mehr verringern.

[Lohnarbeit-Unfreiheit] Lohnarbeit ist eine Form von Knechtschaft und da­mit das Gegenteil von Frei­heit. Die Ideologen der bürgerlichen Revolution ha­ben das zu Beginn offen ausgesprochen. „Ein freier Mann macht sich dadurch zum Knecht eines ande­ren, wenn er ihm gegen Lohn für eine gewisse Zeit seine Dienste verkauft, die er dann verrichtet“. Das verleiht seinem Herrn aber „nur eine vorübergehende Ge­walt über ihn, die nicht größer ist, als in dem Vertrag zwischen ihnen vereinbart wurde“ (Locke 1977 II, § 85, 251 f.). Für die Ideologen des Bürgertums war die Lohnarbeit, da sie auf Abhängigkeit von Eigentümern beruht, eine Form der Unfreiheit. In den Augen Lockes ist „der größte Teil der Menschheit, der der Arbeit ergeben und von den Notwendigkei­ten seiner mäßi­gen Verhältnisse versklavt (enslaved) ist, und dessen Leben sich darin erschöpft, für die eigenen Bedürfnisse zu sor­gen“, zu einem geistigen und moralischen Le­ben nicht wirklich fähig (nach Los­urdo 2010, 121). Locke vergleicht Arbeiter mit Lastpferden und stellt sie zum Teil unter das Niveau von Tieren. Nach ihm „ist ein Hilfsarbeiter … nicht in der Lage, besser zu denken als ein Ein­geborener (a perfect natural)“ (nach Losurdo 2010, 123). Lohnarbeiter ste­hen für Locke auf ei­ner Stufe wie Sklaven, da beide nichts als Lasttiere bzw. Werkzeu­ge sind. Auch Abbé Sieyès, einer der Führer der französi­schen Revolution in ihren Anfän­gen, nannte den größeren Teil von Menschen „Arbeitsmaschinen“ oder „zwei­füßige Werkzeuge“ und „Arbeitswerkzeuge“ (Losurdo 2010, 122). Da sie unfrei sei­en, d.h. vom Willen anderer abhängig, ge­standen Locke und Sieyès Lohnarbei­tern auch kein Wahlrecht zu. Volkssouve­ränität bedeutete für sie Ausschluss des Volkes von der Souveränität, sowohl im ökonomischen als auch im politi­schen Leben. Nur die erheblich gewachse­ne Stärke und Qualität der Lastpferde und Arbeitsmas­chinen hindert heute die Bourgeoisie daran, mit der glei­chen Ver­achtung wie ihre Vorgänger über Arbeiter zu reden.

Die Gesellschaft der Lohn­arbeit, da auf die private Aneig­nung der Mehrarbeit der Produzenten gegrün­det, macht die Herrschaft eines Teils der Gesellschaft über den anderen not­wendig. Das Knechtschaftsverhält­nis der Lohnarbeit er­fordert wie jedes Knechtschaftsverhältnis auch ein Herr­schaftsverhältnis.

[Lohnarbeit kein absoluter Gegensatz zur Sklaverei] Lohnarbeit steht nicht in einem absoluten Gegensatz zur Sklaverei, wie die Begriffe unfreie Ar­beit für Sklaverei und freie Arbeit für Lohnarbeit sugge­rieren, sondern nur in einem relativen. „Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter, abgepresst wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z.B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der Lohnar­beit“ (Marx (1867) MEW 23, 231). Nur durch ihre Form unter­scheiden sich auch die Methoden der Ausbeutung, die auf dem Boden der ka­pitalistischen Gesell­schaftsformation wechseln. Da Kapital sich durch die An­eignung von Mehrar­beit vermehrt, ist es grundsätzlich mit allen Formen kom­patibel, in denen Mehrarbeit abgeleistet wird. Kapitalismus ist kompatibel mit Sklaverei, Schuldsklaverei, Lohnsklaverei und allen anderen Arten von Zwangsarbeit. Es wundert also nicht, dass heute, obwohl Lohnarbeit vorherr­schend geworden ist, immer noch offene Sklaverei und Kon­traktsklaverei exis­tieren (vgl. Bales 2001).

Dennoch entspricht die Sklaverei nicht der kapitalistischen Produktionsweise. Diese setzt den freien Lohnarbeiter voraus, der seine Arbeitskraft als Ware auf dem Arbeitsmarkt verkauft, nicht den Sklaven. Sklaverei erscheint deswegen als ungerecht, Lohnarbeit dagegen als gerecht. „Die Gerechtigkeit von Transak­tionen (Geschäftsbeziehungen), die zwischen Produktionsagenten vorgehn, be­ruht darauf, dass die Transaktionen aus den Produktionsverhältnissen als na­türliche Konsequenz entspringen. … Dieser Inhalt ist gerecht, sobald er der Pro­duktionsweise entspricht, ihr adäquat ist. Er ist ungerecht, sobald er ihr wider­spricht. Sklaverei, auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise, ist unge­recht; ebenso der Betrug auf die Qualität der Ware“ (Marx (1894) MEW 25, 352).

6.2.2 Lohnarbeit – vorteilhaft für Erhöhung der Mehrarbeit

Noch einmal: Die „Verwandlung von Sklaven und Leibeignen in Lohnarbeiter (ist) … bloßer Formwechsel“ (Marx (1867) MEW 23, 789), Formwechsel in dem Sinn, dass mit der Abschaffung der Sklaverei nur die Form der Aneignung von Mehrar­beit wechselt. Die Form der Aneignung von Mehrarbeit ist jedoch nicht unbedeutend. Unter den Bedingungen der Lohnarbeit können sich die produk­tiven Kräfte der Pro­duzenten besser entfalten als unter den Bedingungen der Sklaverei und der Leibeigenschaft.

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