Buch: „Arbeit ist nicht unser Leben“. Anleitung zur Karriereverweigerung

Buch von Alix Faßmann: Arbeit ist nicht unser Leben. Anleitung zur KarriereverweigerungArbeit ist längst zur Religion geworden. Doch in Zeiten von Wirtschaftskrise und Arbeitsplatzabbau ist der Traum vom Aufstieg durch Arbeit geplatzt. Vor allem junge Menschen sind trotz guter Ausbildung und hohem Einsatz von extremen Unsicherheiten geprägt. Als Vertreterin der Generation Y räumt Alix Faßmann mit den Glaubenssätzen der neuen Religion auf. Sie zeigt, dass Karriere eigentlich dumm, Arbeit arm, Ehrgeiz krank und Wachstum unglücklich macht. Zeit für eine neue Haltung, die uns die Macht über unser Leben zurückgibt.“ Verlagsinfo zum Buch von Alix Faßmann (Bastei Lübbe Paperback, 271 Seiten, Ersterscheinung: 15.04.2014, ISBN: 978-3-7857-6104-5, 12,99 EUR, Downloadpreis: 9,99 EUR). Siehe dazu:

  • „Arbeit ist nicht unser Leben“ von Alix Faßmann
    Karriereverweigerung – die Berliner Autorin und Journalistin Alix Faßmann hat sie praktiziert: Sie kündigte einen entfremdeten Job. Die persönliche Verweigerung aber kann immer nur der Anfang sein, gefragt ist eine neue Solidarisierung…“ Audio-Datei der Bayern 2-Sendung vom 12.06.2014 externer Link Audio Datei (07:14 Min)

Eine Rezension von Armin Kammrad vom 30.10.2014

Die Journalistin Alix Faßmann, Jahrgang 1983, Tochter eines Facharbeiters bei VW und der Leiterin eines Kindergartens, geht in ihrem Buch „Arbeit ist nicht unser Leben“ (1) angesichts der Tatsache, dass das Versprechen von „Sicherheit und Wohlstand durch Arbeit“ zur „hohlen Phrase verkommen“ ist, davon aus, dass Arbeit nicht mehr unser Leben sein kann und fragt sich: „Ist das richtig und sinnvoll, dass ich Arbeit habe und mich trotzdem immer wieder beschwere?“ „Und vor allem: Wo soll das denn hinführen? Kommt da noch was?“ Diese Frage stelle sich besonders für ihre Generation, der mainstream-verbrämten sog. „Generation Y“ (Generation why?).

Eine Antwort versucht Alix Faßmann mit dieser Veröffentlichung zu geben. Und sie macht es sich nicht leicht. Sie weiß, dass weder Selbstverwirklichung abseits oder gar auf Kosten anderer noch das Warten auf ein besseres Leben durch Verordnung von oben, eine Lösung darstellen können. Sie schont mit ihrer durchgehend radikalen und faktenbezogenen Kritik weder die kapitalistische Gesellschaft, noch tritt sie dem Einzelnen mit seinem Hang zur Realitätsverleugnung aus Gründen eingebildeter Noch-Sicherheit zu nahe. Was den Einzelnen betrifft, zeichnet sich Alix Faßmann eher durch große Toleranz aus und statt Zynismus wird durchgehend Aufklärung in angenehm lesbarer Form geboten. An die Stelle von Klagen setzt sie Optimismus, und das bei einer sehr schwierigen und kontroversen Problematik: der Arbeit. Ihr Vorschlag für das, was sich bereits heute realisieren ließe lautet „Selbstermächtigung“, statt der bewussten oder unbewussten Ermächtigung des Systems, über die Art und Weise des Arbeitens und damit Lebens in doppelter Abhängigkeit von Arbeits-, sprich Existenz- und Konsumzwangs, maßgeblich zu bestimmen. Die Schlüsselwörter heißen „Zivilcourage“, „Solidarität“ und „Verweigerung“. Dafür wäre schon vieles da, nicht oben sondern unten, man muss es nur suchen und die Begegnung damit zulassen, keine Verteidigungshaltung „in Form von Elektrozäunen, Mauern und Grenzpatrouillen“.

Das Buch ist übersichtlich gegliedert. Es beginnt mit der Feststellung „Karriere macht dumm“. Dem folgenden Kapitel zu den Themen, dass Arbeit arm und Ehrgeiz krank macht sowie zu einem freien Markt, der nicht frei und zu einem Wachstum, was – zumindest die Mehrheit – nicht glücklich macht. Dass falsch verstandene Moral klein halten kann und die Renten gegenwärtig, trotz permanent schwindender Beträge, für ein Interesse an grundlegender Veränderung immer noch „viel zu sicher“ sein können, sind weitere Themen von Alix Faßmann. Der große Bogen der Gesellschaftskritik schließt mit einem Aufruf zur Solidarität („Zusammen sind wir weniger allein“) und mit der mutigen Behauptung: „Denn wir wissen, was wir tun“.

Es handelt sich jedoch um keine kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft vom Schreibtisch aus, obwohl natürlich dieses Buch am Schreibtisch – bzw. am Computer – entstand. Es ist zugleich und vor allem ein Reisebericht. Und dies im doppelten Sinne: So geht es zum einen tatsächlich um eine längere Reise von Berlin bis nach Sizilien. Zum anderen sammelte Alix Faßmann dabei neue und für sie wesentliche Erkenntnisse und reist so nicht nur von Ort zu Ort, sondern von einem Aha-Erlebnis zum nächsten. Die eigenen Erfahrungen spielen in ihrer Veröffentlichung eine zentrale Rolle. Trotz thematischer Gliederung zieht sich durch das Buch ein chronologischer Reise- und Erfahrungsbericht, eine Art „Reisetagebuch voller Geschichten“. Alix Faßmann sucht nicht das Andere, sondern durch das Andere sich selbst und damit das, was auch andere tun könnten. Was kann mensch machen, wenn mensch die herrschende Art des Lebens durch Arbeit und Konsum zwar ablehnt, aber trotzdem allein schon aus existenziellen Gründen dieses System nicht hinter sich lassen kann – zumindest heute noch nicht? Um diese Frage zu beantworten startete Alix Faßmann mit einem klapprigen Wohnmobil eine Reise ins „Nichts“, wie selbst es bezeichnet.

Die Reise beginnt bei der „Anderen Volkspartei“. Wer im Internet nachschaut erfährt, dass damit die SPD gemeint ist. Allerdings trügt der Eindruck im Internet etwas: Alix Faßmann war nie SPD-Mitglied und arbeitete ausschließlich als Parteilose an einem SPD-Projekt mit, was viele Erwartungen weckte, jedoch letztlich Alix Faßmann dazu veranlasste, von heute auf morgen zu kündigen und auf Entdeckungsreise zu gehen. „Sagt uns, wie ihr die Welt erkennt – und lasst uns, unsere Mitglieder und Wähler daran teilhaben! Bildet unsere Partei ab, so wie ihr sie seht! Seid fair, aber schonungslos!“ Dies war jedoch nur eine werbewirksame Hülle ohne Inhalt und Alix Faßmann war enttäuscht – nicht nur von der SPD, sondern von der herrschenden Art zu arbeiten überhaupt, deren Hauptmerkmal die ständige Angst vor Abstieg und Ausgrenzung ist und in der Konkurrenz und Unterordnung ein Wesensmerkmal sind. Alix Faßmann warf alles hin und reiste mit einem „Schrottomobil“ und nur wenig Kröten in der Tasche Richtung Italien einer unbekannten Zukunft entgegen. Ihren eigenen Aussage nach war dieses Reiseziel nicht Resultat einer bewusst getroffenen Entscheidung. Sie wollte nur weg, nicht um nun etwas anderes zu erleben, sondern um anders zu leben. Sie zweifelte am herrschenden Verständnis von Arbeit, aber war nicht verzweifelt, sondern guten Mutes trotz immer wieder auftretender und zum Teil erheblicher Probleme während ihrer Entdeckungsreise.

Was sie dabei im Einzelnen erlebte, stellt sich in den einzelnen Kapiteln dar, die sich stellenweise wie ein spannender Roman lesen. Alix Faßmann findet immer wieder und trotz aller – besonders finanziellen – Tiefpunkte Alternatives. Nicht nur bei sich selbstorganisierenden Produktions- und Lebensgemeinschaften, wie der Servizio in Caltanissetta, sondern auch bei anderslebenden und andersdenkenden Menschen. Eingebettet in die Erlebnisse sind Reflektion, Erläuterung und viele Rück- und Nebenblicke. Alles, was zum Verständnis der heutigen Arbeitswelt wichtig ist, erscheint an passender Stelle bis hin zur Darstellung des Neoliberalismus mit seiner sozialdarwinistischen Ideologie.

Irgendwann, gegen Schluss, geht es doch zurück nach Berlin. Und auch dort wird nun viel Neues und bisher Unerkanntes entdeckt, nachdem der Blick für Alternativen durch die Reisezeit geschärft ist. Eine Rückkehr erfolgt auch wieder in „normale“ Arbeit bei einer Berliner Tageszeitung. Alix Faßmann betrachtet diese jedoch nicht mehr als ihre Arbeit und als ihr Leben, sondern als etwas, von dem man sich nicht auffressen lassen darf, auch wenn es aus existenziellen Gründen – heute noch – unausweichlich ist. Gleichwohl ist dieser Schritt konsequent. Denn einfach nicht mehr für einen anonymen Apparat zu arbeiten, geht noch nicht, und wo es vielleicht funktioniert, ist es nur ein individueller Ausstieg, der den Rest unverändert lässt. Genau dies will Alix Faßmann nicht – und veröffentlicht deshalb lieber im kapitalistischen Medienbetrieb ihr Buch über den Widerspruch von Arbeit und Leben und macht Leserin und Leser für Alternativen empfänglich.

Erwähnenswert ist auch der ständige Versuch auf alle möglichen Probleme und Einwände zu antworten. Nicht jeder wird alle Lösungsangebote begrüßen. Dies trifft nicht nur auf den Hinweis zu, dass „eigentlich“ genug für alle da wäre, würde es anders verteilt werden, sondern betrifft auch das Hauptproblem „Arbeit“. „Wenn wir anerkennen, dass wir letztlich auf dem ganzen Planeten in einer großen Wohngemeinschaft wohnen, in der einige Dinge nun einmal erledigt werden müssen, dann würden sich durchaus Lösungen finden, die dem Einzelnen seine Freiheit ließen“, ist sich Alix Faßmann sicher. „Die Drecksarbeit wäre dann keine Arbeit mehr, sondern eine wichtige Aufgabe, die gemacht werden muss“ und deshalb besonders große Anerkennung finden wird. Bei Karrierejägern mit Anzug und Krawatte kann solche Perspektive natürlich Neidgefühle hervorrufen.

Probleme können mancheinem auch die deutlichen Wort von Alix Faßmann zu den Hinterlassenschaften der sog. „Baby-Boomer“ bereiten. Die Behauptung „Die Renten sind viel zu sicher“ ist provokant, aber es stimmt: Über Altersarmut wird medial viel mehr debattiert als über Kinderarmut, obwohl beides nur zwei Seiten der selben Angelegenheit sind. Alix Faßmann versteht durchaus die heutigen Probleme ihres Vaters, dem „klassischen“ Facharbeiter bei VW. Warum es ihr jedoch geht ist – mehr Solidarität, statt eines Kampfes Jung gegen Alt und umgekehrt. Dies setzt gegenseitiges Verständnis voraus, wobei Alix Faßmann letztlich auch schreibt, damit die Älteren die heutigen Probleme der Jüngeren besser verstehen. Ihr Buch ist deshalb nicht nur, sondern besonders den Älteren zu empfehlen: Ihre Generation hat „zu wenig zu verlieren, als dass es nicht auf einen Versuch ankäme, etwas zu verändern“ ist Alix Faßmann überzeugt. „Und das verrostete Ding wird zusammenkrachen, wenn sich nichts ändert, so viel ist sicher. Doch die Lobby der Jungen ist viel zu klein, um den Umschwung allein zu schaffen. Dazu brauchen wir Mitstreiter“. Diesem Aufruf folgt man gern (2).

(1): Das Buch von Alix Faßmann „Arbeit ich nicht unser Leben – Anleitung zur Karriereverweigerung“ erschien im Bastei Lübbe Verlag Köln, ISBN 978-3-7857-6104-5, € 12,99 (D). Wer sich den Text lieber vorlesen lässt, für denjenigen gibt es auch eine Version auf CD.

(1): Nach ihrer Reise hat Alix Faßmann zusammen mit anderen Mitstreitern übrigens das „Haus Bartleby“ gegründet, ein Institut für Karriereverweigerer. Infos unter „karriere@hausbartleby.org externer Link

Siehe auch:

  • Buch gibt Tipps: So klappt die Karriere-Verweigerung
    „Ich kann meine Rechnungen und den Konsum von meinem Gehalt bezahlen – aber ist es all das wert? Gehört das so? Ist das richtig und sinnvoll, dass ich Arbeit habe und mich trotzdem immer wieder beschwere?“ Mit diesen Fragen spricht die Journalistin Alix Faßmann vermutlich vielen Berufstätigen aus dem Herzen. Sie fühlte sich oft lahmarschig, kennt „dieses diffuse Gefühl, nie fertig zu werden“ und hat Stunden mit Tiervideos auf Youtube verplempert, anstatt mit dem Job weiterzumachen. Aber sie hat den Kreislauf von Arbeit, Konsum und noch mehr Arbeit durchbrochen. Mit ihrem Buch „Arbeit ist nicht unser Leben“ (Bastei Lübbe) will Faßmann anderen Beschäftigten eine „Anleitung zur Karriereverweigerung“ geben…Artikel von Gesa Schölgens in der Frankfurter Rundschau vom 12. September 2014 externer Link. Aus dem Text: „(…) „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf lange Sicht unsere Chefs wählen müssen. Vom Eigentumsproblem ganz zu schweigen“, so Faßmann, die selbst aus einer Arbeiterfamilie kommt. Mit dieser Ansicht ist sie eine typische Vertreterin der Generation Y (ausgesprochen wie das englische Wort why = warum), den Menschen zwischen 15 und 35. „Geld bedeutet vielen in der jüngeren Generation heute schon weniger“, berichtet die Autorin im Vorwort. „Maßloser Konsum ist ihnen nicht so wichtig. Stattdessen streben sie nach Sinn, Selbstverwirklichung und Glück.“…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=68824
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