Neurotiker streiten ums Grundeinkommen

Artikel von Norbert Hermann vom 7.6.2015

BGE für alle!Dass Butterwegge auf schon bald neurotische Weise gegen alle Ideen von einem wie auch immer gestalteten emanzipatorischen Grundeinkommen zu Felde zieht ist ja nichts Neues. Als „Armutsforscher (bekannt aus Presse, Funk und Fernsehen) muss er das ja auch tun, weil ihm sonst die Daseinsberechtigung abhanden gehen könnte. Dass das passieren könnte wird er aber sicherlich nicht glauben, die Befürworter_innen dieser Grundeinkommensidee auch nicht. Es handelt sich selbstverständlich um eine utopische Vorstellung. Sie ist durchaus „revolutionär“. Ohne grundsätzliche Veränderungen im Besitz-, Wirtschafts-, und Politiksystem geht das nicht.

In seinem Beitrag externer Link versucht Butterwegge aber gerade das vorzutäuschen. Seiner Meinung nach wäre auch im Kapitalismus eine soziale Sicherung nach Grundeinkommensmodellen durchführbar. Mit dem Nachteil, dass viele „Errungenschaften“ des Kapitalismus wegfallen würden: der „früher als Jahrhundertwerk gefeierte(n) Wohlfahrtsstaat(es)“ zum Beispiel.

Auch verhielten sich „Mindestlohn und BGE“ „zueinander wie Feuer und Wasser“. Ich kenne noch Zeiten, als ohne Mindestlohn besser verdient wurde als heutzutage. Eine Errungenschaft ist der Mindestlohn nicht, sondern seine (scheinbare) Notwendigkeit stellt einen radikalen Rückschritt dar.

„Auch der Sozial(versicherungs)staat und das BGE verhalten sich zueinander wie Feuer und Wasser.“ Soll es doch. Kranken- und sonstige Sozialversicherungen wären natürlich mehr als „solidarisch“ komplett gesellschaftlich finanziert.

„Wenn alle Wohnbürger/innen auf einem das sozioökonomische Existenzminimum garantierenden Niveau abgesichert wären, würden … auch die Sozialversicherungen weitgehend überflüssig, die vor den Standardlebensrisiken schützen sollen.“ Na eben. Na und? Nur weil das von Butterwegge und linker SPD geliebte Projekt „solidarische Bürgerversicherung“ damit hinfällig wäre, „weil die Absicherung von Standardlebensrisiken als deren Hauptzweck entfiele“? Und das würde „die LINKE schwächen, weil sie damit keine Verbündeten gewinnen, vielmehr politische, programmatische sowie parlamentarische Anschlussmöglichkeiten an SPD und Bündnis 90/Die Grünen beseitigen“ würden!

Nachtigall ick hör‘ dir trapsen! Butterwegge geht es ausdrücklich nicht um eine Abschaffung des Kapitalismus als solchem und überhaupt. Was ihn stört ist der „moderne Kasinokapitalismus“. Dabei war der „vormoderne Normalkapitalismus“, auch der viel gerühmte „Rheinische“, nicht menschlicher mit seiner Kinderarbeit, 7-Tage-bis-zu-14-Stunden-Schichten, kolonialer und später imperialistischer Ausplünderung anderer Länder, bis hin zu Extraprofiten durch den Einsatz von KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter_innen. Manche sind gar der Meinung, der deutsche Nazi-Faschismus sei unmittelbar durch kapitalistische Planung installiert worden.

Da sind die Befürworter_innen eines „emanzipatorischen Grundeinkommens“ deutlich illusionsfreier und revolutionärer: „Kapitalismus ohne Arbeitszwang“ ist „wie ein Gefängnis ohne Gitterstäbe und Mauern – beides gibt es nicht“ meint Butterwegge. Das sehen die Befürworter_innen eines „emanzipatorischen Grundeinkommens“ auch so. Butterwegge ist zufrieden mit einem Kapitalismus mit Arbeitszwang und mit Gefängnissen mit Gitterstäben und Mauern. Bloss nicht so vernichtend wie der „moderne Kasinokapitalismus“. Abgefedert durch die „sozialen Errungenschaften“. Aber immer noch Gefängnis.

Dabei schliessen sich der Kampf um existenzsichernde Löhne und Grundsicherungsleistungen, paritätische Finanzierung der Sozialversicherungen durch alle Bürger_innen und die Idee eines „emanzipatorischen Grundeinkommens“ im konkreten Alltag überhaupt nicht aus. Letzteres zeigt den Weg, wohin es gehen soll, das andere ist der alltägliche illusionsfreie Kampf um das Überleben. Da dürfte doch gegenseitig etwas mehr Gelassenheit und Akzeptanz möglich sein statt der von beiden Seiten bekannten neurotischen Angriffslust.

Wer gerne seriös das Thema diskutieren möchte ist gut beraten mit dem Artikel von Mag Wompel in der graswurzelrevolution 390 vom Sommer 2014:

„Das Linksradikale an der Staatsknete“

Realpolitisch, systemkonform und staatshörig – so lauten viele Kritikpunkte an der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) aus sich radikal wähnenden linken Kreisen. Für StalinistInnen, die eine komplette Gebrauchsanweisung für die Revolution haben, mag das nachvollziehbar sein: Sie haben zwar nichts gegen den Staat, aber ebenso viel übrig für die Arbeitspflicht. Eine solche Revolution fände ohne mich statt! Meine Zielgruppe sind emanzipatorische und ungehorsame Linksradikale. Solche sollten m.E. alles gut finden, was den Menschen auch nur ein Stück freier macht und unabhängiger. Im Kampf gegen den Kapitalismus ist nämlich alles besonders wichtig, was die Lohnabhängigkeit hinterfragt und mildert, wenn wir uns von ihr dann auch befreien wollen. Nun, der real existierenden Gewerkschaftsbewegung hat es wohl niemand gesagt, sie ging daher voll darin auf, die Lohnarbeit erst als alternativlos zu akzeptieren, um sie dann nur noch auf möglichst viele zu verteilen und höchstens humaner zu gestalten. Dies natürlich nur soweit es die Gnade des Lohnarbeitsplatzes nicht gefährdet, es also den Kapitalisten nicht zu weh tat. “  https://www.labournet.de/?p=59912 oder gleich das Original: http://www.graswurzel.net/390/bge.php externer Link

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=81576
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