EU-Kommission verkündet das Ende der Krise – und was davon zu halten ist

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 15.8.2017

Deutschland hat nach der letzten Finanzkrise 2008/2009 nie versucht zu kapieren, warum gerade Deutschland so stark betroffen war.“
(Martin Hellwig – Max Planck)

Warum die EU-Kommission – gerade jetzt vor der Wahl – ein Ende der Krise sehen will – wohl deshalb weil eine Finanzkrise wie 2008 ff. jederzeit wieder kommen kann?

Das ist doch wirklich nett, was die EU-Kommission so „frank und frei“ da von sich gibt: Ein Ende der Krise! (https://www.heise.de/tp/features/EU-Kommission-verkuendet-das-Ende-der-Krise-3797593.html externer Link)

Überall dagegen häufen sich die Meldungen, dass die nächste Krise doch wieder möglich wird – nur wann? Martin Hellwig von Max-Planck führt das auch auf die so stupide deutsche Ignoranz bei der letzten Finanzkrise 2008/2009 zurück (http://www.taz.de/!5433047/ externer Link): Das Finanzsystem ist heute so fragil wie vor 10 Jahren. Die Ansteckungsmechanismen von 2008 sind nach wie vor gefährlich. Deshalb kann so etwas wie 2008/2009 jederzeit wieder kommen. Der Hauptfehler der deutschen Politik liegt nämlich darin, dass man in Deutschland gar nicht versucht hat, zu verstehen, was damals 2008 – nicht nur in den USA – passiert war,und warum gerade Deutschland so stark von dieser Krise betroffen war – und was es bräuchte, um diese Gefahren zu reduzieren.

Trotz eines Untersuchungsausschusses zur Hypo Real Estate (siehe „Aufklärung verkommt zum Wahlkampfzoff“: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/untersuchungsausschuss-hre-aufklaerung-verkommt-zum-wahlkampfzoff-a-649982.html externer Link) hat sich die deutsche Politik mit dem Verweis auf ausländische Ursachen zufrieden gegeben: Mit der Pauschalaussage, die Krise sei aus den USA gekommen und nach Lehman Brothers habe es eine „allgemeine“ Panik gegeben, haben die Verantwortlichen in der Politik eine seriöse Untersuchung zu den Ursachen in Deutschland verhindert.

Statt sauberer Fakten nur „fiktionale“ Finanzkrisen-Legenden für Deutschland: Ursachen für die Finanzkrise auch in Deutschland wurden nie untersucht

Warum also Deutschland so stark von dieser Finanzkrise 2008 ff. betroffen war, wurde deshalb in Deutschland nie tiefergehend nachgefragt. (http://www.taz.de/!5433047/ externer Link) Unhinterfragt stand so diese politische Legende im Raum, das kam allein aus den USA über uns! Eine Möglichkeit es gerade für Deutschland genauer zu wissen, wurde damit eben „unterschlagen“.

Statt sich auf solcher unsicheren Grundlage der Kenntnis über „unsere“ Krise jetzt auszuruhen, müsste man hergehen und diese Ansteckungsmechanismen identifizieren und Gegenmaßnamen treffen. Darunter würden vor allem höhere Anforderungen für das Eigenkapital fallen. (Was unisono schon von so vielen Fachleuten angemahnt wurde (https://www.labournet.de/?p=109061) – siehe z.B. zuletzt auch die Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank Claudia Buch als die für die Finanzmarktstabilität zuständige Fachfrau – Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=119844)

Hellwig schlägt dafür einen Eigenkapitalanteil der Banken von 20 bis 30 Prozent der Bilanzsumme vor. Nichts davon wird derzeit in praktische Politik umgesetzt.

In Merkels so wichtigem Wahlkampfjahr erklärt die EU-Kommission dagegen die Finanzkrise für beendet.

Und – jetzt 10 Jahre später – sagt die EU-Kommission dazu einfach, welche Krise…? Die ist doch alles längst vorbei… (https://www.heise.de/tp/features/EU-Kommission-verkuendet-das-Ende-der-Krise-3797593.html externer Link)

Das nötigt einem doch in diesen Sommer-Tagen vor der Bundestagswahl noch ein ziemlich ironisches Schmunzeln ab, weil zu offensichtlich wirkt – gerade jetzt – die Absicht dieses Statements der EU-Kommission!

So wollte also die EU-Kommission der deutschen Kanzlerin Merkel vor ihrer „Einschlafwahl“ (Stephan Hebel nannte diese deutsche Bedürfnis in der Politik zum Wegschauen, ja, zum Wegtauchen gegenüber allen Problemen – auch denen der Finanzmärkte -, das die Kanzlerin Merkel am vortrefflichsten managt, einfach: Biedermeier… (http://www.fr.de/politik/meinung/leitartikel/kanzlerin-vor-der-bundestagswahl-wie-merkel-uns-sicherheit-vorgaukelt-a-1325535 externer Link) einen Gefallen tun, damit auch wirklich keiner sich mehr „aufregt“… Der sichere Garant wohl, dass Merkel die Wahl gewinnt…

Deshalb verkündet die EU-Kommission noch zum weiteren Einschläfern der Wähler, die „frohe Botschaft“, falls doch noch jemand Angst gehabt haben könnte: Diese Krise ist beendet! (https://www.heise.de/tp/features/EU-Kommission-verkuendet-das-Ende-der-Krise-3797593.html externer Link)

Und falls sie dann doch nicht beendet ist, liegt die patente Lösung für die Krise doch auch schon vor: Die Banken werden vom Staat gerettet! Es waren doch bisher erst 70 Milliarden Euro!

Auf die Frage von Ulrike Herrmann an den Spezialisten Martin Hellwig: Haben die Wirtschaft und Politik aus der letzten Finanzkrise 2008 ff. gelernt, antwortet Hellwig, Ja! Die Banken haben gelernt, dass sie in der Krise vom Staat (sprich Steuerzahler) gerettet werden. Die Banken haben das zwar immer schon vermutet, aber jetzt wissen sie es eben genau! Und ihre Gläubiger wissen es auch und verlangen entsprechend niedrige Zinsen.

Auf die empörte Gegenfrage von Ulrike Herrmann: Aber die Bundesregierung hat versprochen, dass nach den – eben vielleicht doch wieder unzureichenden – Reformen der letzten Jahre der Steuerzahler nie wieder einspringen muss (vgl. die Kanzlerin Merkel hat dies gerade kürzlich vor dem G 20-Gipfel wiederum erklärt: „Wir haben die Lehren aus der internationalen Finankrise gezogen: „Verluste im Finanzmarkt werden nicht mehr vom Steuerzahler ausgeglichen… Das Thema „too big to fail“ gibt es nicht mehr.“ (https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/05/2017-05-04-bk-merkel-b20.html externer Link)) kann Martin Hellwig nur etwas resignativ antworten: Ich glaube das nicht! (http://www.taz.de/!5433047/ externer Link)

Die auf Druck der Banken nur „schlampige“ europäische Bankenunion muss wohl weiter den Steuerzahler als „Nothelfer“ in Anspruch nehmen: Bisher schon rund 70 Milliarden!

Die Politik wird immer versucht sein, die Bank zu erhalten und die Gläubiger schadlos zu stellen. Wir empören uns darüber – z.B. bei Italien (vgl. z.B. „Die weitere Bankenkrise bringt es an den Tag: Das Flickwerk der europäischen Bankenunion tritt in Italien zu Tage.“ (https://www.labournet.de/?p=119576)) – aber auch bei der HSH Nordbank wurde 2016 das Engagement des Staates noch einmal erhöht.

Ich könnte mir vorstellen, dass es im nächsten Jahr ähnlich gehen wird wie jetzt in Italien. Bei der HSH Nordbank sehe ich seit 2004 jetzt schon 17 Milliarden Euro an Kosten für den deutschen Steuerzahler, aber da kann im nächsten Jahr noch einiges dazu kommen. Für die Banken insgesamt schätze ich die Kosten bisher auf rund 70 Milliarden Euro, davon zwei Drittel bei öffentlichen Banken. (http://www.taz.de/!5433047/ externer Link)

Aber eine ungeordnete Pleite ist eben auch keine Alternative!

Jedenfalls in Italien wurden der Bank Monte dei Paschi zum letzten Wochenende 3,8 Milliarden Euro vom Staat überwiesen. – Die Regeln der Bankenunion, wie schon vermutet, scheiterten mangels Solidität der Bank. –

Der italienische Staat hat mit 52 Prozent des Aktienkapitals das Kommando in dieser ältesten Bank der Welt übernommen. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/monte-dei-paschi-ende-eines-dramas-1.3626690 externer Link)

Obwohl Italien jetzt aufatmet und der italienische Finanzminister Pier Carlo Padoan erleichtert verkündet: „Das ist die Wende der Bankenkrise“ (für Italien), sind dieses Einspringen der Steuerzahler nebst der Haftung der Anleger nach den neuen EU-Regeln (= nach diesen EU-Regeln der Bankenunion sollten nur die Anleger haften und der Steuerzahler gar nicht mehr!) nur das jetzt doch unvermeidbar gewordenen dicke Ende, das eigentlich die damalige Renzi-Regierung im Juli vergangenen Jahres noch auf jeden Fall verhindern wollte. Aber mit ihrem Alternativplan unter der Regie der amerikanischen Investmentbank JP Morgan private Investoren für die von der Bankenaufsicht der EZB verlangte Kapitalerhöhung aufzutreiben, erlitt die Bank „Schiffbruch“: Dieser Rettungsversuch floppte – am 22. Dezember letzten Jahres wurden die MPS-Aktien wieder von der Mailänder Börse genommen.

Neoliberale Ideologie scheiterte wieder einmal an der Realität der Finanzmärkte, die doch noch realistischer sind. So war auch der IWF hellsichtiger gewesen und hatte schon 2013 empfohlen, den Einstieg des Staates in Italien vorzubereiten. Doch im Italien mit seinen hohen Staatsschulden hatte man einfach lange – zu lange – auf die Sellbthilfe der Banken gesetzt – und dann war eben doch der Steuerzahler wieder dran.

Die EZB wieder als letzter – vorläufiger – Nothelfer.

Aber auch die Liqidität des Staates in Italien kann dennoch rasch an ihr Ende gelangen, wenn die EZB ihre Politik des billigen Geldes und damit den Aufkauf von Staatsanleihen zurücknimmt – was in der Eurozone auch zur Entscheidung ansteht.

Bis Ende September – nach der Bundestagswahl in Deutschland – wird auch die EZB diesbezüglich wohl eine Entscheidung treffen. Und diese Entscheidung wird vor allem für den größten Schuldner in der Eurozone, Italien, von großer Bedeutung. (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kommentar-entscheidung-an-den-boersen-im-september-1.3626680 externer Link)

Die Regierung in Rom benötigt nämlich alleine noch einmal 90 Milliarden Euro, Geld, das ihr Investoren wohl nur dann geben, wenn die EZB weiterhin als Aufkäufer der Schuldpapiere (Staatsanleihen) bereitsteht.

Deshalb stellt sich auch der „Wirtschaftsweise“ Peter Bofinger noch einmal gegen die Hartz-IV-Legende, die doch angeblich die Erwerbstätigkeit in Deutschland so gravierend erhöht hat: „Das Hauptverdienst an der gesunkenen Arbeitslosigkeit in Deutschland hat die hierzulande so viel kritiisierte Europäische Zentralbank. Sie hat nämlich durch ihre Garantien die Eurokrise (Spekulation auf den Untergang des Euro) gestoppt und durch Zinssenkungen die Konjunktur stabilisiert. Dank der EZB müssen die europäischen Ökonomien nicht mehr auf Teufel komm raus sparen, sondern können wachsen.

Von der Politik der EZB (Stop der Eurokrise und Zinssenkungen) profitiert die deutsche Wirtschaft massiv.

Und von der hohen Inflation, die viele meiner Ökonomen-Kollegen (vgl. dazu auch die Kollegen im Sachverständigenrat Wirtschaft auf der Seite 1 unten bei https://www.labournet.de/?p=106557 als zwingende Folge der EZB-Politik vorhergesagt haben, ist nichts zu sehen.“ (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/wirtschaftsweise-im-interview–verfaellt-die-euro-zone–ist-deutschland-der-verlierer–28152918 externer Link)

Wenn alle in Europa (der Eurozone) das Gleiche tun – und die Löhne senken, dann wird das zum Nullsummen-Spiel, bei dem keiner gewinnen kann. – Die Forderung der Politiker aus Deutschland nach Reformen führt in die Irre. –

Deshalb werden – wenn jetzt auch noch alle das Gleiche tun – die anderen Euro-Länder (Macron als Vorreiter), wenn sie dem deutschen Beispiel der Hartz-Reformen folgen und die Löhne senken werden, um wettbewerbsfähiger zu werden, in ein Null-Summen-Spiel einsteigen, bei dem keiner gewinnen kann. Daher führt die pauschale Forderung der deutschen Politiker – nebst „ihrer“ darauf geeichten Medien – nach derartigen Reformen wie die deutsche Agenda 2010 in den anderen Euro-Staaten einfach nachzueifern, in die Irre.

Sollte Macron jetzt mit seinen „Arbeitsmarktreformen“ erfolgreich die Löhne in Frankreich drücken (vgl. dazu noch https://www.labournet.de/?p=119214), dann verspreche ich ihnen, dass in Deutschland bald wieder die Stimmen laut werden, die dann wieder den Verlust der Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland beklagen – und wieder weitere Lohnzurückhaltungen fordern. (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/wirtschaftsweise-im-interview–verfaellt-die-euro-zone–ist-deutschland-der-verlierer–28152918 externer Link)

Die Eurozone zerfällt immer weiter in reichere und arme Staaten. Dies kann zur Erosion des Euro führen, weil diese Länder austreten – ein Szenario bei dem Deutschland einer der größten Verlierer wäre.

Angebracht wäre es dagegen, wenn Deutschland seine wirtschaftliche Stärke als Gewinner auf den Weltmärkten mit dem Euro ausnützen würde, um die ökonomischen Schwächen der anderen zu kompensieren.

Wenn Deutschland sich nämlich nicht dazu – wenigstens in der Eurozone – aufraffen kann, dann zerfällt diese Eurozone zunehmend weiter in arme und reichere Staaten. Das fördert die Gefahr, dass diese Staaten sich gezwungen sehen, aus der Eurozone auszutreten. Das wäre auf jeden Fall – gerade für Deutschland – teurer. (http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/wirtschaftsweise-im-interview–verfaellt-die-euro-zone–ist-deutschland-der-verlierer–28152918 externer Link)

Deutschland sollte deshalb – aus Eigennutz! – für diese schwächeren Staaten zahlen, weil es Deutschland ist, das unter dem Schutz des Euro seine Wettbewerbsfähigkeit erst so richtig ausspielen kann. Die Stärke der Exportüberschüsse von Deutschland beruht doch gerade auf der gemeinsamen Währung dem Euro (siehe dazu wie US-Präsident Trump diesen Exportüberschuss provokativ thematisiert hatte „Wer nicht hört – und die ökonomischen Ungleichgewichte in Europa korrigieren hilft – bekommt dann eben Trump“: https://www.labournet.de/?p=111096 – insbesondere auf der Seite 1 unten ff. mit Jan Priewe: vorausgesetzt die Rahmenbedingungen werden verändert, ist die Eurozone doch ein optimaler Währungsraum)

„Den Menschen in Deutschland ging es noch nie so gut wie heute“ (Kanzlerin Merkel) – wenn man die Spaltung der Gesellschaft in immer mehr Arme und die wenigen immer Reicheren ausklammert

Darauf macht angesichts der aktuellen Situation auch noch einmal der Verteilungsforscher Christoph Butterwegge aufmerksam. (https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/august/grosse-koalition-sozialpolitik-in-trippelschritten externer Link)

Und der deutsche Sachverständigenrat Wirtschaft – die „Mehrheitskollegen“ von Peter Bofinger – erklärt dann dazu auch einfach keck: Gerechtigkeit in Deutschland ist schon längst vollendet – deshalb ist eine Verteilungs-Diskussion für Deutschland einfach überflüssig. (Vgl. die Seite 3 bei https://www.labournet.de/?p=106557)

So kann man weiterhin mit purer neoliberaler Ideologie unsere soziale Welt,die durch extreme und weiter wachsende Ungleichheit geprägt ist, entproblematiiseren!

Der Theatermacher Andres Veiel legt in seinem Stück zur nächsten Finanz-Krise diese in das Jahr 2026 – so kann er „entspannter“ die ganzen Krisenfaktoren – im Theater – jetzt schon breit zur Diskussion bringen (vgl. die Seite 2 bei https://www.labournet.de/?p=119844) – und wann sie wirklich kommt, das sehen wir dann schon…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120135
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