BVerfG: Regelungen zur Europäischen Bankenunion bei strikter Auslegung nicht kompetenzwidrig

The fire power of the financial lobby. A Survey of the Size of the Financial Lobby at the EU level„Die Europäische Union hat durch die Regelungen zur Europäischen Bankenunion, namentlich zum Einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism, SSM) und zum Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism, SRM), bei strikter Auslegung ihre durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen nicht überschritten. Die SSM- und SRM-Verordnung berühren auch nicht die Verfassungsidentität. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden. Danach überschreitet die SSM-Verordnung nicht in offensichtlicher Weise die primärrechtliche Ermächtigungsgrundlage des Art. 127 Abs. 6 AEUV, da sie der Europäischen Zentralbank (EZB) die Aufsicht über die Kreditinstitute in der Eurozone nicht vollständig überträgt. Die Errichtung und Kompetenzausstattung des Ausschusses für die einheitliche Abwicklung (Single Resolution Board, SRB) durch die SRM-Verordnung begegnen zwar im Hinblick auf das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Bedenken; eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung liegt jedoch nicht vor, sofern die Grenzen der dem Ausschuss zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse strikt beachtet werden. Bleibt die Gründung von unabhängigen Agenturen auf Ausnahmefälle beschränkt, so ist auch die Verfassungsidentität des Grundgesetzes nicht berührt. Die Absenkung des demokratischen Legitimationsniveaus, wie sie mit der Unabhängigkeit der unionalen und der nationalen Aufsichts- und Abwicklungsbehörden einhergeht, ist allerdings nicht unbegrenzt zulässig und bedarf der Rechtfertigung. Im Bereich der Bankenaufsicht und -abwicklung ist sie im Ergebnis noch hinnehmbar, weil sie durch besondere Vorkehrungen kompensiert wird, die eine demokratische Rückbindung ermöglichen. Im Ergebnis haben Bundesregierung und Deutscher Bundestag nicht am Zustandekommen oder der Umsetzung von Sekundärrecht, das die Grenzen des Integrationsprogramms überschreitet, mitgewirkt; eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG scheidet damit aus…“ BVerfG-Pressemitteilung Nr. 52/2019 zur BVerfGE 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14 vom 30. Juli 2019 externer Link, siehe dazu 3 Kommentare:

  • Der deutsche Ausstieg aus dem Euro-System?
    „… Es geht um Geld, um unvorstellbar viel Geld. Die Summe, über die das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am kommenden Dienstag und Mittwoch verhandelt, hat zwölf Nullen. Mario Draghi und die Europäische Zentralbank (EZB) haben seit März 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere für 2,6 Billionen Euro gekauft – um die Wirtschaft anzuschieben und die Inflation im Euro-Raum auf das Ziel von etwa zwei Prozent zu bringen. (…) Wird sich das deutsche Verfassungsgericht diesmal gegen den Europäischen Gerichtshof stellen? Das ist nicht zu erwarten, auch wenn die Kläger genau darauf drängen. (…) Bekämen sie Recht, würden also die Karlsruher Richter das Anleihen-Ankaufsprogramm der EZB für rechts- und verfassungswidrig erklären, hätte das zwei unmittelbare Folgen. Erstens: Die Deutsche Bundesbank müsste ihre Mitwirkung bei den Anleihe-Ankäufen der EZB sofort einstellen; das wäre im Ergebnis der Ausstieg Deutschlands aus dem Euro-System. Zweitens: Die Verfassungsrichter in Karlsruhe würden den Europarichtern den Fehdehandschuh vor die Gerichtstür in Luxemburg werfen. Beides erscheint nach den Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte ausgeschlossen…“ Politische Wochenvorschau von Heribert Prantl vom 28. Juli 2019 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link – eine Einschätzung, mit der Prantl völlig richtig lag:
  • Kommentar von Armin Kammrad dazu: „Die Entscheidung ist wahrlich keine Überraschung. Denn die Übertragung von Kompetenzen auf die EZB nach Art. 127 Abs. 6 AEUV kam ja, nach dem amtlichen Verständnis zumindest (auch der Kläger), demokratisch zustande. Weshalb sollten dann die Rechte der deutschen Abgeordneten nach Art. 38 GG berührt sein? Natürlich wäre es angebracht die demokratische Legitimation der EU-Währungspolitik, die vorrangig durch Art. 127 (1) AEUV nur auf Preisstabilität orientiert ist, massiv in Frage zu stellen; sind doch neben einer Inflationsbekämpfung z.B. auch Wirtschafts- und Sozialpolitik von zentraler Bedeutung. Aber dies machen die – eher neoliberal und nationalistisch orientierten – Kläger gerade nicht. Der Grund ist offensichtlich: Man will zwar von der währungspolitischen und wirtschaftlichen Schwäche der anderen EU-Staaten profitieren (s. z.B. Leistungsbilanzüberschuss und Gewinne aus Krediten). Aber natürlich soll in einer nur auf deutsche Machtinteressen ausgerichteten EU-Wirtschafts- und Währungspolitik, nur die anderen zahlen und auch demokratische Nachteile haben. In diesem Punkt eiert – wie üblich – das BVerfG mit seinen noch nicht „überschrittenen Kompetenzen“ auch hier wieder nur herum.“
  • Steuerfinanzierte Bankenrettung: Verfassungsgericht weist Klagen gegen EZB-Aufsicht und Abwicklungsmechanismus zurück
    Am Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht zwei wichtige Bestandteile der EU-Bankenunion durchgewunken. Überraschend kam das Urteil nicht, haben die Karlsruher Richter in den vergangenen Jahren doch immer wieder juristische Verrenkungen unternommen, um allerlei Einwände gegen die sogenannte Euro-Rettungspolitik abzuwehren. Diesmal ging es um die gemeinsame Bankenaufsicht (Single Supervisory Mechanism, SSM) sowie den Abwicklungsmechanismus für Pleitebanken (Single Resolution Mechanism, SRM). Auf beides hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten 2014 verständigt – als ein Teil eines krisenpolitischen Deals, mit dem die gegensätzlichen Interessen der Herrschenden in Euro-Land ausgeglichen werden sollten. »Solidität und Solidarität« ist das Marketinglabel, das dafür meist bemüht wird. Solidität heißt, die Defizitländer bringen ihren Staatsfinanzen durch radikale Kürzungspolitik in Ordnung. Solidarität heißt, die Probleme der Großbanken lösen die Staaten auf Kosten der Allgemeinheit gemeinsam. (…) Hinzu kommt laut der Urteilsbegründung, dass die Aufsicht ja nicht vollständig übertragen werde. Richtig, nur für die 118 größten Banken in Euro-Land erhält die EZB die Zuständigkeit. Aber das sind eben auch jene, die mit Milliardensummen gestützt werden sollen, wenn sie sich verzockt haben und die Pleite droht. Die Bankenunion taugt vor allem dazu, dass sich nationale Politiker künftig für kostspielige Rettungsaktionen nicht mehr verantworten müssen. Das regelt jetzt die EZB, und deren Entscheidungsträger müssen sich keiner Bevölkerung gegenüber zur Wiederwahl stellen und niemandem Rechenschaft ablegen. Schließlich ist die Notenbank Kraft des besagten EU-Primärrechts »unabhängig«.“ Kommentar von Steffen Stierle in der jungen Welt vom 31. Juli 2019 externer Link – Dieser Beitrag verbleibt allerdings bei Nation vs EU, obwohl Deutschland seine nationalen Interessen über die EU gerade so erfolgreich vertritt…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=152421
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