Tranquillizer gegen Aufreger. Das fiktionalste und unpolitischte Rennen aller Zeiten

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 21.7.2013

Jetzt sei doch noch – ob rechtzeitig wird die Frage sein – „gegen“ den ewigen „Tranquillizer“ Wolfgang Schäuble mit seinem an das Orwell`sche Newspeek“ erinnernden Sprachgebrauch von „kein deutsches Europa“, eine genauere Betrachtung der europäische Angelegenheit angegangen. (= die „Tranqillizer“ Rolle ist berufsbedingt – Albrecht Müller: „… und niemand regt sich mehr auf“: www.nachdenkseiten.de/?p=17978 externer Link) Und mit Hilfe von Claus Offe muss dringend ein kleiner Aufreger ins Spiel gebracht werden, um der Wahrheit eine Bahn zu brechen. Dies kann geschehen mit einem – auch von Jürgen Habermas (vgl. zuletzt „Im Sog der Technokratie“: http://taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=pb&dig=2013%2F07%2F20%2Fa0082&cHash=a044c08b4812367fb9249b01df023372 externer Link) – so vernachlässigten sozialwissenschaftlichen Krisen-Strang: das deutsche „Export-Überschuss-Lohndumping“-Modell.

Geben wir dazu erst einmal dem deutschen Finanzminister die Bühne: Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärt zur Krise der EU: „Wir wollen kein deutsches Europa“ (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzminister-zur-krise-der-eu-wir-wollen-kein-deutsches-europa-1.1726248 externer Link)

Wenn man zu denen gehören will, die das dem Finanzminister abnehmen wollen, dann darf man keine Ahnung von den ökonomischen Zusammenhängen haben. Nur das wiederum ist ja so typisch für diesen Wahlkampf der permanenten Ruhigstellung und Realitätsverleugnung, dass die Eurokrise in ihren vielseitigen Dimensionen einfach nicht vorkommt! – Aber z.B. Claus Offe sah das anders, der meinte mit dem Lohndumping-Export-Überschuss-Modell aus Deutschland könnte man die militärischen Besetzungen „früherer Zeiten“ – einfach durch die entstehenden ökonomischen Zwänge – ersetzen. Der Sozialwissenschaftler Claus Offe sah Europa daher in dieser von Deutschland verursachten Falle festsitzen („Europa in der Falle“: www.nachdenkseiten.de/?p=15712#h07 externer Link – oder noch zusätzlich: https://www.labournet.de/?p=21892)

Nur dieser „Strang“ wurde weder von Habermas noch anderen je weiter erörtert – stattdessen stürzt sich alles auf die „reduzierte“ Finanzmarktgeschichte von Wolfgang Streeck (aber der war durch seine „Befürwortung“ der Hartz-Reformen (Lohndumping!) eher schon für diese Ausblendung prädestiniert (http://www.nachdenkseiten.de/?p=17173#more-17173 externer Link)

Einerseits: Definitionsmacht der Banken brechen…

Damit ist soll nicht gesagt sein, dass insgesamt die Finanzbranche nicht das politische Geschehen weiter definiert und beherrscht, wie jetzt eine Studie für die Grünen noch einmal herausarbeitet: Die Banken haben eben doch die Politik bei der Euro-Rettung erpresst (http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/07/18/studie-enthuellt-banken-haben-politik-bei-euro-rettung-erpresst/ externer Link) – und damit weiter die Definitionsmacht behalten. – Arme bedeutungslose Politiker! Dabei hat man „ursprünglich“ unter diesem „Beruf“ Personen verstanden, die das Gemeinwesen (den Staat) zum Nutzen aller gestalten – und nicht sich wie Nasenbären am Ring durch die Nase von einem Wirtschaftszweig – den Banken – durch die Manege führen lassen.

Ja, das haben jetzt wieder Forscher in einer Analyse herausgefunden. (http://www.sven-giegold.de/wp-content/uploads/2013/07/Bank-Creditor-Participation-Eurozone-Finpol-6_13.pdf externer Link pdf. Weiter zur gerade auch aktuellen Definitionsmacht der Banken über die Politik siehe auch noch die Seite 1 bei www.labournet.de/politik/eu-politik/wipo-eu/vor-dem-juni-gipfel-der-eu-was-noch-fehlt-fur-eine-richtige-wahrungsunion/)

….. und auch „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ verhindern – raus aus der lohnpolitischen Sackgasse der deutschen Gewerkschaften

Nur dieses eine sehen, heißt nicht auf dem anderen Auge blind sein – und wohlgemut dem europäischen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ zustimmen, der auch Europa zu zerstören in der Lage ist. wie Robert Misik zu recht moniert (http://www.gegenblende.de/21-2013/++co++b7ea79e6-bf18-11e2-96d1-52540066f352 externer Link) – selbst wenn er jetzt erst auf die Zeit nach dem deutschen Wahlkampf verschoben wurde. (vgl. weiterführend noch https://www.labournet.de/politik/eu-politik/wipo-eu/pakt-fur-wettbewerbsfahigkeit/)

Die ganzen „Sackgassen“, in den sich die Gewerkschaften bzw. die ArbeitnehmerInnen generell dabei bewegen, hatte Mag Wompel umfassend beschrieben (vgl. „Hoch die internationale Wettbewerbsfähigkeit“: https://www.labournet.de/politik/gw/krise08gew/hoch-die-internationationale-wettbewerbsfahigkeit/). Dort führt Mag Wompel zur Situation in der gemeinsamen europäischen Währungszone aus, dass im Verlauf der Krise inzwischen griechische, spanische, portugiesische und italienische Lohnabhängige in einer nicht endenden Spirale des Abbaus sozialstaatlicher Rechte stecken. Deutschland dagegen erscheint in Europa – nach den beschriebenen „Marktbereinigungen“ – als eine vermeintliche Insel der seligen und abermaliger Exportweltmeister.

Ja, wieso ist es gerade jetzt, wo einerseits Europa seinem Ende entgegentaumlelt und andererseits eine einschläfernde Wahlkampfrethorik dies total ausblendet, so wichtig wird, diese Fragen in eine – wenn auch kleine – Öffentlichkeit noch zu heben: Den Finger in die Wunde des „Zerfalls“ legen: Reicht es im Wechselkreis der Euro-Krisenfolgen in der Spirale nach unten die Stellung weiter oben hervorzuheben?

In der Falle der „Re“-Nationalisierung

Zur Einführung sei hier noch auf den Abschnitt „Europa zieht nicht im Gleichschritt im Verlauf der Krise nach unten – Deutschland bleibt weiter oben“ (= auf der Seite 11 bei https://www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/die-deutsche-kanzlerin-gibt-jetzt-in-und-fur-europa-das-paulinchen-mit-dem-feuerzeug/)

Deshalb geht es Mag Wompel vor allem um das Eigenlob der Gewerkschaften zu diesen vergleichsweise (noch?) milden Krisenfolgen beigetragen zu haben – und dabei auch gleichzeitig in die „nationale Falle“ wieder zu treten, vor der gerade auch Habermas warnt (siehe Link oben): So wirft Wompel die Frage auf, ob es nicht grundsätzlich falsch war sich dem neoliberalen Diktat zu unterwerfen. In dessen Folge die Gewerkschaften nicht auf die Idee kamen den „Sklavenhandel“ (= mit fast jedem vierten Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen!) abzuschaffen, sondern sich darauf beschränkten – z.B. die IG Metall oder ähnlich Verdi – nur den Missbrauch (!) von Leih- und Werkverträgen anzuprangern, weil sie die Stammbelegschaften ersetzen und das Lohnniveau im allgemeinen noch weiter nach unten drücken.

Ein Ende des „Sklavenhandels“ – nebst der Agenda 2010 – kam so nicht auf die gewerkschaftliche Agenda – weil, ja weil auf dieser polarisierenden und lohndrückenden Sklavenarbeit doch auch genau das „Wunder“ des deutschen Exportweltmeisters beruht.

Die Grundlage dieses Denkens ist doch gerade die Philosophie des „Paktes für Wettbewerbsfähigkeit“ – und der weiteren sozialen Spriale nach unten, dem man so „leichtfüßig“ auf den Leim gehen kann: Wie überrascht war man dann doch im Gewerkschftshaus, als auch der einkehrende (und wieder abflauende) Aufschwung auch in Deutschland neue Arbeitsplätze nur wieder in Leiharbeit, Niedriglohn oder Werkvertrag brachte.

So hat die Tarifpolitik der deutschen Gewerkschaften die Aufgabe der Wettbewerbsverzerrung unter den Lohnabhängigen in den letzten 2 Jahrzehnten schlechter erfüllen können als andere und ist dabei vor allem ihren KollegInnen in Europa mit diesem Lohndumping mächtig in den Rücken gefallen. (vgl. dazu vor allem auch noch die Studie von Klaus Busch u.a. „Euro-Crisis, Austerity Policy and the European Social Model“ – in dem Abschnitt „Derweilen kann sich die Krise von den Rändern Europas tiefer eingraben, um die letzten Reste eines „Europäischen Sozialmodells zu begraben“ auf der Seite 4 bei https://www.labournet.de/politik/eu-politik/eu-krise/eukrise-allg/die-deutsche-kanzlerin-gibt-jetzt-in-und-fur-europa-das-paulinchen-mit-dem-feuerzeug/)

Und es bleibt bei der auch dort getroffenen Feststellung, dass Deutschland für den „Wettkampf“ bei der Lohndumping-Spirale nach unten in der Eurozone der gemeinsamen Währung in der „Pole-Position“ bleibt.

…. wenn gleichzeitig angesichts der besseren Wirtschaftskraft in Deutschland dieses „Weiter-Oben“ nur die Pole-Position für die gesamte soziale Abwärtsspirale in der Eurozone markiert? – Kein Thema im öffentlichen Wahlkampfdiskurs: dem fiktionalsten und unpolitischten Rennen aller Zeiten

Es ist kein Wunder, wenn wir jetzt zu der Feststellung gelangen müssen, dass diese ganze zerstörerischen Kraft von Deutschland in der Eurozone nicht durch solche nur ablenkenden und den Kern der Sache nicht berührenden Wahlkampfäußerungen wie die des Finanzminister Schäubles: „Wir wollen kein deutsches Europa“ angesichts der ganzen ökonomischen Tatsachen und Zusammenhänge schon eher Orwell`schen „Newspeek“ näher kommt als den so notwendigen – gemeinsamen – Krisenlösungen (die institutionellen Vorstellungen dazu liefert dann durchaus wiederum Jürgen Habermas (siehe oben).

Es mutet daher erschreckend an, wenn zwei so im politischen – gerade auch Wahlkampf- – Geschehen erfahrene „alte Hasen“ wie Thomas Leif und Gerd Mielke nach sorgfältiger Wägung zu dem Schluss gelangen, es handele sich in seiner ganzen politischen Verkommenheit um „das fiktionalste und unpolitischte Rennen aller Zeiten“, das im Halbschatten einer nicht-thematisierten Eurokrise sich abspielt. Nur emotional-vermittelte Bilder über die „unschlagbare Kanzlerin“ prägen diesen hochgradig fiktionalen Wahlkampf. Aus der Sicht der maßgeblichen Programm-Macher gelten eben Euro-Krise, Massenarbeitslosigkeit und Kaufkraftverlust in den Nachbarländern sowie der Zerfall Europas als dem allgemeinen Publikum nicht vermittelbar. So werden emotionalisierbare Nebenthemen die Fragen auf den populären Bühnen – des Fernsehens – bestimmen. (http://www.cicero.de/berliner-republik/wahlkampftrends-das-fiktionalste-und-unpolitischte-rennen-aller-zeiten/55127 externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=40779
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