BSG-Urteil: Hartz-IV-Familie muss nach Auszug der Kinder Eigenheim verkaufen

Fotomontage von Kristian Stemmler - wir danken!„Keine Schonung für das langjährige Familienzuhause. (…) Familien, die Sozialleistungen nach Hartz IV beziehen und ein Haus besitzen, müssen ihr Eigenheim aufgeben, sofern es nach dem Auszug der Kinder zu groß geworden ist. Das Eigenheim sei als verwertbares Vermögen zu werten, hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel entschieden (Az: B 4 AS 4/16 R)…“ Beitrag vom 12. Oktober 2016 beim Spiegel online externer Link und das Urteil im Wortlaut externer Link . Siehe dazu:

  • Kommentar von Norbert Hermann vom 13.10.2016
    Das war immer ein Streitpunkt, in der Elo-Szene wie ausserhalb auch. Es kommt dabei nämlich überhaupt nicht auf den Wert der Immobilie an, sondern allein auf ihre Grösse. Weil nicht das „Vermögen“ geschützt ist, sondern der „Lebensmittelpunkt“. Die windschiefe Hütte zwischen Gerthe und Castrop muss (teil-) verwertet werden, wenn sie zu gross ist, das ausreichend kleine Luxusapartment in der Citty bleibt verschont. Nicht als selbstbewohnte Immobilie gestaltetes Vermögen ist eh oberhalb bestimmter Grenzen verloren. Ungerechtigkeiten ohne Ende.
    Was dazu geführt hat, dass einerseits Mietervereine sich gegen diese Bevorzugung gewandt  haben, ebenso aber auch die CSU, die auch Eltern und Kinder gerne gegenseitig mehr in die Unterhaltspflicht nehmen würde.
    Ungerechtigkeiten enthalten auch einen Teil Unrecht. Das Unrecht Hartz IV wird nicht geringer, wenn wir die Kolleg*innen, die von Ungerechtigkeiten profitieren, auf das niedrigere Niveau von Menschen herabziehen, die mal nicht Glück gehabt haben (oder gleich mehr Pech). Gönnen wir allen, die noch ein bisschen was haben, ihr kleines Glück. Und fragen wir sie, sich mit uns für alle einzusetzen, die gänzlich im Nachteil sind – einschliesslich der Geflüchteten.Ein grosses Thema dürfte dabei der Schutz der länger bewohnten Mietwohnung als „Lebensmittelpunkt“ sein. Auch wenn sie etwas teurer ist.

  • Hartz IV: Wenn das Einfamilienhaus nicht nur rechnerisch geschrumpft wird. Von 144 über 130 auf 110 Quadratmeter. Oder: Kinder weg – Haus weg
    „… Auch wenn die Familie bereit wäre, das Haus zu verkaufen – jeder kann sich vorstellen, dass das nicht von heute auf morgen geht, dass man Zeit braucht und in manchen Gegenden ist es auch mehr als schwierig, überhaupt einen Käufer zu finden. Das allerdings löst einen zweiten harten Schlag aus: Die Betroffenen sind nicht nur gezwungen, ihr selbst gebautes Einfamilienhaus, das ja mal durchaus „angemessen“ war, als die Kinder noch alle im Haushalt gelebt haben, zu „verwerten“ und als Vermögen zur Abdeckung der eigenen Bedürftigkeit zu nutzen. Sondern das Jobcenter zahlte aufgrund der Tatsache, dass das eben nicht sofort geht mit der Veräußerung weiter Hartz IV-Leistungen aus – allerdings als Darlehen. Dagegen hat sich die Klage gerichtet, die nun aber vor dem Bundessozialgericht gescheitert ist. Die verlieren ihr Haus und wenn sie es denn mal loswerden sollten, dann sitzen sie auf einem Schuldenberg durch die darlehensweise Gewährung der SGB II-Leistungen seit der Feststellung der „Unangemessenheit“ der 144 Quadratmeter und der darauf resultierenden fehlenden Bedürftigkeit aufgrund der Verwertbarkeit des vorher angemessenen Wohneigentums. (…) Übrigens hat diese Frage, die völlig zu Recht von den Menschen angesichts der Bedeutung von Wohnen als existenzielle Bedrohung empfunden und erfahren wird, auch andere Auswirkungen, von denen „das“ System in Form niedrigerer Ausgaben profitiert, dessen Existenz aber kaum eine Rolle spielt in der Berichterstattung: Gemeint ist hier die Nicht-Inanspruchnahme eigentlich zustehender Leistungen. Gerade in der Grundsicherung für Ältere spielt das trotz Rechtsansprüche eine große Rolle und bei vielen Älteren, die eigentlich Anspruch auf Hartz IV für Ältere hätten, taucht als Argument für die Nicht-Inanspruchnahme immer wieder die Befürchtung oder das Wissen auf, dass man dann seine Wohnung, in der man vielleicht schon Jahrzehnte verbracht hat, aufgeben müsse, weil deren Kosten nach den Kriterien der Systemlogik nicht mehr „angemessen“ sind. Ein Dilemma – und für die Betroffenen ein Abgrund.Kommentar vom 12. Oktober 2016 von und bei Stefan Sell externer Link
  • Unverkäufliches Haus gilt Jobcenter als Vermögen
    „… Viele Jahre hat der 56-Jährige vom Jobcenter Hartz-IV bezogen. Doch im Frühjahr 2015 ändert sich das. Sein Antrag auf Verlängerung seiner Hartz-IV-Bezüge wird abgelehnt. Begründung: Er hätte Vermögen und solle dieses erst einmal verwerten. Tatsächlich ist Benter Besitzer eines Eigenheims. (…) Hartz-IV bekommt er nun solange auf der Basis eines Darlehens, bis er sein Haus verkauft und das damit erwirtschaftete Geld verbraucht hat. Benters Problem: Er findet keinen Käufer. (…) Jahrelang hat er Hartz-IV bezogen. Ein Haus instand zu halten ist damit fast unmöglich. Das sieht man der Immobilie inzwischen an. An mehreren Außenmauern ist der Putz von der Wand gefallen. Drinnen wellen sich die Tapeten. Und im Garten steht eine halb verfallene Scheune. (…) Bis heute hat Benter keinen Kaufinteressenten gefunden. Und bis heute bezieht er sein Hartz-IV-Darlehen. (…) Dazu teilt uns das Jobcenter auf Anfrage schriftlich mit, dass man dort nicht von einer Unverwertbarkeit ausgehe. Und dass Roman Benter durch die Darlehensgewährung keine finanziellen Einbußen habe. (…) Roman Benter hat gegen das Vorgehen des Jobcenters Klage beim Sozialgericht in Neubrandenburg eingereicht. Ein Termin, wann das Verfahren eröffnet wird, steht noch nicht fest. So werden sich seine Schulden beim Jobcenter erst einmal weiter anhäufen. Und das Jobcenter ist für Benters Haus als Schuldengeber und damit Gläubiger bereits im Grundbuch eingetragen.“ Beitrag von Jan Körner vom 17. Oktober 2016 bei Panorama 3 NDR externer Link mit Video des Beitrags (Dauer: 5:58 Min.)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=105935
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