Zynischer Populismus: Warum und wie rechte Demagogen die Armen verächtlich machen
„Bestrebungen, die Interessenkonflikte zwischen »Volk« und »Elite« zum Dreh- und Angelpunkt der Politik zu machen, werden als rechtspopulistisch bezeichnet. Rechtspopulisten grenzen sich gleichermaßen nach oben: gegen eine »politische Klasse«, die sich dem »Volk« gegenüber entfremdet hat und dessen wahre Probleme ignoriert, wie nach unten: gegen »Arbeitsscheue«, »Asoziale« und (migrantische) »Sozialschmarotzer« ab. (…) Um zu verstehen, warum Millionen abhängig Beschäftigte der AfD vor allem bei den jüngsten Landtags- und Kommunal-, aber auch bei den Bundestags- und Europawahlen trotzdem ihre Stimme gegeben haben, muss man die Doppelzüngigkeit des Rechtspopulismus berücksichtigen, der marktradikale Botschaften meist eher unterschwellig mittels einer Minderheiten ausgrenzenden Dominanzideologie und einer sozialen Demagogie verbreitet. Während sich deutsche Angestellte, Selbständige und Freiberufler gegen soziale Aufsteiger, unangepasste Mitbewerber und ehrgeizige Migranten wehren, die angeblich nicht so fleißig sind wie sie, fürchten Einheimische der unteren gesellschaftlichen Schichten offenbar die Konkurrenz der Geflüchteten oder anderer Zuwanderer auf dem Arbeits-, Wohnungs- und Heiratsmarkt. (…) Der frühere SPD-Politiker und Bundesbanker Thilo Sarrazin war einer der wichtigsten, wenn nicht gar der wichtigste geistige Wegbereiter des Rechtspopulismus à la AfD. Wer erfahren möchte, wie deren Funktionäre über Armut in Deutschland und die am meisten darunter Leidenden denken, sollte Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« lesen. Dieses Pamphlet handelt nicht, wie fälschlicherweise meist angenommen, primär von dem Thema »Migration und Integration«, sondern war als Beitrag zur Diskussion um den deutschen Sozialstaat gedacht, wie im Nachwort ausdrücklich vermerkt ist…“ Artikel von Christoph Butterwegge in der jungen Welt vom 10. Oktober 2016 und unsere Anmerkung:
- Anm.: Leider vernachlässigt Butterwegge bei seiner Kritik an Sarrazin dessen zentrale Behauptung von der Erblichkeit der Intelligenz, weshalb für Sarrazin bei „höherer relativer Fruchtbarkeit der weniger Intelligenten (…) die durchschnittliche Intelligenz der Grundeinheit“ (gemeint ist Deutschland) sinkt (S.98f). Je „mehr Chancengleichheit ein System bietet, desto höher ist die Erbkomponente in den verbleibenden Intelligenzunterschieden“, vertritt Sarrazin (S.226). Mit seinem Biologismus: „Es gibt Grenzen des Intellekts oder der Persönlichkeit die eben nicht zu überwinden sind“ (S.233), versucht Sarrazin sowohl die kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse als auch die Möglichkeit einer Integration und gleichberechtigten Teilnahme derjenigen, die er als „Unterschicht“ bezeichnet (neben Hartz IV-Abhängigern eben auch „die Afrikaner“), als genetisch determiniert und somit nicht veränderbar zu propagieren. Butterwegge mag diesen Aspekt, die Methode mit der Sarrazin den Sozialstaat angreift, aus irgendwelchen Toleranzgründen aussparen. Trotzdem spielt sie bei der Popularität von Sarrazin eine wichtige Rolle…
- Siehe dazu im LabourNet-Archiv: „Faulenzer“- Debatte die x-te – Arbeitslose sind faul und die Erde ist eine Scheibe