Stephan Harbarth als Kirchhof-Nachfolge am BVerfG: Erwerbslose wollen keinen Konzernanwalt! Erwerbslose wollen auch Grundrechte haben!

Dossier

Protest gegen Arbeitsagentur beim "Zahltag"Unter dem Schlagwort #unten wird derzeit Betroffenheit und Empörung über die Lebenserfahrungen unterfinanzierter und klassistisch diskriminierter Menschen geäußert. Die Erfahrung, daran teilzunehmen, ist emanzipierend und befreiend: Man teilt in der Masse Geschichten, die man sonst lieber für sich behalten hätte. Was man sonst als normale Alltagserfahrung abbucht, oder was man längst vergessen hatte, wird erneut bewußt durch die Tweets anderer Betroffener. Doch Erwerbslose wollen nicht nur Erfahrungen der Betroffenheit öffentlich machen, Erwerbslose wollen auch Grundrechte haben. Was wird von #unten noch übrigbleiben, wenn es darum geht, die Grundrechte von HartzIV-Betroffenen zu verteidigen? Anfang nächster Woche soll im Bundestag in geheimer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit der Anwalt für Großkonzerne und Bundestagsabgeordnete Stephan Harbarth (CDU) als Richter ins Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gewählt werden.1 Aus der Sicht von  Erwerbslosen ist das eine ganz blöde Idee. (…) Harbarth gehört zu denjenigen Abgeordneten, die eine Kontrolle durch das BVerfG dauerhaft notwendig machen. Und dabei haben Mitglieder des deutschen Bundestages sowieso die Verpflichtung, sich auch von ganz alleine innerhalb der Rahmenbedingungen des Grundgesetzes und des Völkerrechts zu bewegen, auch wenn ihnen gerade niemand auf die Finger schaut. (…) Stimmen Sie am Montag gegen Harbarth!Analyse und Stellungnahme von Christel T. vom November 2018 : „Wieso nicht Harbarth? Überraschung, Erwerbslose wollen keinen Konzernanwalt im Grundrechte-Senat des Bundesverfassungsgerichtes“ – siehe auch Hintergründe zur BVerfG-Nominierung:

  • Wie CDU-Kreise sich einen Verfassungsrichter aufbauten. Das Vertrauen in das höchste deutsche Gericht ist erstaunlich angesichts dessen, wer nach Karlsruhe geschickt wird. Der Fall Stephan Harbarth New
    „… An der juristischen Qualifikation des vor ein paar Monaten zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts gewählten vorherigen CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth gab es auch bei Oppositionspolitikern keinerlei Zweifel. Bei Harbarth war und ist es weiterhin die Frage, warum er in seiner Zeit als Abgeordneter so viel Geld von seiner Anwaltskanzlei erhielt. Bei ihm überwog mit jährlich gut einer Million Euro die Tätigkeit für die Kanzlei SZA Schilling Zutt & Anschütz, wie Kritiker monieren. (…) Die Diskussion über Harbarth fand 2018 statt – aber die Frage, wofür der höchste Richter unseres Landes so viel Geld erhielt, bleibt interessant. Harbarth selbst hat keinen Beitrag zur Aufklärung geleistet und auch Telepolis-Anfragen an die Pressestelle des Gerichts blieben unbeantwortet. Weiterhin aktuell bleibt auch die Art und Weise, wie Harbarth aufgebaut wurde. Das geschah in mehreren Etappen, bei der jede ihre ganz eigene Geschichte hat. So erhielt der Abgeordnete eine Honorarprofessur in Heidelberg. Solch ein Titel verbessert natürlich das Renommée erheblich und ist eine gute Voraussetzung für die Kandidatur fürs Bundesverfassungsgericht. (…) Neben der Honorarprofessur erhielt Harbarth im Vorfeld noch weitere Segnungen. Er wurde im Jahr 2018 auch in den Kreis der Herausgeber der „Zeitschrift für Gesellschaftsrecht“ aufgenommen. Diese Zeitschrift genießt in der juristischen Fachwelt ein sehr hohes Ansehen. Ihre Autoren haben einen großen Einfluss auf die Expertendiskussion. Zu den Herausgebern zu gehören, stellt also eine sehr große Wertschätzung dar. Zuvor hatte sich der Herausgeberkreis von einem anderen führenden Juristen getrennt: von Heribert Hirte, wie Harbarth CDU-Bundestagsabgeordneter, aber einer mit einer ordentlichen Jura-Professorenstelle in Hamburg. Hirte hatte auf steuerliche Probleme in einer der Verlagsgesellschaften hingewiesen und wurde dafür „bestraft“, wie es von Kritikern heißt. Ein Rechtsstreit ist in dieser Sache noch anhängig. (…) Im Handelsblatt warfen die Autoren Jan Keuchel und Volker Votsmeier die Frage auf, ob Hirte gehen musste, „weil man Platz machen wollte für den künftigen Verfassungsrichter Harbarth?“ Dafür spricht einiges. Denn Hirtes Name wurde zuvor im politischen Berlin als möglicher Kandidat für das Bundesverfassungsgericht gehandelt. Feststeht, gegen Hirte gab es gleich mehrere Intrigen, die nicht vollständig aufgeklärt sind. (…) Stephan Harbarth ist noch – für das Bundesverfassungsgericht – recht jung und wird somit noch viele Jahre seinen Einfluss geltend machen können. Seine Wahl zum obersten deutschen Richter wird nicht nur von einigen Oppositionsabgeordneten kritisch gesehen, sondern auch innerhalb der Europäischen Union. Denn wie will die EU politische Beeinflussung der Richterwahl in EU-Mitgliedsländern wie etwa Polen und Ungarn kritisieren, – oder auch in der Türkei kritisieren, wenn in Deutschland die führende Regierungspartei auf diese Art und Weise das Verfassungsgericht personell besetzt? In Deutschland ist das Wahlverfahren für die höchsten Richter kein Thema, über das öffentlich lebhaft diskutiert würde. Aber vielleicht kommt das ja noch.“ Beitrag von Helmut Lorscheid vom 18. August 2021 bei Telepolis externer Link
  • Unternehmens-Lobbyist als Hüter des Grundgesetzes? 
    „… Am 6. Mai 2020 endet die Amtsperiode des jetzigen Präsidenten Andreas Voßkuhle. Sein Nachfolger soll Stephan Harbarth werden. So haben es für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat die Große Koalition mit FDP und auch Grünen schon 2018 eingefädelt. Damals wählten sie Harbarth zum Vizepräsidenten des Gerichts. Jetzt steht im Bundesrat die routinemäßige Wahl zum Präsidenten an. Zwei bekannte Anwälte haben Beschwerde beim Bundesverfassungs-Gericht eingelegt, also bei dem Gericht, dessen Präsident Harbarth ab Mai 2020 sein soll. Die Beschwerde von Claus Schmitz aus der Kanzlei HMS hat das Verfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen: Schmitz sei von Harbarths Ernennung nicht betroffen, so die kümmerliche Begründung. Über die Beschwerde von Ralph Sauer aus der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist noch nicht entschieden. Sauer hat angekündigt, zum Europäischen Gerichtshof zu gehen, wenn Karlsruhe negativ entscheidet. Gründe gegen Harbarth: – Als CDU-Abgeordneter im Bundestag hat er nach aller Kenntnis gegen das Abgeordneten-Gesetz verstoßen. Es legt fest: Das Mandat ist die Haupttätigkeit. Doch Harbarth war hauptamtlich als Anwalt tätig mit jährlichen Millioneneinkommen. – In der Kanzlei Shearman &Stirling, in der Harbarth zunächst Anwalt und dann Miteigentümer war, wurde der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte, der Cum-Ex-Milliarden-Trick, zur juristischen Reife gebracht. – Shearman & Stirling ist führende Kanzlei bei den internationalen privaten Schiedsgerichten – keine Gewähr für den Schutz des deutschen Grundgesetzes. – Harbarth hat ab 2008 als Anwalt der Wirtschaftskanzlei SZA große Unternehmen vertreten, die Kanzlei vertritt bis heute die Abgas-Betrüger von VW. Im Bundestag verhinderte Harbarth eine Befassung mit VW. – Harbarths Kanzlei war und ist zugleich als Steuer-Berater für Unternehmen und für vermögende Privatpersonen tätig. Auch Harbarth war hier tätig. – Als Abgeordneter trat er für harte Sanktionen bei Arbeitslosen ein. Er verzögerte möglichst lange den gesetzlichen Mindestlohn – dessen millionenfache, straflose Nichtzahlung durch Unternehmer hat der Rechtskundige nie kritisiert…“ Beitrag von Werner Rügemer vom 9. März 2020 bei den NachDenkSeiten externer Link
  • Gekürzte Menschenwürde
    „Ein Vater muss sich vor Gericht verantworten, weil er seinen Sohn immer wieder verprügelt hat. Er rechtfertigt die drastische Prügelstrafe damit, dass er seine Erziehungsziele nur auf diesem Weg durchsetzen kann. Der Richter weist in seinem Urteil auf Paragraph 1631 BGB hin, der solche Methoden für unzulässig erklärt. Jedoch erlaubt er dem Mann, sein Kind im Sinne der Erziehungsziele weiterhin zu prügeln, da die Strafe im Prinzip erforderlich und geeignet sei; allerdings dürfe er keinen Stock verwenden und müsse den nackten Hintern aussparen, denn dies würde gegen die grundgesetzlich garantierte Würde des Menschen verstoßen. Diesen Richter gibt es sicher nur in meiner bösen Phantasie. Allerdings verfuhren die RichterInnen des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BverfG) unter seinem neuen Vorsitzenden Stephan Harbarth bei ihrem Urteil hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Kürzung von Hartz-IV-Leistungen genau nach dem skizzierten Muster. (…) Der Vorsitzende Harbarth verbrämt die fragwürdige Kürzung des Existenzminimums poetisch: »Der Gesetzgeber darf also von Menschen verlangen, dass sie die Brücke in die Erwerbsarbeit beschreiten. Wenn er das im Bereich des grundrechtlich geschützten Existenzminimums sanktioniert, darf er aber nicht zu weit gehen« (BNN, 6.11.2019). Das ist die höchstrichterliche Rechtfertigung des früheren Vizechefs der Unionsfraktion Stephan Harbarth, dessen Partei für die Hartz-IV-Gesetze gestimmt hat. Auch Katrin Göring-Eckardt begrüßt das Urteil; sie war als Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Regierungszeit von SPD und Grünen daran beteiligt, die umstrittenen Hartz-IV-Reformen gegen innerparteiliche Widerstände durchzusetzen. Damit sind wir beim Kern des Problems angelangt: Ein ungerechtes und in der Konsequenz menschenfeindliches System von Gesetzen auf der Grundlage der neoliberalen Agenda 2010 der Koalition aus SPD und Grünen kann keine Gerechtigkeit und keine Würde hervorbringen. Nicht nur die Sanktionen, das ganze Gesetz hat repressiven Charakter. Es weist den Menschen die Schuld an ihrer Lage zu. (…) Diesem Menschenbild – wir erinnern uns an die unsägliche Hetze von Politikern, an »Parasiten« und »Minderleister« und »spätrömische Dekadenz« – wird durch das Urteil nichts entgegengesetzt. Im Gegenteil. Aber Sanktionen sind genauso »geeignet, erforderlich und verhältnismäßig« (Kriterien aus dem Urteil) wie die Prügelstrafe in dem von mir konstruierten Eingangsbeispiel. Eine Politik und eine Rechtsprechung, die der Menschenwürde und den wirtschaftlich-sozialen Menschenrechten gerecht werden will, muss nicht nur die Sanktionen, sondern muss Hartz IV abschaffen.“ Kommentar von Georg Rammer aus Ossietzky Nr. 23/2019 externer Link
  • Kein Platz für Lobbyisten am Verfassungsgericht – Die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer hat Verfassungsbeschwerde gegen die Ernennung von Stephan Harbarth zum Bundesverfassungsrichter eingereicht
    „In großer Sorge um die Unabhängigkeit und den bisher tadellosen Ruf des Bundesverfassungsgerichts hat die Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH aus Lahr am Donnerstag, 28. November 2019, im Namen ihrer Mandanten Verfassungsbeschwerde gegen die Ernennung von Prof. Dr. Stephan Harbarth zum Richter am Bundesverfassungsgericht eingelegt. „Durch die Personalie Stephan Harbarth sehen wir die Gefahr, dass Lobbyisten aus der Automobilindustrie direkt Einfluss auf das Gericht ausüben können“, begründete Ralph Sauer, Geschäftsführer und Mitinhaber der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, den Gang ans Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. (…) Die ungeklärten Nebeneinkünfte als Bundestagsabgeordneter legen für die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den Verdacht nahe, dass Stephan Harbarth von 2008 bis 2018 Geld aus ungeklärten Quellen angenommen haben könnte. Er bezog bis Januar 2018 ein Vorstandsgehalt der SZA AG plus Einnahmen aus Tätigkeit mit Mandanten. Ab Januar bis November 2018 dann in gleicher Höhe als Geschäftsführer der SZA Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Bundestagsabgeordnete müssen ihre Nebeneinkünfte auf ihrer Bundestags-Website offenlegen – allerdings nur in einem Stufenmodell, das eine exakte Ermittlung der Geldströme nicht zulässt. Harbarths Vorstandsgehalt lag in der Stufe 10. Das bedeutet mehr als 250.000 Euro jährlich. Hinzu kamen noch Einnahmen der Stufe 7 durch die Tätigkeit mit Mandanten. Das bedeutet 75.000 bis 100.000 Euro jährlich. Insgesamt beliefen sich die Einnahmen wohl auf bis zu 1,2 Millionen Euro. Solche Zahlen blieben nach einem Artikel des Magazins „Der Spiegel“ aus dem Jahr 2016 unwidersprochen. Recherchen und Berechnungen der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer zeigen jedoch, dass die Einnahmen durchaus noch höher sein könnten. (…) Es besteht somit der begründete Verdacht einer möglichen Fremdbeeinflussung des Bundesverfassungsrichter Stephan Harbarth durch die Automobilindustrie. Damit hat seine Ernennung unmittelbare rechtliche Auswirkungen auf die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche der von der Automobilindustrie im Diesel-Abgasskandal geschädigten Verbraucher…“ Pressemitteilung der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH vom 29. November 2019 bei anwalt24 externer Link – Leider ist es nun zu spät auch bezüglich der Sanktions-Entscheidung des Ersten Senats eine Befangenheitsantrag zu stellen, was jedoch möglich gewesen wäre. So konnte der Erste Senat das Sozialstaatsgebot den Interessen auch der Automobilindustrie (z.B. Leiharbeit) ziemlich problemlos unterordnen.
  • Bundesverfassungsgericht: „Herzlichen Glückwunsch an Volkswagen“
    Die Zweifel an der Nominierung des CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts wachsen. Der Unionspolitiker gilt etlichen Abgeordneten als ausgesprochen VW-freundlich. (…) Zweifel, ob Harbarth tatsächlich der richtige Kandidat für den Posten bei Deutschlands höchstem Gericht ist, gibt es vor allem aber wegen seines Nebenjobs: Der 46-jährige Rechtsanwalt ist Partner der Mannheimer Sozietät SZA Schilling, Zutt & Anschütz, verdient dort zusätzlich zu seinen Abgeordnetendiäten noch so kräftig dazu, dass er zu den Spitzenreitern im Bundestag gehört, was die sogenannten Nebeneinkünfte betrifft. Als problematisch daran gilt vor allem die Nähe der Kanzlei (Eigenwerbung: „Zu uns kommen Konzerne“) zur Großindustrie. So vertritt SZA beispielsweise die Volkswagen AG im Diesel-Abgasskandal…“ Artikel von Arno Balzer vom 16.11.2018 bei der Welt online externer Link
  • Wahl zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts: Widerstand gegen Stephan Harbarth
    Er soll Nachfolger von Ferdinand Kirchhof als Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden: Stephan Harbarth, baden-württembergischer CDU-Bundestagsabgeordneter und Unionsvizefraktionschef. Vorgeschlagen von der Unionsfraktion, kann er bei der geheimen Wahl höchstwahrscheinlich auch auf die Unterstützung von SPD, FDP und Grünen hoffen. Kritisiert wird die Nominierung nun sowohl vom Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb) als auch von Interessenvertretern von Homosexuellen und anderen queeren Menschen in der SPD und bei den Grünen…“ Beitrag der LTO-Redaktion vom 14.11.2018 externer Link
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