Beratungshilfen und Prozesskostenhilfe adé?

Dossier

Prozesskostenhilfe adé?Bisher ist kaum etwas von den skandalösen Plänen zu hören / lesen, den Zugang zu PK- und Beratungshilfe deutlich zu erschweren, vor allem die untersten Einkommensschichten künftig massiv finanziell zu belasten – geplant ist die Absenkung der Grenze des anzurechnenden Einkommens / Pfändungsfreibetrages um 100,00 € und Verlängerung der Rückzahlungspflicht auf 6 Jahre (bei positiver Einkommensveränderung)! Der Zugang zu Beratungshilfe soll nur noch mittels (umfassender) Antragstellung über Rechtspfleger möglich sein – angesichts der Erfahrung nach schon bisher höchst willkürlichen Praxis der (Nicht-) Bewilligung durch die Amtsgerichte u.U. fatal, in jedem Fall eine deutliche bürokratische Mehrbelastung für Betroffene! Einzig positiv wäre evtl. die geplante Ausweitung von Beratungshilfe auf alle Rechtsgebiete (inkl. Steuerrecht – u.U. hilfreich für selbständige Aufstocker_innen). Siehe dazu unser Dossier:

  • Bundesverfassungsgericht: Ablehnung von Beratungshilfe für sozialrechtliches Widerspruchsverfahren verfassungswidrig – und Kommentar New
    „Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Ablehnung von Beratungshilfe für ein sozialrechtliches Widerspruchsverfahren verfassungswidrig war. Der Antrag des Beschwerdeführers auf die Bewilligung von Beratungshilfe wurde vom zuständigen Amtsgericht in mehreren Entscheidungen wegen Mutwilligkeit abgelehnt. (…) Der Beschwerdeführer bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). (…) Der Beschwerdeführer beantragte beim Amtsgericht die Bewilligung von Beratungshilfe. Er zweifelte an der Richtigkeit der Bescheide und wollte für die Gestaltung des Widerspruchs anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Er nannte der Rechtspflegerin einige Punkte, aufgrund derer die Bescheide nicht richtig sein könnten; unter anderem die leistungsmindernde Verrechnung des Betriebskostenguthabens über einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts wies den Antrag wegen Mutwilligkeit zurück. Ein eventueller Widerspruch sei ohne anwaltliche Hilfe zu fertigen. Es lägen keine Anzeichen für eine konkrete Rechtsbeeinträchtigung vor. Der Beschwerdeführer legte Erinnerung ein. Die Anrechnung der Betriebskosten und die Errechnung des Erstattungsbetrags seien komplexe Sachverhalte. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts half der Erinnerung nicht ab. Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss wegen Mutwilligkeit abgewiesen. (…) Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit. Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden. Dabei kommt es darauf an, ob der dem Beratungsanliegen zugrundeliegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und ob Rechtsuchende selbst über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen. Keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit ist jedoch die pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht der den Bescheid erlassenden Behörde. (…) Der Beschwerdeführer hatte keine besonderen Rechtskenntnisse, und der zugrunde liegende Sachverhalt warf schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf. Das gilt jedenfalls für die vom Beschwerdeführer angezweifelte Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf den Leistungsanspruch und dessen Aufteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Zur Klärung dieser Frage durfte der Beschwerdeführer auch nicht an das Jobcenter verwiesen werden, weil dieses den angegriffenen Bescheid selbst erlassen hatte…“ BVerfG-Pressemitteilung Nr. 45/2022 vom 24. Mai 2022 externer Link zu Beschluss vom 04. April 2022 1 BvR 1370/21

    • Kommentar: Zu beachten ist hier, dass dieser Beschluss einerseits die geltende höchstrichterliche Rechtssprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG (rechtliche Gleichstellung) nur wiederholt, andererseits aber auch dadurch verschlechtert, dass erstens unterstellte „Mutwilligkeit“ nicht bereits als verfassungswidrig („Klassenjustiz“) betrachtet wird; besonders in sofern nicht, wie diese Unterstellung auf saloppe Einschätzungen beruht, die sich unter der Diffamierung „der Reiche ist ehrlich, der Arme bescheißt“ einordnen lassen. Außerdem besteht „Rechtswahrnehmungsgleichheit“ grundsätzlich gerade nicht darin, dass der „Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht“ zieht, wie die Kammer behauptet. Nachdem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) besitzt nur der Rechtsdienstleister (Anwalt) die erforderliche Qualifikation den Rechtssuchenden ausreichend zu vertreten (und – weniger relevant – die Rechtsordnung vor unqualifizierter Inanspruchnahme zu schützen) – eben auch und gerade im kompliziertem Sozialrecht. Fachlich gesicherte Rechtsberatung ist in sofern immer zu empfehlen und wird in der Regel vom Bemittelten auch für eine möglichst erfolgreiche Rechtsdurchsetzung genutzt. Bereits aus finanziellen Gründen muss der Bemittelte nie Selbsthilfe betreiben und ist so gegenüber einkommensschwachen Rechtssuchende grundsätzlich im Vorteil. Bei dem hier von Leistung nach SGB II-Abhängigen ist das Fehlen der durch Art. 3 Abs.1 GG gewährleisteten Gleichheit der Rechtswahrnehmung offensichtlich und wird vom BVerfG nicht entsprechend gewertet, sondern noch mit hohen Anforderungen belegt, die zwar hier als erfüllt gelten, aber grundsätzlich fraglich sind. Erinnert sei an dieser Stelle an den marxistische Rechtstheoretiker Eugen Paschukanis (1891-1936?), der erkannte, dass die „juristische Form des Eigentums (….) in keinerlei Widerspruch zu der Tatsache der Enteignung einer großen Anzahl von Staatsbürgern (steht), denn die Eigenschaft, Rechtssubjekt zu sein, ist eine rein formelle Eigenschaft. Sie qualifiziert alle Leute als gleichmäßig `eigentumswürdig`, macht sie aber keineswegs zu Eigentümern“. („Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“, Freiburg 2003, S.127).
    • Siehe dazu auch unser Dossier: Strafender Staat bekämpft die Armen: wir brauchen etwas Besseres als ein besseres Strafrecht
  • Die Schonvermögensgrenzen bei Beratungshilfen und der Prozesskostenhilfe wurden erhöht
    „… Die Schonvermögensgrenzen wurden an die neuen Schonvermögensgrenzen des SGB XII für die Prozesskostenhilfe sowie für Beratungshilfe durch Anwälte angepasst. Nunmehr gelten 5.000 EUR pro erwachsene Person + 500 EUR pro unterhaltenes Kind. Dadurch entstand eine erhebliche Erweiterung des Kreises von Personen, die nunmehr Anspruch auf Beratungshilfe bzw. Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben. (…) Das bedeutet dass nunmehr der Vermögensfreibetrag einzelner Anspruchsberechtigten bei 5000 EUR statt bislang 1600 €/2600 € liegt. Bei Paaren, die nicht getrennt leben oder nur eheänlich zusammen leben, liegt dieser Freibetrag nun bei 10.000 EUR statt bei 2214/3214 Euro. Der zusätzliche Vermögensfreibetrag, wenn einer weiteren Person überwiegend Unterhalt gewährt wird, beträgt nun 500 € (statt bislang 256 €) pro Person.“ Beitrag vom 15. Mai 2017 von und bei gegen-hartz.de externer Link
  • Reform der Prozesskostenhilfe zum 01.01.2014
    Zum 01.01.2014 sind Neuregelungen bei der Prozesskostenhilfe (Gesetz zur Änderung des Prozesskosten- und Beratungshilfehilferechts vom 31.08.2013 – BGBl I 2013, 3533) in Kraft getreten. Das bisherige Recht bleibt anzuwenden, wenn eine Partei vor dem 01.01.2014 für einen Rechtszug Prozesskostenhilfe beantragt hat. Eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung gilt als besonderer Rechtszug. Der Beitrag soll einen Überblick über die besonders für die anwaltliche Praxis relevanten Neuregelungen geben…“ Artikel von Wolfram Viefhues vom 23.12.2013 bei juris externer Link
  • Beratungs- und Prozesskostenhilfe bleibt
    “Die Beratungs- und Prozesskostenhilfe erleichtert Menschen mit geringem oder ohne Einkommen den Gang vor die Gerichte. Dieser Zugang zum Rechtsstaat bleibt für Menschen in schwierigen Lebenslagen auch künftig erhalten. In den letzten Wochen hatte ver.di gemeinsam mit dem DGB und vielen anderen Verbündeten den öffentlichen Druck stark erhöht. Die Online-Petition, Unterschriftenaktionen und Briefe an Politiker/innen hatten Erfolg. Am 26. Juni fand der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat einen Kompromiss zum Änderungsgesetz. Der Bundesrat hat diesen Kompromiss durch „Stillhalten“ in seiner Plenarsitzung am 5. Juli gebilligt.” Meldung bei ver.di vom 11. Juli 2013 externer Link
  • Mehr Geld für Anwälte – Kürzung der Prozesskostenhilfe gestoppt
    Besuche beim Anwalt und beim Notar werden teurer. Der Bundestag beschloss am späten Donnerstagabend eine Anhebung der Honorare und Gebühren. So erhalten Rechtsanwälte im Schnitt künftig zwölf Prozent mehr als nach der letzten Erhöhung im Jahr 2004. Notare, deren Sätze zuletzt vor 25 Jahren angehoben wurden, können je nach Region sogar auf Mehreinnahmen von bis zu 20 Prozent hoffen. Im Gegenzug wurden allerdings die ursprünglich geplanten Einschränkungen bei der Prozesskostenhilfe weitgehend gestoppt. Im Gegensatz zum ursprünglichen Regierungsentwurf entfällt größtenteils die Absenkung der Freibeträge, oberhalb derer die gewährten Hilfsgelder zumindest teilweise zurückgezahlt werden müssen…“ dpa-Meldung vom 16. Mai 2013 externer Link
  • Recht auf Rechtsstaat. Beschränkung der Prozeßkostenhilfe
    Die gestrige Anhörung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages hat es gezeigt: Die Forderungen der Bundesländer und der Bundesregierung hinsichtlich der Begrenzung der Prozeßkostenhilfe und der Beratungshilfe sind unausgegoren und treffen einmal wieder die Menschen mit geringen Einkommen…“ Artikel von Jens Petermann in junge Welt vom 14.03.2013 externer Link
  • Zweiklassenjustiz statt Waffengleichheit?
    Droht in Deutschland eine Zweiklassenjustiz? Das befürchten Opposition, Anwaltsverbände und Gewerkschaften. Ihre Kritik richtet sich gegen die Reform der Prozesskostenhilfe: Die geplanten Änderungen brächten die Waffengleichheit vor Gericht in Gefahr. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück…“ Dossier von Patrick Gensing, tagesschau.de, vom 31.01.2013 externer Link
  • Bundestagspetition: Arbeitslosengeld II – Prozesskosten- und Beratungshilfe für Arbeitslosengeld II-Empfänger vom 30.12.2012
    Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Die Beratungs- und Prozesskostenhilfe für HARTZ IV-Betroffene soll NICHT eingeschränkt werden. Ein Gesetzentwurf des Justizministeriums will den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen, die von Hartz IV abhängig oder generell über ein geringes Einkommen verfügen, deutlich einschränken. Der Entwurf, der mittlerweile von der schwarz-gelben Bundesregierung überarbeitet wurde, liegt bereits dem Bundesrat und dem Bundestag vorDie Petition und Begründung externer Link (Mitzeichnungsfrist: 21.01.2013 – 18.02.2013)
  • Offener Brief an die MdB aller Fraktionen – Verschärfung des Zugangs zur Prozesskostenhilfe
    Betr.: Geplante Gesetzesänderung zur Beratungs-und Prozesskostenhilfe für arme Bürger. Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, mit Empörung habe ich zur Kenntnis genommen, dass erneut und in nur leicht abgeänderter Form versucht wird, armen Menschen den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe zu erschweren oder gar zu verunmöglichen. Aus gutem Grund ist Justizia blind…“ Offener Brief von E. Vaudlet vom 06.01.13 bei scharf Links externer Link
  • Arme sollen weniger klagen
    Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung würde den Zugang zu Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen mit niedrigen Einkommen erschweren.
    Ein Gesetzesentwurf des FDP-geführten Justizministeriums sieht vor, den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen mit geringem Einkommen einzuschränken. Die von der Bundesregierung überarbeitete Fassung liegt mittlerweile im Bundesrat und im Bundestag vor. Verschlechterungen gibt es vor allem an drei Punkten: Für einkommensarme Menschen soll es keinen ungehinderten Zugang zu einem Rechtsanwalt mehr geben, stattdessen muss ein Rechtspfleger den Antrag vorab bewilligen. Die Einkommensschwelle für den Zugang zu Rechtshilfen soll um rund 100 Euro in Richtung Hartz-IV-Niveau gesenkt werden. Die Kostenrückzahlung soll auf sechs Jahre verlängert werden. Diese Maßnahmen werden von Juristen- und Erwerbslosenorganisationen, Sozial- und Frauenverbänden und der Dienstleistungsgewerkschaft verdi scharf kritisiert. Verdi hat mittlerweile eine Unterschriftenaktion gegen den Gesetzentwurf gestartet…“ Artikel von Peter Nowak in telepolis vom 23.12.2012 externer Link
  • Beim Recht alleingelassen?
    [nd:] Herr Jirku, die Gewerkschaft ver.di hat eine Unterschriftenkampagne gegen einen Gesetzentwurf zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe begonnen. Warum? [Jirku:] Der Gesetzesentwurf des FDP-geführten Justizministeriums würde den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für die unteren Einkommensschichten verbarrikadieren. Dabei sind die Fallzahlen seit Jahren relativ stabil, Tendenz sinkend, obwohl die Einkommen in den unteren Schichten schrumpfen, also eigentlich eher mehr als weniger Bedarf für Rechtshilfen besteht…Interview von und bei Peter Nowak mit Bernhard Jirku externer Link , ver.di-Bereichsleiter für Arbeitsmarkt- und Erwerbslosenpolitik, aus Neues Deutschland vom 29.12.2012
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=20645
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