DIE LEIHKEULE. Erfahrungen mit einer Kollegenzeitung

"Leihkeule" - Unabhängige Zeitung für Leiharbeiter2007 erschien  die erste Ausgabe der LEIHKEULE. Die Zeitung von Leiharbeitern für Leiharbeiter  war das Produkt eines langen Online-Austauschs bei chefduzen.de, dem „Forum der Ausgebeuteten“. Die Sklavenhändlerbranche ist ein führendes Thema im Forum, woraus das Bedürfnis entstand, der verbreiteten Unzufriedenheit eine Form und eine Richtung zu geben. Es wurde nach einem Weg gesucht, über individuelle Hilfe durch Rat und Aufklärung und das Ablassen des Frusts über das eigene Schicksal hinauszukommen. Die Situation war chaotisch. Die Leiharbeit erhielt eine immer größere Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt, doch die Betroffenen hatten keinerlei Ahnung, wie damit umzugehen sei. Man war am Schimpfen, doch gleichzeitig schien es niemand ernstzunehmen. Man hielt den Job als Leiharbeiter für ein zeitlich begrenztes Ungemach und bewarb sich auf „vernünftige“ Stellen oder versuchte bei einem Einsatz in einem Großbetrieb nicht negativ aufzufallen oder klotzte sogar besonders rein, in der Hoffnung, übernommen zu werden in die Stammbelegschaft. Das Herausbringen einer Kollegenzeitung war der Versuch die Illusionen aus dem Weg zu räumen und die Einzelkämpfer zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Doch die Leiharbeiter erwiesen sich als organisierungsresistent…“ Artikel von Holger Teben vom Januar 2018 – wir danken!

DIE LEIHKEULE

Erfahrungen mit einer Kollegenzeitung

2007 erschien  die erste Ausgabe der LEIHKEULE. Die Zeitung von Leiharbeitern für Leiharbeiter  war das Produkt eines langen Online-Austauschs bei chefduzen.de, dem „Forum der Ausgebeuteten“. Die Sklavenhändlerbranche ist ein führendes Thema im Forum, woraus das Bedürfnis entstand, der verbreiteten Unzufriedenheit eine Form und eine Richtung zu geben. Es wurde nach einem Weg gesucht, über individuelle Hilfe durch Rat und Aufklärung und das Ablassen des Frusts über das eigene Schicksal hinauszukommen. Die Situation war chaotisch. Die Leiharbeit erhielt eine immer größere Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt, doch die Betroffenen hatten keinerlei Ahnung, wie damit umzugehen sei. Man war am Schimpfen, doch gleichzeitig schien es niemand ernstzunehmen. Man hielt den Job als Leiharbeiter für ein zeitlich begrenztes Ungemach und bewarb sich auf „vernünftige“ Stellen oder versuchte bei einem Einsatz in einem Großbetrieb nicht negativ aufzufallen oder klotzte sogar besonders rein, in der Hoffnung, übernommen zu werden in die Stammbelegschaft. Das Herausbringen einer Kollegenzeitung war der Versuch die Illusionen aus dem Weg zu räumen und die Einzelkämpfer zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen.

Doch die Leiharbeiter erwiesen sich als organisierungsresistent. Die Leihkeule war beliebt. Es gab auch gleich Feedback. Man hatte kein Interesse an den Horrorstories aus dem Alltag der Leiharbeit. Man kannte sie aus eigener Anschauung und brauchte in der Hinsicht nicht mehr überzeugt zu werden. Man wollte etwas von direktem Nutzen: Adressen von Beratungsstellen, Hinweise auf Auswege aus der Leiharbeit und Aufklärung über die rechtliche Situation. Die Leihkeule findet man im LabourNet Germany, in Foren und sozialen Medien. Sie wird in großer Zahl online gelesen und weiterverlinkt. Die Zeitungen werden auch immer wieder ausgedruckt und in Umkleide- oder Pausenräumen ausgelegt. Größere Verteilaktionen vor Werkstoren wurden eher von Politaktivisten organisiert, als von Leiharbeitern. Das ist aber nicht unbedingt das Ergebnis von Ignoranz und hat gute Gründe, denn im Allgemeinen empfiehlt es sich nicht, vor einem Betrieb Flugblätter zu verteilen, in dem man selbst arbeitet. Und den Leihsklaven auf Montage ist meist nicht nach zusätzlichen Aktivitäten zumute. Bei ihnen ist der Tag mit einem Feierabendbier gelaufen. Auch die redaktionelle Arbeit spiegelte die Situation unter Leiharbeitern wieder. Bei den Treffen zu Stammtischen erschienen Betroffene, aber es hatte keine Kontinuität. Wir mußten die Informationen und Geschichten, die uns erzählt oder zugeschickt wurden, in einer Miniredaktion zusammenstellen, bearbeiten und layouten. Die Ausgaben entstehen in einer Onlinediskussion in einem geschlossenen Diskussionsraum mit mehreren über das Land verteilten Leiharbeitern.

Die Bedingungen in der Leihbranche haben ein weites Spektrum und es gibt ein weites Feld an extremer Ausbeutung, auch in eindeutig illegaler Form. Betrügerischer Konkurs, Unterschlagung von Löhnen, Neueröffnung von Niederlassungen unter einem anderen Betreibernamen und immer wieder das Ausnutzen der Unkenntnis der Gesetzeslage bei Migranten gehören zur Normalität in der Branche. Das führte oft zu Ausbrüchen spontaner individueller Gegenwehr. Arbeitsgeräte wurden als „Pfand“ für ausstehende Zahlungen mitgenommen, in Niederlassungen flogen Fäuste und einige wurden auch entglast. Die Veröffentlichung solcher Entwicklungen wurde intern heftig diskutiert, denn einige fürchteten, damit würde man das Erscheinen der kleinen Zeitung gefährden. Es setzte sich  die Meinung durch, daß es sich um Berichterstattung handelt und nicht um einen Aufruf und damit auch presserechtlich nicht zu beanstanden sei. Die erste kollektive Aktion, die uns bekannt geworden ist, war 2009, als Leiharbeiter von VW in Hannover in den Hungerstreik traten, weil der Konzern sie entlassen wollte, um so eine Übernahme in die Stammbelegschaft zu verhindern.

Bei unserer Leserschaft überwog das Interesse an Aufklärung über die rechtliche Situation. Wir klärten auf bei Änderungen der Gesetzeslage. Wir machten eine Sonderausgabe zur Ablehnung von Streikbechereinsätzen. Wichtig war die Sonderausgabe „CGZP ist nicht tariffähig – Jetzt Nachforderungen sichern“, als die gelbe Christliche Gewerkschaft ihre Tariffähigkeit verloren hat, was durch alle gerichtlichen Instanzen bestätigt wurde. Wir haben damit vielen zum erfolgreichen Einklagen ansehnlicher Geldbeträge verholfen, waren aber gleichzeitig frustriert darüber, daß die Mehrheit der Betroffenen untätig blieb und auf das ihr zustehende Geld verzichtete. Die Redaktion blieb ein kleiner, in der Zusammensetzung wechselnder Haufen und die Leihkeule erscheint nicht regelmäßig. Die Themen gehen uns nicht aus, doch die Kräfte ermöglichen uns kein häufigeres Erscheinen. Wir wollten uns nicht damit zufrieden geben, einfach nur Dienstleister für Kollegen zu sein und rechtliche Aufklärung zu leisten, zumal wir mit der gesetzlichen Situation auch nicht einverstanden sind. Wir stellen das ganze System der Leiharbeit in Frage und geben uns nicht damit zufrieden, es zu verbessern oder „fairer“ zu gestalten. Man darf keine Spaltung der Belegschaften hinnehmen und die Einführung Beschäftigter zweiter Klasse ist nicht akzeptabel.

2013 geschah etwas, was man Leiharbeitern nicht zutraut: Sie traten in einen kollektiven Arbeitskampf. An einem großen deutschen Flughafen trafen sich Leiharbeiter in der Arbeitszeit in einer Werkstatt, um zu diskutieren, wie man sich wehren kann. Es war hilfreich, daß einer zur Redaktion der Leihkeule gehörte. Sie entwickelten einen informellen Kampf, der den Flugbetrieb empfindlich beeinträchtigte. Es war eine Mischung aus Slow-Down, Sabotage und Wildem Streik. Die für den technischen Ablauf zuständigen Leiharbeiter waren oft einfach nicht aufzufinden, sie vertaten sich beim Verladen von Gepäck, das so andere Orte erreichte, als seine Besitzer, und sie vergaßen die fahrbaren Flugtreppen zu betanken. Um einen reibungslosen Flughafenbetrieb wieder herzustellen, sah das Management sich gezwungen, die Leiharbeiter mit Festanstellung zu besserer Bezahlung zu übernehmen.

2014 hatte die Nachtschicht bei Daimler Bremen die Arbeit in einem spontanen Wilden Streik niedergelegt, um damit gegen Leiharbeit und Werksverträge zu protestieren. 2016 nutzte die Leihkeule die Möglichkeit, auch über Youtube-Videos Kollegen zu erreichen. Ein Interview mit dem Daimler-Betriebsrat Gerwin Goldstein vermittelte eine so plastische und spannende Beschreibung des Arbeitskampfes, daß der Deutschlandfunk darauf aufmerksam wurde und eine ausführliche Reportage darüber machte. Als die Sendung im Bremer Hörkino in ausverkauftem Saal aufgeführt wurde, kamen Beschäftigte auch aus Hamburg angereist, um diesen kämpferischen Betriebsrat kennenzulernen.

Neben der redaktionellen Arbeit knüpften wir häufig Kontakte zwischen Journalisten und Betroffenen. Wir stellen auch fest, daß unsere Veröffentlichungen Einfluß auf die Diskussion haben unter Leiharbeitern, aber auch von politischen Aktivisten und Gewerkschaftern diskutiert werden. Als die Leihkeule im Sommer 2017 bei den Nachdenkseiten verlinkt wurde, war klar, daß das kleine Blatt als ernstzunehmende Stimme der Leiharbeiter wahrgenommen wird.

Mit dem Jahr 2017 nahmen wir einen Umschwung im Klima unter den Leihsklaven wahr. Je mehr die Gewerkschaften versprachen, etwas gegen den „Mißbrauch“ der Leiharbeit zu tun oder sie „fairer gestalten“ wollten, desto weiter breitete sich die Arbeitnehmerüberlassung aus und überschritt erstmals die eine Million-Marke. Die Hoffnung auf eine Übernahme in die Stammbelegschaften ist geschwunden und man sieht sich in dem prekären Arbeitsmarkt gefangen, wird von der einen Leihbude gekündigt, wenn „Equal Pay“ oder Festantellung anstehen, um vom nächsten Verleiher wieder eingestellt zu werden. Es breitet sich eine Scheißegal-Haltung aus, denn man braucht eine Kündigung nicht zu fürchten. Die Wut wächst in einem Maße, das zu Sick-Outs (kollektiven Krankmeldungen) und gemeinsamer Arbeitsverweigerung führte.

Leiharbeit ist eine sich weltweit ausbreitende Seuche. Das macht auch grenzüberschreitende Gegenwehr nötig. Die Leihkeule wollte zu den G20 Protesten eine Infoveranstaltung über den aktuellen Kampf der Leiharbeiter bei VW im nordchinesischen  Changchun durchführen. Als die Hamburger Innenbehörde jedoch die Infozelte in Entenwerder verbot und die Polizei dies rigoros durchsetzte, blieb von der ursprünglichen Idee nur noch ein deutsch-chinesisches Solidaritätstransparent, das bei den Auseinandersetzungen im Schanzenviertel, wie bei der Großdemo zum Abschluß des Gipfels dabei war. Die Fotos von diesem zweisprachigen Transparent machten in kurzer Zeit in chinesischen sozialen Medien die Runde. Die VW-Leiharbeiter erhielten dann auch zweisprachige Solidaritätserklärungen von der Leihkeule, von Betriebsräten und Vertrauensleuten von Daimler Bremen und der Interessengemeinschaft der Leiharbeiter IGL. Es entstand ein direkter Kontakt zwischen den chinesischen Kollegen und Leiharbeitern in Deutschland. In China fühlte man sich angespornt von der Solidarität aus dem Mutterland des VW-Konzerns und entwickelten neue Initiativen zur Verteidigung ihrer Rechte. Als Reaktion auf die monatelange Inhaftierung des Sprechers der Leiharbeiter und eine erneute Welle von Zensur und Repression, organisierte die Leihkeule einen Infotisch in Wolfsburg mit Transparenten und Flugblättern zur Situation der chinesischen Leiharbeiter bei VW. Als diese kleine Aktion eine bundesweite Resonanz in den Medien nach sich zog und die Leiharbeiter in Changchun die Stellungnahme des VW-Betriebsrats als nicht den Tatsachen entsprechend beschrieben, sah VW sich gezwungen, die Situation zu befrieden. 900 Leiharbeiter, die entlassen werden sollten, wurden übernommen bei einem doppelt so hohen Lohn wie in der Leiharbeit.

Gleichzeitig ist es zu unabhängigen Protesten von VW-Leiharbeitern in Hannover gekommen. Und da in Changchun Fu Tianbo, der Sprecher der kämpfenden Leiharbeiter, nicht aus der Haft entlassen worden ist, ist auch diese Auseinandersetzung nicht beendet. Für die Leihkeule-Macher war das letzte Jahr aufregend mit der aufkommenden Unruhe unter Leiharbeitern und dem Erlebnis einer funktionierenden grenzüberschreitenden Solidarität. Auch kleine Initiativen können große Wirkung zeigen.

Artikel von Holger Teben vom Januar 2018

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