Kann ein Verleiher den Grundsatz des equal pay dadurch umgehen, dass er einzelvertraglich einen gemäß § 4 Abs. 5 TVG in der Nachwirkung befindlichen Tarifvertrag einzelarbeitsvertraglich vereinbart?

Beitrag von Hans-Dieter Wohlfarth (Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht (www.anwalt-in-stuttgart.de externer Link ))

Nach meinem Kenntnisstand liegen einschlägige arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu dieser Problematik nicht vor. § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG lässt es vom Wortlaut, vom Sin und Zweck und insbesondere der unterschiedlichen Rechtsqualität der Normen nicht zu, dass der Grundsatz des equal pay durch eine einzelarbeitsvertragliche Inbezugnahmeklausel auf einen sich in der Nachwirkung befindlichen Tarifvertrag rechtswirksam umgangen wird.

§ 3 Abs.1 Nr.3 AÜG lässt vom Gesetz abweichende Regelungen durch einen Tarifvertrag zu, setzt also voraus, dass die Regelungen sich im Normgefüge auf der gleichen Ebene befinden. Ein Tarifvertrag entfaltet nach § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz zwingendes Recht für die beiderseits tarifgebundenen, wirkt also insoweit wie ein Gesetz. Diese Wirkungen des Tarifvertrages bleiben gemäß § 3 Abs. 3 TVG bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Mit der Beendigung verliert also der Tarifvertrag seine Rechtsqualität, weil nach § 4 Abs. 5 TVG seine Rechtsnormen zur Disposition stehen und durch eine andere Abmachung ersetzt werden können. Die Arbeitsvertragsparteien können daher ab diesem Zeitpunkt dispositiv über die Rechtsnormen eines Tarifvertrags verfügen und entscheiden, ob sie für das Arbeitsverhältnis weiter Anwendung finden sollen oder nicht.

Ein nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifvertrag unterscheidet sich rechtlich also grundlegend, je nachdem ob er nicht beendet ist (dann wirkt er unmittelbar und zwingend, auch in der Nachbindung), oder ob er beendet ist und seine Normen nur noch weitergelten. Eine Beendigung eines Tarifvertrages ohne dass dieser Tarifvertrag durch einen neuen Tarifvertrag (nahtlos) ersetzt worden wäre bedeutet auch, dass die Tarifvertragsparteien die bisher geltenden Tarifnormen gerade nicht mehr unmittelbar und zwingend zur Anwendung bringen wollen, es sei denn im Tarifvertrag selbst wäre eine andere Regelung getroffen worden.

Bei der Beurteilung ist überdies zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Zeit der Nachwirkung eines Tarifvertrages die Geltung der nachwirkenden tariflichen Normen nicht rechtswirksam erlangt werden kann, wenn der betreffende Arbeitnehmer in die tarifvertragschließende Gewerkschaft eintritt. Die gesetzlich bestimmte Fortgeltung der tariflichen Normen ist also unmittelbar daran ge-knüpft, dass der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis einmal unmittelbar und zwingend Anwendung gefunden hat. Ohne diese Voraussetzungen finden die Tarifnormen auf ein Arbeitsverhältnis keine Anwendung, auch nicht in der Nachwirkung, außer durch individualrechtliche Vereinbarung.

Der Verleiher kann also nur dann in das Privileg kommen, vom equal pay-Gebot abweichen zu dürfen, wenn ein zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unmittelbar und zwingend geltender Tarifvertrag in Bezug genommen wird. Befindet sich dieser Tarifvertrag in der Nachwirkung, kann rechtswirksam dieses Privileg nicht mehr erlangt werden, weil es zum einen Sinn und Zweck des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG widerspricht, das Gleichgewicht der sich gegenüberstehenden Normen nicht hergestellt ist (Gleichgewicht zwischen gesetzlichen Regelungen und tariflichen Regelungen) und die Nachwirkung von Tarifnormen nur dann Platz greifen kann, wenn eine Tarifbindung bestanden hat. Diese Tarifbindung kann nur dann rechtswirksam nach Sinn und Zweck des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG her-gestellt werden, wenn ein Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis vereinbart wird, der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unmittelbar und zwingend wirkt. Ist dieser Tarifvertrag bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beendet, greift das gesetzliche Privileg des § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG für den Verleiher nicht mehr.

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