Gedanken eines Leiharbeiters zu den Branchenzuschlägen

Ich bin ein LeiharbeiterZuschrift an die LabourNet-Redaktion vom Mai 2013

Schönen guten Morgen,
vor längerer Zeit, als die Zuschläge beschlossen waren, machte ich mir folgende Gedanken dazu und zur Rentendebatte.

Kaum jemand der in den oberen Etagen der Gewerkschaften sitzt, oder aber in den Chefetagen der Unternehmen agiert, macht sich `nen Kopf darum, was es für den einzelnen Menschen bedeutet, auf dem Markt verliehen zu werden.

Sicher alles ist besser, als von den netten Menschen der Argen nach deren Ermessen ausgequetscht, gegängelt und vorgeführt zu werden. Nur der Preis ist verdammt hoch.Zeitarbeit bedeutet:

  • Stets am Limit, ob es nun die Tankfüllung, die Arbeitszeit, das Konto oder aber die persönliche Grenze der Belastbarkeit betrifft.
  • Man darf keinerlei Wiederworte keinerlei eigene Meinung, keinerlei Kritik üben.
  • Immer Höchstleistung, nach Möglichkeit keinerlei Fehler, jedes Wort auf die Goldwaage.

Denn alles was, auf einen Menschen hindeutet, ist Tabu. Man hat zu funktionieren, wie ein geleastes Auto, klappt das nicht wird ein nettes Mitarbeitergespräch geführt. Um es deutlich zu machen: du bis hier austauschbar. Was das für den einzelnen Arbeiter bedeutet, muss jedem klar sein, Austauschen ist eine aufgeschobene Kündigung, sprich, es steht nur noch kein Datum drauf, gedruckt ist sie schon.

Krank werden ist auch so eine Sache. Leiharbeitnehmer dürfen nicht krank werden, denn da ist wieder diese unausgesprochene Drohung: Austauschen. Dass ein Mensch mit einem einigermaßen normalen Nervenkostüm aber gerade unter diesen Umständen krank wird, ich sage nur Depressionen und Burn out, sollte jedem, der auch nur einen Hauch von Empathie oder Vorstellungskraft besitzt, klar sein.

Diese ständige Ungewissheit, das ständige Wechselbad der Gefühle haut auch den stärksten Kerl und die taffste Frau früher oder später aus den Pantinen. Es mag den einen oder anderen geben, der auch das noch wegstecken kann, da wurmts dann eben an anderer Stelle, dieses Wissen, immer Arbeiter 2ter Klasse zu sein.

Urlaub, na ja gesetzlich verankert und daher leider „noch“ schwer zu verweigern, aber ich bin mir sicher, auch das bekommen sie noch hin. Ich persönlich arbeite nun schon über 7 Jahre für verschiedene ZAF und wirklich fair war eigentlich keine. Denn Fair bedeutet für mich gleiches Geld für gleiche Arbeit!

Auch die Gewerkschaften schaffen es nicht, dieses durchzusetzen. Dabei würde ein Satz  genügen. Ich bin für Tarifverträge in der Zeitarbeit, allerdings dürfen die Arbeiter damit nicht schlechter gestellt werden, als die Stammarbeitnehmer in den jeweiligen Endleihbetrieben.

Niedrigerer Stundenlohn – auch damit kann ich mich nicht abfinden. Zulagen, ob nun Schichtzulagen etc. pp., ok! Aber doch in der Höhe, die die Stammbelegschaft bekommt und nicht auf Grundlage des Zeitarbeitslohns.

Das Schlimmste ist diese Ungewissheit, es ist keinerlei Lebensplanung möglich, denn sollte der Fall eintreten, dass die so gefürchtete Kündigung eintritt, fällt man unweigerlich auf ALG 2-Tiefe, ungebremst. Das sind für einen Single bestenfalls Regelsatz plus 240€ Miete sonst nichts, also ca. 570€ – es kann doch nicht sein, dass ich nach einem Leben in Arbeit mein Leben in Armut beende! Da ziehe ich doch das sozialverträgliche Frühableben vor…

Selbst unsere Politiker, die eigentlich schwer von Begriff sind und das Rechnen und kalkulieren mit Sicherheit nicht erfunden haben, steigen ansatzweise durch. So ein Leben am Rand des Existenzminimums ermöglicht eben auch keinerlei private Rentenvorsorge. Fazit: Auch hier muss der Steuerzahler, und das sind auch die Stammis (vor allem die, denn von den 20 €, die ein LAN an Einkommenssteuern zahlt, wird’s wohl schlecht finanziert werden können).

Betriebsversammlungen in den jeweiligen Endleihbetrieben sind ein Stich ins Herz. Als LAN hört man da: Dann es gibt dieses und jenes Bon Bon für die Arbeiter, die ja maßgeblich am Erfolg des Unternehmens durch ihre Einsatzbereitschaft beteiligt waren – Leiharbeitnehmer gehören nicht dazu! Nein, wir arbeiten ja nicht für das Endleihunternehmen, sondern für die Zeitfirma. Schlimmer, wir dienen zwei Herren, und zwei Herren sacken die Wertschöpfung unsere Arbeitskraft, unserer Lebenskraft, unseres Wissens ein. Lassen nur Brotkrumen für die, die leisten, gehorchen und schlussendlich einfach resignieren.

Man gehört nicht dazu, das tut so weh, Betriebsversammlungen sollte man nicht besuchen. Ich werde an keiner mehr teilnehmen, da ich es nicht mehr ertragen kann, dort als Arbeiter 2ter Klasse zu gelten (auch wenn es immer bestritten wird). Ich hab inzwischen massive Depris, teilweise sitz ich zuhause und könnt jedem diesen unsäglichen Untarifvertrag um die Ohren schlagen.

Auch der nun so hochgelobte neue Tarifvertrag ist nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt wird.  Es wird sich für viele Leiharbeitnehmer nichts zum Guten wenden. Nein, es wird für die meisten die Hölle auf Erden werden.  E 1 und 2 , 3 noch am Rande werden mit Sicherheit in keinem Entleiher länger als 4 Wochen beschäftigt. Somit ist dieser Branchenzuschlag in diesen Entgeltgruppen Makulatur.  Im Gegenteil, das Karussell „Kündigung und Wiedereinstellung“ wird sich noch schneller drehen. Die Unsicherheit wird noch mehr wachsen und der psychische Druck auf die AN wird sich in einen Bereich begeben, der schon an Körperverletzung grenzt.

Nach 4 Wochen wird bestenfalls der Entleiher gewechselt, damit die 6 Wochen nicht greifen, was natürlich auch zur Folge hat, dass sich auch die weiteren Stufen nicht durchsetzen lassen. Zumindest nicht in den unteren Entgeltgruppen. Dass meistens in gerade diese Gruppen eingruppiert wird, dürfte – denke ich – kein Geheimnis sein.

Jeder, der Leiharbeit in heutiger Form als gut, oder eben zumindest als nicht schlecht tituliert, hat keinerlei Ahnung davon, was das mit den Menschen macht. Der Mensch wird zur Ware gemacht, zu einem Ding, das man beliebig verleihen und verkaufen kann. Nur vergessen die Verleiher, dass gerade Dinge, die verliehen werden, einer besonderen Pflege und Aufmerksamkeit bedürfen. Von den Entleihern kann man einen pfleglichen Umgang mit der Ware Mensch kaum erwarten, denn die bezahlen ja für ein funktionierendes Material – wenn es kaputt ist, geht’s eben zurück und neues Material wird angefordert…

Wir gehen zurück, zurück in der Zeit hin zu Leibeigenschaft und Frondienst, hin zu Domestikentum und Tagelöhnerei.  Ich frage: War alles, was viele Menschen in den vergangenen Jahren für die Arbeiter erkämpft haben, so wenig wert für die Mitglieder der Gesellschaft, um es auf dem Altar von Globalisierung und Dividenden zu opfern, einem goldenen Kalb oder eben wie heute dem Stier???

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