Mindestlohn: Vollendet die Agenda 2010 – Ist das allein genug?

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 17.10.2013

Wenn ausgerechnet Bert Rürup, der als Ökonom einer der Vorkämpfer der Flexibiliserung des Arbeitsmarktes war und damit einer der Wegbereiter und Architekten der Agenda 2010 uns heute – rund 10 Jahre später verkündet, man müsste doch jetzt (!) im Jahre 2013 die Agenda mit einem Mindestlohn „vollenden“, reibt man sich nur noch höchst verwundert die Augen: Hat man das jetzt richtig gelesen? (http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-10/agenda-2010-mindestlohn-sondierung-union-spd externer Link)

„Vollenden“ kann doch nur bedeuten, dass die Agenda – schon damals? – einTorso war? Hat die Regierung Schröder also eine gewaltige „Spaltung“ desArbeitsmarktes mit einem wachsenden Anteil von prekären Beschäftigungsverhältnissen geschaffen, (siehe dazu „Die Welt der Potemkinschen Dörfer des Arbeitsmarktes – oder die Jobwundermärchen“ (www.labournet.de/?p=43343 oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=18486#h07 externer Link – insbesondere die Seite 3 f.), um dann jetzt durch den ökonomischen Sachverstand (Rürup war auch langeZeit Vorsitzender des Sachverständigenrates für Wirtschaft) feststellen zumüssen, ein Nicht-Vorhandensein des Mindestlohns in der Agenda 2010 war eigentlich schon ein Geburtsfehler derAgenda 2010.Oder wurde es durch die gewaltige Erosion des Flächentarifvertrages – nur noch 58 Prozent der Beschäftigten sind tarifgebunden – gerade einmal zum enormen sozialen Problem für eine allgemeine Lohngestaltung in Deutschland? (www.nachdenkseiten.de/?p=18956#h06 externer Link)

Nun selbst die FAZ bescheinigte dem Wissenschaftler ein „biegsamer Ökonom“zu sein. (http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/bert-ruerup-der-biegsame-oekonom-1596727.html externer Link) Ja, es gelingt sogar die Geschichte des Ökonomen Rürup als „Märchen“ ganz amüsant zu erzählen (vgl. „Rürup-Märchen – Rürups politischeKorruptions-Drehtür amüsant beleuchtet“: http://www.youtube.com/watch?v=RK4o8KzEuH8 externer Link ). Ja, mit der „Drehtür“ konnte er besonders geschickt umgehen. (www.nachdenkseiten.de/?p=3603 externer Link – und dazu ergänzend, wenn auch inzwischen ohne den Fernsehbeitrag www.nachdenkseiten.de/?p=3627 externer Link)

Bert Rürup eine Schlüsselfigur der neoliberalen Wende

So muss man vielleicht Bert Rürup, der als Wissenschaftler sicher eine der Schlüsselfiguren der neoliberalen Wende unter der rot-grünen Schröder-Regierung war, doch noch einmal genauer vorstellen, weil nicht jeder/m diese „Wendezeit“ vor rund 10 Jahren geläufig sein muss. Noch mehr als bei der Agenda 2010 trat er nämlich als Vorsitzender der sog.“Rürup-Kommission“ für die Privatisierung der Rentenversicherung in Erscheinung – und bekam deshalb das Ettikett „Rentenpapst“ – eine Rolle, diedann „Transparency“ nicht gefiel (www.nachdenkseiten.de/?p=9036#h07 externer Link). Dabei hatte er hier recht erfolgreich agiert (www.nachdenkseiten.de/?p=320 externer Link)

Wer über das ganze damalige Geschehen einen ausführlich Überblick sich leisten will, dem sei Christoph Butterwegge in seiner Analyse zu demzehnjährigen „Jubiläum“ der Agenda 2010 in diesem Jahr empfohlen (www.nachdenkseiten.de/?p=16494 externer Link). Ganz eindrucksvoll wird in einem weiteren Beitrag (= der Zweite im folgenden Text) hier auch geschildert, wie durch die im Kanzleramt eingerichtete Agenda-Gruppe damals nicht nur die SPD als Partei, sondern wohl auch die SPD-Bundestagsfraktion mit der Agenda 2010 überrumpelt und unter Druck gesetzt wurde. (www.nachdenkseiten.de/?p=18946 externer Link)

Vielleicht möchte ja Rürup auch den alten Hartz-Hardlinern aus der SPD Unterstützung zukommen lassen, die noch immer felsenfest im Glauben an dieRichtigkeit der Arbeitsmarktreformen a la Agenda 2010 festhalten (www.nachdenkseiten.de/?p=17456#h16 externer Link).  Oder ist es doch erst das Ergebnis des Misserfolgs der Agenda, die als Export-Überschuss- Lohndumping-Modell selbst für das als „Profiteur“vorgesehene Deutschland eben einfach auf Sand gebaut war? (vgl. den Abschnitt „Exportwahn der Deutschen bloß auf Sand gebaut“ auf der Seite 7 f.bei www.labournet.de/?p=45417)

Wie dieses Agenda-Lohndumping zur Erosion des Euro führt.

Oder beginnt langsam dem „letzten“ Agenda-Architekten jetzt doch einzuleuchten, was Ulrike Herrmann in der „Monde-Diplomatique“ zum bevorstehenden Ende der gemeinsamen Währung, dem Euro durch diese Politik schrieb: „Übrigens ist es kein Zufall, dass Deutschland mit dem Lohndumping – unter Schröder – erst begonnen hat, als der Euro eingeführt wurde. Vorher hätte es nämlich – ohne die gemeinsame Währung – nicht funktioniert. Und: Die Deutschen sind realitätsblind, wenn sie jetzt – wieder Bundespräsident Gauck erst kürzlich in Frankreich wieder (siehe dazuden Abschnitt „… Und ein Bundespräsident preist den Franzosen nach Oradour die Agenda 2010“ auf der Seite 1 bei https://www.labournet.de/?p=44179) – die Agendapolitik der Deutschen als Vorbild für ganz Europa preisen. So drängt das deutsche Lohndumping selbst ökonomisch gesunde Staaten aus demEuro – vorneweg Frankreich. (http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/09/13.mondeText1.artikel,a0004.idx,0 externer Link) Und man muss ja konstatieren, dass das Lohndumping kein Ende findet. (www.nachdenkseiten.de/?p=18938#h07 externer Link)

Die Erkenntnis, dass von der Einführung des Euro gerade Deutschland profitiert hat, ist Rürup jedoch auch nicht fremd (www.nachdenkseiten.de/?p=7199#h08 externer Link) – nur neben dem Nutzen für Deutschland bleiben ihm die weiteren europäischen Zusammenhänge unter dem „Dach“ einergemeinsamen Währung anscheinend fremd – wie schon der Schröder-Regierung.

Der Mindestlohn im aktuellen Koalitionspoker.

Nachdem die bei den Arbeitgebern für politische Kampagnen-zuständigeOrganisation „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) jetztaktuell (Oktober 2013)gegen den Mindestlon mobil machte (www.nachdenkseiten.de/?p=18862 externer Link), hat Jens Berger die recht eindrucksvolleListe der Studien zusammengestellt, die die Argumente gegen die generelleEinführung von Mindestlöhnen sauber widerlegen – auch das Argument, das jetzt auch prompt von der Bundeskanzlerin wiedert geäussert wurde, dass Mindestlöhne „Arbeitsplätze vernichten“.Und was die Durchsetzung eines angemessenen Mindestlohnes im derzeitigen“Koalitionspoker“ – und das erscheint ja selbst gemäß dem Agenda-Freund Bert Rürup zur „Rettung“ derselben dringend geboten – anbelangt, so hat wohl die Linken-Parteichefin Katja Kipping einfach recht, wenn sie jetzt noch einmal ein Angebot unterbreitet: „Es ist absurd, die SPD bettelt beider Union um Zugeständnisse beim Mindestlohn und Reichensteuern, will aber gleichzeitig nicht mit Grünen und Linken sondieren, wo all dies kein Streitthema wäre.“ (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2013%2F10%2F16%2Fa0047&cHash=7478987a91b265658b45a3ae720238aaDie externer Link) SPD wird also nach dieser Aufforderung des ehemaligen Sachverständigen Bert Rürup ihr Gesicht vollends verlieren, wenn sie nicht – auch bei der Großen Koalition – mit einem anständigen Mindestlohn rauskommen wird. – Nur wird das alleine reichen?

Nur reicht das Zugeständnis beim Mindestlon allein?

Während im Koalitionspoker der Union mit den Grünen der bundesweite und flächendeckende gesetzliche Mindestlohn – neben der Frage der Steuererhöhungen – noch ein Hindernis darstellte
(www.sueddeutsche.de/politik/schwarz-gruene-sondierung-die-gruenen-entscheiden-sich-gegen-koalitionsgespraeche-1.1795837 externer Link), könnte dies mit der SPD etwas anders werden. Denn „plötzlich“ sieht derCSU-Vorsitzende Seehofer beim Mindestlohn gar kein notwendiges Hindernis mehr, sondern er würde 8.50 Euro als Mindestlohn akzeptieren (http://www.sueddeutsche.de/politik/vor-sondierungsgespraech-seehofer-akzeptiert-euro-mindestlohn-1.1796670 externer Link) – jedoch wünschenswert (= ist das dann verhandlungsfähig?) wäre eine regionale oder branchenmäßige Differenzierung, was eigentlich schon wieder gegen einen flächendeckenden Mindestlohn spricht, wie Roger Strassburg festhalten muss (www.nachdenkseiten.de/?p=18956#h03 externer Link) – wenn, – und da folgt für dieses Zugeständnis noch ein weiterer Haken – ja wenn die SPD „dafür“ vollkommen auf Steuererhöhungen und neue Schulden verzichtet. Das wird jetzt für die SPD ein sehr zweischneidiges Schwert.Denn reicht jetzt allein der nicht einmal flächendeckende Mindestlohn, damit Deutschland seine Rolle in Europa gerecht wird, indem es aus der Krise“herauskonsumiert“ – wie Heiner Flassbeck vorschlägt? (vgl. die Seite 7ganz unten bei https://www.labournet.de/?p=44179). Ob gerade zur“Überwindung“ der Eurokrise deshalb ein – wenn auch sogar ein flächendeckender – Mindestlohn ausreichen würde, muss sehr bezweifelt werden?

…. oder doch „Herausinvestieren“. Mit dem Mitgliederentscheid am Scheideweg!

Weiterhin viel realistischer erscheint in diesem Zusammenhang ein „Herausinvestieren“ – oft auch als „Marhall-Plan für Europa“ bezeichnet. Ein dramatischer Investititionsrückstand, der von Ökonomen registriert wurde,muss nämlich aufgelöst werden. (vgl. den Abschnitt „…. Dramatischer Investitionsrückstand braucht massive Investitions-Initiative“ wieder auf der Seite 8 f. bei https://www.labournet.de/?p=44179) Und das würde ein „Verbot“ von Steuererhöhungen und neuen Schulden absolut behindern. Ja, im Gegenteil müsste die SPD in dieser Auseinandersetzungjetzt endlich doch einmal offensiv klar machen, dass gerade diese permanente Konsolidierungspolitik die Schulden nur immer weiter hat ansteigen lassen -statt sie „aufzulösen“.Und auch dafür sieht es nach allem Anschein gar nicht so schlecht aus, denn wie Attac herausbekam gibt es eine große Mehrheit für Steuererhöhungen statt für Sozialkürzungen. (http://www.attac.de/aktuell/presse/detailansicht/datum/2013/10/14/grosse-mehrheit-fuer-steuererhoehungen-anstatt-kuerzung-oeffentlicher-leistungen/?cHash=cf8d48ea00c3f9c31edfa9f80804a4dc externer Link oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=18938#h04 externer Link)

Hier sieht auch die frühere stellv. DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer für die Politik einen Nachholbedarf – gerade durch Steuererhöhungen für die Reichen -, um endlich die dramatischen Dimensionen der europaweiten Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. (http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2013%2F10%2F15%2Fa0091&cHash=2fb0747059b7a129d1b90781f869a4f5 externer Link)

Wird es also jetzt für die Große Koalition um einen Durchbruch für Europa gehen – oder gibt sich die SPD mit der Abspeisung allein des Mindestlohnes zufrieden? Wie Herakles steht sie am Scheideweg: entweder der kurze bequemere Weg in die Ministersessel einer großen Koalition – oder der beschwerlichere,aber langfristig beglückendere Weg zu einem gemeinsamen Europa, von dem gerade Deutschland bisher so gut profitieren konnte. – Und sogar dafürstehen – wie Katja Kipping betonte – politische Mehrheiten in diesem Landezur Verfügung.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=46306
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