Digitalisierung, Klassenkampf, Revolution. Fortschritt oder alles wie gehabt? Ökonomische und soziale Effekte technischer Innovation

Stephan Kaufmann: Digitalisierung, Klassenkampf, Revolution. Fortschritt oder alles wie gehabt? Ökonomische und soziale Effekte technischer InnovationDigitalisierung, Industrie 4.0 – warum sollen sich Linke für solche Themen interessieren? Was ist an Vernetzung, Smart Factories, Home-Office, Crowdwork, Big Data von Bedeutung? Die Antwort hängt wesentlich davon ab, welche sozialen Veränderungen sich hinter diesen technischen Begriffen überhaupt verbergen. Und damit beginnt schon das Problem. Denn unter dem Schlagwort «Digitalisierung» wird alles Mögliche verhandelt: technische Neuerungen, die es bereits gibt, Neuerungen, die kommen werden, Neuerungen, die technisch bloß denkbar sind, Neuerungen, die zwar technisch denkbar, aber ökonomisch – also im kapitalistischen Sinne – fragwürdig sind, sowie Neuerungen, die technisch und ökonomisch denkbar sind, deren soziale Folgen aber im Dunkeln liegen. Industrie 4.0 ist Realität, Versprechen und Drohung zugleich, eine Ankündigung, von der niemand weiß, ob sie eintritt, und wenn ja, in welcher Form. Sie wirkt massiv und diffus zugleich. Der Digitalisierungsdiskurs gleicht dem Globalisierungsdiskurs der 1990er Jahre. (…) Der vorliegende Text geht davon aus, dass Digitalisierung und Industrie 4.0 keine subjektlosen Sachzwänge sind, sondern ein Projekt derer, die sich – Betonung auf «sich» – etwas davon versprechen. Von diesen Interessen hängt ab, was Wirklichkeit wird und was bloße Träumerei bleibt. Für Linke von Bedeutung ist dabei, dass die Lohnabhängigen in den 4.0-Szenarien als abhängige Variable eingeplant sind. Sie müssen sich an den «Wandel» anpassen. Sie leben im Passiv: Ihre Freizeit und ihre Arbeit werden digitalisiert. Daraus leitet sich die zentrale Anforderung an das Publikum ab: Flexibilität, sprich Biegsamkeit…“ Aus der Ankündigung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Publikation von Stephan Kaufmann externer Link in der Reihe Analysen (Nr. 33 vom Januar 2017, 38 Seiten) samt Inhaltsverzeichnis und Download. Siehe dazu auch die Rezension:

  • Die sechs neuen Methoden der Ausbeutung: Der Autor Stephan Kaufmann betrachtet die Digitalisierung als Klassenprojekt
    „Endlich sagt es mal jemand. »Digitalisierung und Industrie 4.0« sind »keine subjektlosen Sachzwänge, sondern ein Projekt derer, die sich – Betonung auf ›sich‹ – etwas davon versprechen«. Bereits für diesen Satz ist die Broschüre von Stephan Kaufmann lesenswert, die im Januar unter dem Namen »Digitalisierung, Klassenkampf, Revolution« erschien. Auf etlichen Kongressen zum selben Thema wurde Zuhörern bislang das Gegenteil vermittelt; die Frage danach, welche Klasse die Digitalisierung vorantreibt, blieb meist ausgespart. Leider gilt das gerade für Veranstaltungen, die von den Gewerkschaften ausgerichtet wurden. Es seien die Unternehmen, die sich die neue Technik zunutze machen. »Für die Lohnabhängigen dominieren die Risiken.« Beide Feststellungen stellt Kaufmann seinem Text voran. In der Folge untersucht er, was sich das Kapital von den neuen Prozessen verspricht: hauptsächlich eine Senkung der Personalkosten. Der zunehmende Einsatz von Computertechnik und die Vernetzung der Produktion vermittels der Rechner gebe den Unternehmen gleich sechs Möglichkeiten an die Hand, bei den Beschäftigten zu kürzen. Erstens könne »Arbeitskraft durch eine Maschine ersetzt« werden, der Lohn des Arbeiters entfalle entsprechend. Zweitens ermöglichten es Crowdworkingplattformen den Konzernen, Aufträge online auszuschreiben – Tausende oder mehr Personen bewerben sich dann um dieselbe Arbeit, nur der günstigste erhält sie. »Kostensparend« könne sich drittens auswirken, dass es sich in diesem Fall nicht um regulär Beschäftigte handelt, die Tätigkeiten absolvieren, sondern formal um Soloselbständige. Regelungen zu Arbeitszeit, Kündigungsschutz oder die Lohnfortzahlung entfallen. »Viertens können die Unternehmen komplexe Aufgaben in einfache Teilaufgaben zerlegen, was die Qualifikationsanforderungen an die Arbeitnehmer und -nehmerinnen senkt und damit ihren Preis.« Vorteilhaft sei – fünftens – auch, dass die Produktion gänzlich an Marktschwankungen angepasst werden könne: »Gearbeitet wird nur noch, wenn Aufträge da sind.« So gelinge es dem Kapital, jene Zeit zu reduzieren, in der die Beschäftigten zwar bezahlt werden, aber ohne Arbeit sind. Demselben Zweck diene auch die vermehrte Überwachung der Angestellten, die diese zu ständiger Betriebsamkeit anhalten soll. Schließlich, sechstens, hielten Smartphones oder E-Mails die Beschäftigten gar dann zur Arbeit an, wenn sie eigentlich freihaben sollten…“ Rezension von Johannes Supe bei der jungen Welt vom 7. Februar 2017 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=111546
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