Man muss doch flexibel sein – nur wie? Flexibilisierungskonzepte auf dem Prüfstand – und Arbeitszeitverkürzung zur allgemeinen Einhegung

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 23.10.2013

Peter Brandt hatte gerade auf Grund aktueller Forschungsberichte in Deutschland versucht ein – oft vorliegendes – verengtes Verständnis von Flexibilität zu überwinden: Erfahrungen mit „Besser statt billiger“ zeigen, dass Auseinandersetzungen über den Entwicklungsweg der Firma nicht nur ungewohnte Konstellationen, sondern auch neue Lösungskonzepte hervorbringen. Aus der Beschäftigtensicht kann so ein Flexibilisierungskonzept erarbeitet werden: „Das ist die Flexibilisierung, die wir wollen.“ (http://www.gegenblende.de/++co++3bdd69b4-3667-11e3-96a2-52540066f352 externer Link)

Oder Flexibilisierung vor allem als Ausdruck der neoliberalen Hegemonie…

In einem breiteren Rahmen geht dem auf einer psychoanalytischen Basis Paul Verhaeghe in einem neuen Buch an: Im Dauer-Wettbewerb: Wer nichts mehr leistet, fliegt raus.
Der Psychoanalytiker Paul Verhaeghe von der Universität Gent zieht in seinem Buch „Und ich? Identität in einer durchökonomisierten Gesellschaft“ eine gnadenlose Bilanz des Neoliberalismus mit seiner sozialdarwinistischen Praxis. Er führt dies recht plastisch an der 20/70/10 Regel durch, die große Konzerne weltweit anwenden: 20 Prozent der Mitarbeiter gelten als hochmotiviert, 70 Prozent halten den Betrieb am Laufen – und 10 Prozent sind jährlich zu feuern, weil sie nicht die erwartete Leistung bringen. Ganz egal, ob das Unternehmen Gewinne oder Verluste einfährt! Verhaeghens Erklärung dazu: „Ziel dieses Sozialdarwinismus wie der neoliberalen Meritokratie ist das Überleben der bestangepassten Individuen (survival of the fittest), wobei den Besten „systematisch“ der Vorrang gebührt und die übrigen einfach aussortiert werden. Und das Ergebnis war, so Verhaeghe: „Es herrschte totale Paranoia – und innerhalb kürzester Zeit fälschten alle Mitarbeiter ihre Zahlen.“…

Und weiter: Angesichts einer nicht vorhandenen Bildungsgleichheit kommt auf diese Art die soziale Mobilität zum Stillstand, die Kluft zwischen Unter- und Oberschicht wächst, und die Freiheit muss einer allgemeinen Paranoia weichen. (http://www.fr-online.de/karriere/im-dauer-wettbewerb-wer-nichts-mehr-leistet–fliegt-raus,1473056,24747182.html externer Link)

… und als Folge deregulierter Arbeitsmärkte.

Als Ergänzung dazu ist es nützlich den Blick noch auf Untersuchungen zu werfen, die den Einfluss der Politik auf solche Prozesse einbeziehen: Deregulierte Arbeitsmärkte führen zu einer geringeren Produktivität und weniger Innovationen. Wie eine neueste empirische Untersuchung zeigt, kommt es mit dem „Hire and fire“ des Neoliberalismus statt stabiler Jobs zu einer Abbremsung der Innovationen. (http://idw-online.de/de/news556776 externer Link)

Arbeitszeitverkürzung zur „Einhegung“ dieser Flexibilisierung

Nachdem es viele Jahre ruhig war an der Arbeitszeitfront, könnten die Metaller nun bei Porsche wieder einen Anstoß hin zu kürzeren Wochenarbeitszeiten geben. (http://www.taz.de/!125961/ externer Link) Ab Dezember sollen zumindest die Porsche Beschäftigten im Stammwerk Stuttgart-Zuffenhausen nur noch 34 Stunden pro Woche arbeiten.

Für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ist das ein ermutigendes Signal. „Das wird die Debatte um weitere Arbeitszeitverkürzungen beleben“,sagt der Tarifexperte Jörg Wiedemuth. Prinzipiell gebe es zwei Möglichkeiten, mit Produktivitätsfortschritten umzugehen: mehr Geld für die Beschäftigten oder kürzere Arbeitszeiten.

Am Anfang diesen Jahres haben Ökonomen für den Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit in Europa auf die Bedeutung von Arbeitszeitverkürzungen – auch für Deutschland – hingewiesen, denn die dort in den letzten 10 Jahren entstandenen Arbeitsplätze seien vor allem Kurz-Jobs, die als Lebensgrundlage nicht ausreichen. (sog. prekäre Beschäftigungsverhältnisse) (http://www2.alternative-wirtschaftspolitik.de/uploads/m0413b.pdf externer Link pdf)

Aber genau dieser „größte Niedriglohnsektor Europas“ (Kanzler Schröder) mit seiner asozialen Spaltung des Arbeitsmarktes (vgl. z.B. https://www.labournet.de/?p=43343 oder auch www.nachdenkseiten.de/?p=18486#h07 externer Link) übt aber wieder einen enormen Druck auf alle Beschäftigten aus.

Mit dem Hinweis auf die Arbeitszeitverkürzung in Frankreich hat nämlich Steffen Lehndorff gerade deutlich machen können (bis zu 500 000 neue Stellen konnten dort geschaffen werden), welchen Stellenwert die Arbeitszeitverkürzung in Frankreich hatte, weil viele – vor allem Frauen wieder in eine Vollzeitstelle wechseln konnten. (vgl. die vor allem die Seite 1 bei https://www.labournet.de/politik/alltag/az/azverk/arbeitszeitverkurzung-in-deutschland-und-frankreich-und-die-schwachen-des-betrieblichen-systems-in-frankreich/ oder weitergehend noch die Studie von Steffen Lehndorff u.a. zur Arbeitszeitentwicklung in Europa http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/101108_Arbeitszeitentwicklung_in_Europa.pdf externer Link pdf oder auch noch mit den vollständigen Studien http://www.axel-troost.de/article/4974.arbeitszeitentwicklung-in-europa.html?sstr=Lehndorff externer Link)

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=46646
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