Neue Klassenpolitiken. Die Debatte und die realen Kämpfe gehören zusammen.

Klassenkampf kennt keine GrenzenDie Debatte um Neue Klassenpolitik ist noch jung und trotzdem ist die Neue Klassenpolitik schon ein stehender Begriff – ein Sammelbecken voller Hoffnungen, Romantizismen, Projektionen und Missverständnisse. Für die einen ist es ein Begriff voller Verheißungen: Klassenkämpfe, Stärke, Bündnisse, Geschichte und Zukunft, Streiks – und das Ende des Kapitalismus. Andere hören: weiße, männliche Arbeiter, Geschichtsklitterung, Hauptwiderspruch. Doch was ist der Kern dieser Debatte? Neu ist die Neue Klassenpolitik nur bedingt. Neu ist an ihr nur, dass alte Klassenpolitiken neu adaptiert, dass alte Praxen, verschüttetes Wissen geborgen werden mussten – und noch immer geborgen werden. Nicht dass dieses Wissen wirklich weg gewesen wäre, Linke haben es nur selten angewendet. Das Politische an der Klassenpolitik musste erst wiederentdeckt werden und wird jetzt mühsam in politische Praxen und in Alltagshandlungen integriert. Das fängt schon bei der Bündnisfähigkeit an: Mit wem kooperiert man? Wie wird mit Rassismen oder Sexismen der zu Organisierenden umgegangen? Wie werden Alltagshilfen mit langfristigen Strategien verknüpft? Wie kommt man raus aus der Kampagnenpolitik, und wie bindet man unorganisierte Nachbar_innen oder Kolleg_innen langfristig in politische Projekte ein?…“ Artikel von Nina Scholz in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis vom 16.10.2018 externer Link zum Abschluss der ak-Serie, weiter aus dem Text:

  • „… In den Jahren vor der Renaissance des Klassenpolitik-Begriffs gab es mehrheitlich andere Strategien, andere Praxen, auch bei denen, die sich Kommunist_innen nennen. Einzelne Events standen im Fokus, Hoffnungen waren oft an Spontanität von Massen, Riots, Mobs geknüpft. Die erhofften Erfolge blieben aus. (…) Parallel dazu reifte die Erkenntnis, dass der alte Werkzeugkasten aus Blockieren, Kampagne, Outing, Skandalisieren nicht gegen die neuen Rechten hilft, dass man mit Parolen auf Stickern, Postings auf Facebook und Transparenten auf Demonstrationen nicht die umstimmt, die unzufrieden und verzweifelt sind, denen eine Linke aber schon lange keine Lösungen mehr für ihre existenziellen Ängste anzubieten hat. Sozialpolitik und kulturelle Verankerung außerhalb des eigenen Milieus – das hat es lange nicht mehr massenhaft gegeben. (…) Es dürfte mittlerweile klar geworden sein, dass Neue Klassenpolitik nicht den Korporatismus der BRD meint, sondern die Arbeitskämpfe und solidarischen, kämpferischen Bündnisse, die es von Anbeginn der Industrialisierung über die Black Panther bis zu den aktuellen Fabrikbesetzungen Argentiniens gegeben hat. Die Beispiele für Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft sind zahlreich (…) Daran anschließend denkt ein beachtlicher Teil der schwer beweglichen Linken aktuell die eigene Praxis neu: Wo früher Szenekneipen waren, werden Kiezläden geöffnet. Wo früher misstrauisch geschaut wurde, wenn Fremde reinkamen, versuchen Genoss_innen, offen auf die Neuen zuzugehen. Wo früher erklärt wurde, wird jetzt das Zuhören geübt. Wo sich früher Gruppen nicht einmal gegrüßt haben, lernen sie jetzt mitunter auch mal voneinander. So gibt es mittlerweile beachtliche Bündnisse. (…) In Stadtteil- und Mietkämpfen funktioniert das Miteinanderkämpfen besonders gut, weil es dort tatsächlich noch ein stärkeres Beisammensein gibt – anders als an den Arbeitsplätzen. (…) Während sich Autor_innen die immergleichen Argumente um die Ohren hauen, passiert andernorts das, was man sich von so einer Debatte oftmals nur erträumen kann: Erkenntnisse werden in Praxis umgewandelt. Die Debatte hinkt derweil hinterher und setzt sich kaum mit den Erkenntnissen dieser Praxen auseinander. (…) Die Debatte um Neue Klassenpolitik wird mit dem Ende der ak-Serie nicht enden. Damit sie dann aber Erkenntnisse für die Praxis liefert, muss sie die Perspektive ändern, indem sie das, was aktuell gelernt wird, zum Ausgangspunkt macht. Die Debatte kann nur vital bleiben, wenn von den Debattierenden danach gefragt wird, was funktioniert und was nicht. Welche Strategien sind wo nützlich? Welche nicht? Warum also nicht mal bei den Kämpfenden vorbeigehen, statt den nächsten Meinungstext zu schreiben, und einfach mal nachfragen, wie es bei ihnen läuft? Was halten Amazon-Arbeiter_innen von Linksradikalen, die auftauchen?...“
  • Und besonders wichtig: „… Linke führen ihre Politgruppen heute aber fast wie kapitalistische Unternehmen: Jede noch so kleine Aktion verkaufen sie als Erfolg, über Misserfolge schweigen sie lieber, um nicht als schwach zu gelten. Doch nur wenn diejenigen, die gerade daran arbeiten, die Neue Klassenpolitik umzusetzen, ehrlich miteinander sind, können Strategien weiterentwickelt und endlich die wichtigste Frage gestellt und vielleicht auch beantwortet werden: Wie kommen wir aus der Vereinzelung der zahlreichen klassenpolitischen Kämpfe zu einer robusten, kämpferischen Organisation, die der Faschisierung und dem sich immer räuberischer entwickelnden Kapitalismus tatsächlich schlagkräftig entgegentritt?
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=139559
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