Klassensolidarität heißt Reproduktionsarbeit machen – Warum wir eine revolutionäre Identitätspolitik brauchen

Klassenkampf kennt keine Grenzen… Anstatt (…) in der vulgären oder elaborierten Form eines Klassenreduktionismus Zugeständnisse an die rechte Krisenbearbeitung oder die reformistische Volksfrontstrategie zu machen, müssen vermeintlich identitätspolitische Kämpfe erstens endlich als Klassenkämpfe politisiert werden. Und zwar gerade nicht als (kosmopolitische) Migrations- oder Gastfreundlichkeit, sondern als genuine Klassensolidarität. In der schwachen Formulierung müssen »Weiße« und »Männer« gegen Vergewaltigungen und Abschiebungen kämpfen, weil das Klassensolidarität ist. Zweitens ist die politische Arbeit für Menschen, die mehrfachdiskriminiert sind und intensiver ausgebeutet werden, wesentlich anstrengender und erfordert viel mehr Ressourcen. Der teilweise existenzielle Kampf darum, nicht durch patriarchale Gewalt ermordet oder durch rassistische Gewalt abgeschoben zu werden, muss besondere Solidarität erfahren. In der starken Formulierung sollten »Weiße« und »Männer« also besonders gegen Rassismus und Sexismus kämpfen, weil sie damit vorhandene Privilegien ausgleichen. Sie sollten sich dafür engagieren, die politische Kampfkraft von Frauen und PoC zu stärken, etwa indem sie sie von Reproduktionsaufgaben entlasten, jedenfalls ihre Kämpfe nicht als »identitätspolitische« Anliegen abwehren. Meine These lautet, dass Identitätspolitik dann überflüssig wird, wenn es ausreichend reproduktionsorientierte Klassensolidarität gibt. Außerdem möchte ich vorschlagen, Identitätspolitik wieder mehr dekonstruktiv zu verstehen in dem Sinn, dass revolutionäre Identitätspolitik eigentlich Identitätskritik bedeutet. Das heißt, dass es um die Aufhebung von »Weiß-Sein« und »Mann-Sein« als auch ökonomische Strukturkategorien geht. Männer und Weiße müssen aufhören, sich so zu identifizieren, und dabei auch Kämpfe gegen ökonomische Ungleichheiten innerhalb der subalternen Klassen anerkennen. Dabei geht es natürlich nicht um einen individuellen Schuldkomplex, sondern darum, strukturell bedingte Ungleichheiten in der notwendigen Reproduktionsarbeit (die immer noch als vorpolitisch abgewertet ist) kollektiv zu politisieren und auszugleichen. Es geht also darum, die Frage und den Konflikt aufzuwerfen, wer wie viele Ressourcen aufbringen muss, um überhaupt als politischer Akteur auftreten zu können. Es geht um reproduktionsorientierte Klassensolidarität und darum, dass Männer und Weiße eine Freude daran entwickeln, race und gender traitors zu werden.“ Beitrag von David Doell aus ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 641 vom 18. September 2018 externer Link

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