Identitätsbasteleien. Über die Klassengestik der linksradikalen Klimaschutzbewegung

"There are no Jobs on a dead Planet!"„… Dem trägt etwa das Klimacamp Rheinland Rechnung. Um auch das Protestklima zu schützen, publizierte die Organisation im vergangenen Jahr eine Richtlinie für »Awareness/Achtsamkeit« (…) Eine Sprache, die Inklusion größtmöglicher Diversität fördern soll, wirkt nach innen homogenisierend und nach außen exklusiv. Sinnbildlich dafür steht jener Fußnotenapparat, der schon als Textformat nicht-akademische Menschen erschreckt. Und gibt es nicht wie auch immer orientierte Leute, die mit der dort gegebenen tautologischen Definition – cis-Gender sind Menschen, die sich »nicht als trans*, inter* und/oder nicht-binär verorten« – nichts anfangen können? Wo der Text strukturelle Unterdrückung aufdecken will, strotzt er selbst vor symbolischer Gewalt. Er stellt sicher, dass die Gymnasial- oder Hochschulquote bei um die 95 Prozent liegen dürfte. Ausgeschlossen ist gerade die Gruppe, an deren »Identität« hier besonders nachhaltig »gebastelt« wird, ohne dass sie mitwirken dürfte: große Teile derjenigen (gleich welchen Hintergrunds), die oder deren Eltern in den Berg- und Kraftwerken arbeiten, die man so schnell wie möglich dichtmachen will. (…) Mit einem »Arbeitsplatzargument« lässt sich fast beliebig Kritik plattmachen. Es gibt Gruppen, denen es schlechter geht als bisher den Bergleuten – und jener Jargon ist keine Spezialität der Klimabewegung. Doch zeigen sich im Zusammentreffen von Intersektionalismus und Klimaschutz geradezu laborhaft Probleme, die zuletzt wieder die Linke umtreiben: die Bezüge zwischen akademischem Radikalismus und Arbeiterschaft. Das Unbehagen der universitären Radikalen an der arbeiterlichen Kultur hat Geschichte. (…) Überdeutlich wurde das am Rande der Aktionen von »Ende Gelände« gegen den Braunkohletagebau in der Lausitz im Sommer 2016, als sich in Schwarze Pumpe etwa 1000 Menschen den Klimaschützern entgegenstellten und Bergmannslieder anstimmten. (…) Auch wenn die bundesweit 60.000 Personen, die indirekt und direkt in der Braunkohle arbeiten, nur 0,2 Prozent der Beschäftigten stellen, zeigt sich an ihrem Beispiel exemplarisch, wie die Linke den Bezug zu eben diesen Schichten verliert…“ Artikel von Velten Schäfer vom 20.07.2018 beim ND online externer Link – siehe nun dazu die Debatte:

  • Im Zweifel von oben. Wie sich die radikale Klimaschutzbewegung heute selbst im Wege steht – eine Antwort auf Tadzio Müller und Hannes Lindenberg New
    „… An keiner Stelle des Textes »Identitätsbasteleien« steht etwa, dass sein Autor die »Bewahrung deutscher Industriearbeitsplätze« für ein »mindestens genauso dringendes Problem« halte wie die »Bewahrung des Weltklimas«. Der Text behauptet nicht, dass der Klimawandel nicht so schlimm oder dringend sei. Und er legt schon gar nicht nahe, ausgerechnet die den rechten Flügel der Gewerkschaftsbewegung markierende IG BCE könne oder wolle die Welt retten. (…) Diese Aversion der »Locals«, so das Argument, lässt sich nicht ökonomistisch darauf reduzieren, dass die Forderung der Camper*innen auf den Verlust zehntausender Arbeitsplätze und – wie die Geschichte des »Strukturwandels« zeigt – die langfristige Verarmung eines Landstrichs und einen dauerhaften Abstieg vieler Familien hinausläuft. Nicht minder als auf dieser »Basis« fußt sie auf der Wahrnehmung einer auch umgekehrten Anfeindung. Auch wenn diese den Protagonist*innen nicht bewusst sein mag – symbolische Gewalt operiert ja immer unterhalb des Explizierten – schließt die heutige radikale Klimaschutzbewegung Nicht-Abiturinhaber*innen in ihrem kulturellen Gestus aktiv aus (…) Nun kann man sagen, es sei zunächst egal, welche Akteure zum Richtigen bewegt werden, also zu einem Abbremsen des Klimawandels. Dann nimmt man freilich in Kauf, dass sich die Externalisierung dieser »sozialen Kosten« des gegenwärtigen Kapitalismus in der Tendenz von einem Welt- in einen Binnenmaßstab verschiebt: Man »internalisiert« sie nicht ihrer Verursachung angemessen, sondern lädt sie bequem bei Personen ab, die dann zu den unteren Schichten zu zählen sind. Müllers und Lindenbergs Faustregel »im Zweifel für die Lebensgrundlagen, im Zweifel für die Klimagerechtigkeit« heißt dann nichts anderes als »im Zweifel von oben«. (…) wenn es also um größere Zusammenhänge von der Rohstoffwirtschaft über internationale Arbeitsteilung bis zu den herrschenden Handelsregimes geht, wird sich schnell erweisen, dass all das mit jenem grünkapitalistischen Mittelschichtsblock – der nach aller Erfahrung seine Pfründe zu wahren versteht – nicht zu machen ist…“ Artikel von Velten Schäfer vom 23.08.2018 beim ND online externer Link
  • Linksradikale und Klimawandel: »Drängendste Gerechtigkeitsfrage« 
    Zugegeben: Es ist frustrierend, mitten in der schlimmsten Hitzewelle in Nord- und Mitteleuropa seit mindestens 2003 in einer linken Zeitung einen Text zu lesen, der der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegung, die das sofortige Abschalten dreckiger Kohle-, Öl- und Gas-Installationen im globalen Norden fordert, eine fast schon willkürliche Ignoranz gegenüber Kumpels vorwirft. (…)Die Ungerechtigkeit liegt darin, dass ein Großteil der besonders betroffenen Menschen im globalen Süden zum Problem fast gar nichts beigetragen hat. Die Industriestaaten hingegen haben mit ihrem auf fossilen Brennstoffen basierenden Energiekonsum den Löwenanteil der heutigen Klimakrise verursacht und werden nach Prognosen am wenigsten darunter leiden. Dies bedeutet im Klartext, dass wir beim Klimawandel mitnichten alle im selben Boot sitzen, sondern das Boot der Ärmsten zuerst sinken wird und das der Reichsten zuletzt – und genau deshalb stellt er eine dramatische globale Ungerechtigkeit dar. (…) In dem immer wieder benannten, aber nie wirklich ausdiskutierten Gerechtigkeitsdilemma von »Industriearbeitsplätze in Deutschland sichern vs. Vernichtung der Lebensgrundlagen andernorts mindern« sagen wir: Im Zweifel für den Erhalt der Lebensgrundlagen, im Zweifel für die Klimagerechtigkeit! Wir sagen nicht, dass uns die Angestellten der deutschen Kohleindustrie egal sind. Angesichts der Dringlichkeit der Krise möchten wir jedoch weder uns noch irgendwem anders vorgaukeln, das genannte Gerechtigkeitsdilemma sei für alle zufriedenstellend aufzulösen (…) was ist die Rolle und Position von Industriearbeiter*innen im globalen Norden in einem möglichen gesellschaftlichen Bündnis für eine sozial-ökologische Transformation? Velten Schäfer beschreibt die Kohlearbeiter*innen als »ein Milieu …, das einmal Avantgarde der Arbeiterkultur war«. Mit unserer Frage möchten wir den Fokus darauf verschieben, was die Kohleindustrie heute ist, welche Rolle ihre Angestellten heute einnehmen. Denn: eine Kritik des fossilen Kapitals muss auch eine Kritik der Arbeit im fossilen Kapital sein. Ohne Kohlearbeiter (und vielleicht ein paar Kohlearbeiterinnen) hätte das fossile Kapital nicht das Klima zerstören können. Wenn Velten Schäfer von der ruhmreichen Geschichte der Kohlearbeiter und ihrer Kämpfe redet, lässt er aus den Augen, dass im Hier und Jetzt die entscheidende Frage ist: Welche gesellschaftlichen Gruppen können sich heute um progressive Siege verdient machen? Angesichts der Tatsache, dass Industrieproduktion und mithin -arbeit einen großen ökologischen Fußabdruck aufweist; und angesichts der Tatsache, dass die negativen Effekte dieser Arbeit vor allem von Menschen im globalen Süden gefühlt werden, dass Industriearbeit im globalen Norden also das Paradebeispiel der Externalisierungsgesellschaft (Stephan Lessenich) darstellt – was ist dann, schön materialistisch durchdekliniert, die politische Rolle der IG BCE oder anderer Industriegewerkschaften? Stehen sie auf Seiten des fossilistischen Kapitals – oder auf der Seite einer zukunftsorientierten, linken (mithin internationalistischen) Politik? Zweitens, wie sieht‘s mit der Zeitlichkeit linker Praxis aus? Früher waren wir sicher, dass wir die letzte Schlacht gewinnen würden, dass am Ende irgendwie die Emanzipation, die Revolution, gar der Sozialismus/Kommunismus warten würde. Das alles sieht aber anders aus, wenn man die Öko- und besonders die Klimafrage dazuschaltet...“ Eine Replik von Hannes Lindenberg und Tadzio Müller vom 15.08.2018 beim ND online externer Link auf den Beitrag »Identitätsbasteleien – Über die Klassengestik der linksradikalen Klimaschutzbewegung«
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