Alle Debatten um „die Wohnungsfrage“ bremsen die Teuerung nicht: Besetzungen und Widerstand schon eher…

Bundesweite Kampagne "Mietenwahnsinn stoppen"„… Die Geschäftsmodelle dieser Konzerne basieren auf der alltäglichen Enteignung der Mieter*innen. Der nicht ganz neue Gedanke, die Enteigner zu enteignen und Wohnungen unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen, ist deshalb naheliegend. Viele betroffene Mieter*innen nicht nur in Berlin, auch bei uns im Ruhrgebiet oder zum Beispiel in Stuttgart stimmen dem Slogan der Enteignung spontan zu. Es ist erstaunlich, was die Berliner Kampagne alles ausgelöst hat. Aber die Gegenseite reagiert natürlich mit ihrer eigenen Propagandamaschine und hat bereits erreicht, dass die Zustimmung im Bundesgebiet begrenzt ist. Trotzdem ist gesellschaftlich die richtige Frage gestellt, die neue Handlungsspielräume eröffnen kann. Aber dazu braucht es nicht nur Slogans, sondern auch eine realistische Strategie. Die Berliner*innen sind in der glücklichen Lage, dass sie eine Landesregierung haben, die sie mit der Kampagne zu radikaleren Konsequenzen treiben können. In den Flächenländern sind wir weit davon entfernt. Hier haben wir oft nicht einmal mehr landeseigene Wohnungsunternehmen, die sich in eine Anstalt öffentlichen Rechts umwandeln ließen. Die Berliner*innen allein werden eine öffentlich bezahlbare Enteignung grenzübergreifend agierender Wohnungskonzerne wahrscheinlich aber nicht isoliert durchsetzen können. Wir brauchen eine bundesweite Bewegung, um die Kontrolle über die Wohnungswirtschaft zurückzugewinnen. Bei aller Begeisterung für den Gedanken einer grundlegenden Alternative sollten wir dabei nicht die notwendigen Etappenziele und die vielen möglichen Verbesserungen des bestehenden Rechts vergessen. Es gibt weder auf Bundesnoch Länderebene ein Gesetz, das Verwertungsstrategien Grenzen setzt. Es wäre zum Beispiel nötig und möglich, die Transparenz der Eigentümerstrukturen und die Kontrolle der Mieterschaft bei der Berechnung von Mieterhöhungen und Nebenkosten viel besser zu regeln. Eine effiziente Besteuerung von Anteilsverkäufen würde das Geschäftsmodell auf einen Schlag unattraktiver machen…“ – aus dem Gespräch „»Das Geschäftsmodell der Immobilienkonzerne basiert auf der Enteignung der Mieter*innen«“ in der Ausgabe Juli 2019 der Zeitschrift Luxemburg externer Link, das Hannah Schurian mit Knut Unger vom Mieterverein Witten führte und in dem auch die Änderungen von Geschäftsstrategien unter anderem ein weiteres Thema sind. Siehe zu aktuellen Entwicklungen der Mietpreistreiberei und des Widerstandes dagegen drei weitere Beiträge:

  • „AirBnB lässt die Mieten steigen“ von Nicolas Šustr am 20. Juli 2019 in neues deutschland online externer Link zu einem weiteren Aspekt, wie Mieten steigen: „… Mindl hat noch klarere Belege dafür, dass die Zweckentfremdung von Wohnraum als Ferienunterkünfte ein Geschäftsmodell geworden ist. Über 200 der von ihm als professionell eingestuften Vermieter boten zwei Wohnungen an, weitere 66 sogar drei. Und 75 Gastgeber hatten vier oder mehr Wohnungen im Angebot – zusammengezählt 522 Stück. Es lohnt sich, an Touristen zu vermieten. Der durchschnittliche Jahresumsatz für eine ganze bei AirBnB angebotene Wohnung liegt bei fast 17 000 Euro – Das ist mehr als das doppelte der durchschnittlichen Langzeit-Jahresmiete. Im Einzelfall kann das noch sehr viel einträglicher sein. In einem Prozess, den eine Italienerin gegen das Berliner Bezirksamt Pankow führte, kam heraus, dass sie durch die Vermietung als Ferienwohnung nach Abzug der Kosten einen Reingewinn von 26 700 Euro in einem Jahr erzielt hatte. Eine Weile wurde es ausländischen Immobilienanlegern von entsprechenden Agenturen regelrecht schmackhaft gemacht, die Kreditraten für die teuren Eigentumswohnungen über die Vermietung an Touristen abzustottern. Ganze Häuser gehören so italienischen oder israelischen Kleinanlegern…“
  • „Widerstand gegen Spekulanten“ von Jan Greve und Marc Bebenroth am 17. Juli 2019 in der jungen welt externer Link zur Entwicklung der Widerstandsbewegung: „… Die Debatte in der Bundeshauptstadt hat – das zeigt die lapidare »Antwort« des Exkonzernlenkers – eines geschafft: Es wird laut über Alternativen nachgedacht, wie Menschen in dieser Klassengesellschaft die Dinge selbst in die Hand nehmen können. Unabhängig davon, inwiefern die Vorschläge der Berliner Aktivisten die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse hinterfragen, ist die Initiative das Ergebnis wachsenden Widerstandes gegen ungebremste Spekulation. Denn wer eine Wohnung in den Ballungszen­tren sucht – was meistens nicht aus Langeweile, sondern aus materieller Not oder Zwangslagen heraus der Fall ist –, hat nichts zu lachen. Unabhängige Studien belegen immer wieder, dass Bestandsmieten dank Modernisierungsumlage und anderer Maßnahmen stetig steigen. Auf der anderen Seite können sich Gering- wie Normalverdiener die Angebotsmieten in Neubauten immer weniger leisten. Hier entlarvt sich das Mantra der Immobilienlobby, welches von den Unionsparteien bereitwillig weiterverbreitet wird: »Bauen, bauen, bauen.« Wo Wohnraum Ware ist, lässt Widerstand nicht ewig auf sich warten. Wo leerstehende Wohnungen besetzt und Zwangsräumungen verhindert werden, Druck von unten auf vorgeblich »linke« Regierungen gemacht und Miet­erhöhungen nicht zugestimmt wird, da wird eine alternative Form des Zusammenlebens vorstellbar. Werden die Profiteure des Mietenwahnsinns benannt und Freiräume erkämpft, können antikapitalistische Initiativen ihre Wirkung entfalten…“
  • „Köln, Münster, Tübingen – Besetzt“ von Sebastian Weiermann am 20. Juli 2019 in neues deutschland online externer Link zu neuerlichen Besetzungsaktionen: „… Köln ist nicht die einzige Stadt in der am Freitag Besetzungen stattfanden. In Tübingen wurde schon zum zweiten Mal das Haus in der Gartenstraße 7 besetzt. Die Aktivisten wollen hier auf die »prekären Wohnverhältnisse« in der Stadt aufmerksam machen und »dem Leerstand ganz konkret entgegengetreten«. Am Abend konnten sie den ersten Erfolg vorweisen, Verhandlungen mit Stadt und Eigentümer führten zu einer vorläufigen Duldung des Projekts. Auch in Münster wurde ein Haus besetzt. Die Zentrale in der Hafenstraße meldete am Freitagnachmittag ihre Besetzung. Auch hier geht es um Wohnraum und einen Platz für ein unkommerzielles Kulturangebot. Nach ein wenig Ärger mit der Polizei am frühen Abend, entspannte sich auch hier die Situation…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=151917
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