»
Spanien »
»

So entwickelte sich der Streik auf den andalusischen Gemüseplantagen – bis zu seinem (überwiegend) erfolgreichen Ende!

Landesweite Solidarität mit SATEs ist früh am Morgen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Vor dem Tor eines Gewächshausbetriebs in der Nähe von Almeria (Andalusien/Spanien) blitzen die Lichter von Warnblinkern. 30 Arbeiter*innen haben sich hier versammelt um ihre Rechte einzufordern, seit 12 Tagen befinden sie sich im Streik. Unter ihnen ist auch Zara, sie lebt seit 10 Jahren in San Isidro einer kleinen Stadt bei Almeria. Aufgewachsen ist sie in Marokko. Zuerst ist ihr Vater Khaled nach Spanien gekommen. Auch er steht heute vor dem Tor. „Mein Vater ist damals ohne Papiere nach Spanien gekommen und er hat angefangen in den Gewächshäusern zu arbeiten, nach 3 Jahren hat er die nötigen Papiere bekommen um hier zu bleiben“ erzählt Zara. „Ich bin 2010 nachgekommen und habe hier in Spanien meinen Mann Modar geheiratet.“ Die Firma für die Zara, ihr Mann und ihr Vater arbeiten heißt „Godoy Hortalizas“. Sie liefert an über 25 Länder in Europa und ist auf Paprika spezialisiert. Auch wir können die Tomaten die Zara hier pflanzt, gießt und erntet in ordentlichen Dreierpacks im Supermarkt finden…“ – so beginnt der Bericht „Aufstand im Gewächshaus – Eine marokkanische Familie im Streik“ von Dorothea Hellenthal von Interbrigadas e.V (ursprünglich in kürzerer Fassung am 27. September 2019 in neues deutschland) – wir danken für die vollständige Fassung – und ergänzen um die Meldung des erfolgreichen Streikendes! Siehe dazu den Bericht und eben die Meldung über die erfolgreiche Beendigung des Streiks und den Hinweis auf unseren ersten Beitrag dazu:

Aufstand im Gewächshaus – Eine marokkanische Familie im Streik

Von Dorothea Hellenthal (Interbrigadas e.V.)

Es ist früh am Morgen, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Vor dem Tor eines Gewächshausbetriebs in der Nähe von Almeria (Andalusien/Spanien) blitzen die Lichter von Warnblinkern. 30 Arbeiter*innen haben sich hier versammelt um ihre Rechte einzufordern, seit 12 Tagen befinden sie sich im Streik. Unter ihnen ist auch Zara, sie lebt seit 10 Jahren in San Isidro einer kleinen Stadt bei Almeria. Aufgewachsen ist sie in Marokko. Zuerst ist ihr Vater Khaled nach Spanien gekommen. Auch er steht heute vor dem Tor. „Mein Vater ist damals ohne Papiere nach Spanien gekommen und er hat angefangen in den Gewächshäusern zu arbeiten, nach 3 Jahren hat er die nötigen Papiere bekommen um hier zu bleiben“ erzählt Zara. „Ich bin 2010 nachgekommen und habe hier in Spanien meinen Mann Modar geheiratet.“

Die Firma für die Zara, ihr Mann und ihr Vater arbeiten heißt „Godoy Hortalizas“. Sie liefert an über 25 Länder in Europa und ist auf Paprika spezialisiert. Auch wir können die Tomaten die Zara hier pflanzt, gießt und erntet in ordentlichen Dreierpacks im Supermarkt finden. Khaled arbeitet schon  seit 2007 in den Gewächshäusern dieser Firma. Mittlerweile ist er fest angestellt und hat sich geregelte Arbeitszeiten erkämpft. „Früher habe ich oft 12 Stunden gearbeitet, und das ohne Pause und für 4 € die Stunde, sie haben mir keinen Aufschlag für die Überstunden bezahlt. Manchmal musste ich Gift auf die Pflanzen sprühen, dabei hatte ich keine Schutzkleidung an. Andere sind davon in Ohnmacht gefallen und mussten ins Krankenhaus. Heute weiß ich nicht mehr wie ich das so lange ausgehalten habe, wie das überhaupt jemand so lange aushält.“

„Aber jetzt können wir uns das nicht mehr gefallen lassen, wir müssen für unser Recht kämpfen“ mischt Modar sich ein. Er und seine Frau sind beide Teil der Streikkommission der Gewerkschaft Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT). Schon Ende 2018 haben sie sich zusammen mit weiteren Kollegen an die Gewerkschaft gewandt um die Missstände in der Firma zu bekämpfen. Damals haben sie es geschafft eine Lohnerhöhung zu erstreiken, seit Januar zahlt der Arbeitgeber den alten Mindestlohn von 5.70€. Auch wurden viele der befristeten Kolleg*innen festangestellt. „Wir haben damals mit unserem Streik erreicht, dass die Firma den Mindestlohn zahlt, aber vor Allem haben wir uns Respekt erkämpft“ sagt Zara und zeigt lachend ihre geballte Faust. Doch hat das den Arbeitgeber nicht davon abgehalten weiter Gesetze zu missachten. Er ist nicht bereit den neuen Mindestlohn auszuzahlen und versucht sich um die Zuzahlung für das Betriebsalter zu drücken. „Der letzte Streik im Januar hat nur 2 Tage gedauert, doch jetzt sind wir schon 10 Tage im Streik“ erzählt Zara. „Fünf von unseren Kolleg*innen haben sie illegal gefeuert“.

Seit 10 Tagen verbringen die Arbeiter*innen den Tag vor dem Tor. Sie streiken, damit ihre Kolleg*innen wieder eingestellt werden, und der Mindestlohn der ihnen zusteht ausgezahlt wird.

Doch bewegt sich die Geschäftsleitung diesmal überhaupt nicht. Stattdessen versuchen sie mit allen Mitteln den Streik zu brechen. Sie haben eine Zeitarbeitsfirma für die Arbeit der Streikenden eingestellt, dieses Vorgehen ist auch in Spanien illegal. Außerdem versuchen sie den Arbeiter*innen Angst zu machen, in dem sie mit Kündigungen drohen, und den legalen Streik für illegal erklären. Manche der Arbeiter*innen wurden von Vorgesetzten zuhause aufgesucht und eingeschüchtert.

„Ein Vorgesetzter hat mich vor ein paar Tagen fast mit seinem Auto überfahren als wir ihn aufhalten wollten die neuen Arbeiter*innen in die Firma zu schleusen. Ich konnte mich nur retten weil ich zur Seite gesprungen bin, dabei habe ich mich am Fuß verletzt“ erzählt Modar und zeigt auf sein verbundenes Bein. Ein Kollege hat eine verbundene Hand, auch er wurde angefahren.
Der Arbeitgeber hat Modar 3000€ angeboten damit er die Firma und damit auch den Streik verlässt. Dabei handelt es sich um eine Strategie des Arbeitgebers. Er hat genau diejenigen gefeuert, die sich am meisten bei der Gewerkschaft engagiert haben. „Er hält Modar für den Chef des Streiks“ sagt Zara lachend.

Aber Modar will seine Kolleg*innen nicht zurück lassen. Sie haben sogar ihren Urlaub im Marokko abgesagt um den Streik zu unterstützen. Die Kinder sind alleine mit ihrer Oma gefahren.

Wie viele ist auch Khaled damals aus Marokko emigriert um in Europa Arbeit zu suchen. Arbeit die sicher ist und bezahlt wird. Die meisten finden Arbeit hier in Almeria. Ein Ort der ganz Europa mit Gemüse versorgt. Hier wird jede erdenkliche Gemüsesorte in Gewächshäusern angebaut und verpackt. Hier gibt es die größte Gewächshausdichte Europas und 90% der Arbeiter*innen sind Migrant*innen aus Osteuropa, Afrika und Lateinamerika. Unter dem Denkmantel des Wirtschaftswunders ist hier ein rechtsfreier Raum entstanden. Hier werden grundlegende Arbeitsrechte nicht eingehalten, Tarifverträge werden ignoriert, es gibt kaum Sozialversicherungen oder Arbeitsplatzsicherheit. Viel zu oft schauen die Zuständigen weg. Die Arbeitsinspektion ist überfordert und unterbesetzt. Die Medien berichten kaum über die Zustände. Durch ein Netzwerk von Subunternehmern und die für Almeria typische kleinteilige Unternehmensstruktur ist es kaum möglich Arbeitgeber unter Druck zu setzten. „Wir haben es trotz allem geschafft“ sagt Zara. „Was bleibt uns anderes übrig, als uns zusammen zu tun und zu streiken“

Heute ist die Arbeitsinspektion gekommen, nachdem sie mehrere Anzeigen bei den Behörden eingereicht haben. Die Beamten wurden an den Toren des Unternehmens aufgehalten um Zeit zu schinden die illegal Arbeitenden zu verstecken und rauszuschleusen. Die Arbeiter*innen organisieren sich und umzingeln das Gelände um alle Ausgänge zu blockieren. Modar gibt dem Gewerkschaftssekretär die Gewächshausnummern durch, in dem sich Arbeitenden befinden. Nach 2 Stunden fährt die Inspektion raus, sie führt den Manager ab. „Jetzt muss der Arbeitgeber sich bewegen!“ hofft Zara, auch alle anderen sind glücklich über die Entwicklung. Sie tanzen, singen und rufen immer wieder „Es lebe der Kampf der Arbeiter*innen“ und „Ob einheimisch oder migrantisch, wir sind alle Teil der selben Arbeiterklasse.“

Zum Frühstück kommen auch Zaras Schwester und ihr jüngster Bruder der erst seit einigen Monaten in Spanien ist und nur wenig Spanisch spricht. Auch Zaras Schwester hat einmal bei Godoy Hortalizas gearbeitet. „Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten“ erzählt sie. „Wozu lebe ich denn, wenn ich gerade so fürs Überleben arbeite, und dann auch noch so schlecht behandelt werde. Jetzt weiß ich, dass ich mehr wert bin. Ich habe schon in Marokko viel Spanisch gelernt und möchte studieren und mich weiterbilden.“
Ein Kollege von einem anderen Betrieb kommt vorbei gefahren, und beglückwünscht die Streikenden. „Es muss mehr mutige Leute wie euch geben, überall müssten die Leute vor den Gewächshaus stehen, damit sich hier endlich etwas ändert“ ruft er aus seinem Auto heraus und bringt später noch Süßigkeiten und Saft vorbei. Aber nicht alle sind solidarisch. Unternehmer haben Angst vor schlechter Presse und stehen oft selber unter großem Druck um mit den Weltmarktpreisen konkurrieren zu können. Gleichzeitig wachsen rassistische Ressentiments und rechte Strömungen bekommen immer mehr Zuwachs, Gewalt gegen Migrant*innen ist beinahe alltäglich geworden.

Umso wichtiger ist die Arbeit der Gewerkschaft und anderer politischer Akteure, die die Migrant*innen bei ihren Kämpfen unterstützen und ein solidarisches Zusammenleben fördern. Denn eins ist hier allen klar „ohne uns würde es das alles nicht geben, ohne uns würde in Almeria keine einzige Tomate geerntet werden können“.

Wir danken für die vollständige Fassung!

___________________

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=155228
nach oben