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Ein Brief der inhaftierten Bauarbeiter des Istanbuler Flughafens: „Alle Verantwortung trägt das Unternehmenskonsortium IGA“ (wovon die DHL ein wesentlicher Investor ist…)

Polizeiüberfall auf Soliaktion mit streikenden Bauarbeitern in Istanbul am 15.9.2018IGA ist das Firmenkonsortium, das sich den Mega-Auftrag für den Istanbuler Großflughafen – wie auch immer – „an Land gezogen“ hat. Die Manager dieser ominösen Vereinigung waren auch die ersten, die die Diffamierungskampagne gegen die Streikenden begannen, indem sie sie als Terroristen bezeichneten (vermutlich mit dem in der Türkei bekannten Hintergrund, dass viele der Bauarbeiter eben aus kurdischen Regionen stammen). Auf diese provokative Haltung der IGA-Unternehmen verwiesen auch die Rechtsanwälte der Inhaftierten auf einer Pressekonferenz, bei der sie unterstrichen, dass selbst der erste Polizeibericht über die Vorfälle keinen Anhaltspunkt für irgendwelche Gesetzesverstöße der Streikenden beinhaltete, wie es zunächst offensichtlich sogar von der Polizei selbst bewertet wurde. Der gerichtliche Haftbefehl muss also aufgrund anderer Aktivitäten erlassen worden sein, welche auch immer das gewesen sein mögen. Die Inhaftierten selbst unterstreichen in einem aus dem Gefängnis gelangten Brief, dass die Verantwortung für alles, was dort geschehen ist, beim IGA-Konsortium liege. Das jetzt zusätzlich mit „Image-Problemen“ zu kämpfen hat, weil seit dem letzten Wochenende, also nach dem Polizeiüberfall auf die Streikenden, bereits weitere „Unfälle“ passierten. Und weitere Beschäftigte, auch solche, die nicht am Streik beteiligt waren, sich über miserables Katinenfressen und verkommene Baracken beklagen – dieweil sie auch noch den Eröffnungstermin verschieben mussten… Siehe zur Entwicklung im Kampf um die Freiheit der Istanbuler Bauarbeiter eine Sammlung aktueller Beiträge, darunter auch mehrere neue Solidaritätserklärungen, den Brief der Inhaftierten, sowie Hintergrundbeiträge und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zum Thema:

„Tutuklu işçilerden mesaj: Asıl suçlu İGA patronlarıdır“ am 22. September 2018 bei Arti Gerçek externer Link dokumentiert und kommentiert den Brief der inhaftierten Bauarbeiter, in dem es unter anderem heißt: „Wir denken nicht, dass wir in irgendeiner Weise schuldig sind. Es ist kein Verbrechen, Rechte geltend zu machen. Der wahre Schuldige sind die IGA-Chefs, die die Arbeiter zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen verurteilen“.

„3. Havalimanı’nın açılışı 31 Aralık’a ertelendi, işçi düşmanlığı ve iş kazaları sürüyor“ am 22. September 2018 bei Sendika.org externer Link ist eine Meldung, in der zum Einen über die Verschiebung der offiziellen Eröffnung des Flughafens auf den 31. Dezember 2018 berichtet wird, zum Anderen darauf verwiesen, dass seit dem Polizeiüberfall auf die Streikenden am inzwischen vorletzten Wochenende bereits mehrere neue, kleinere, sogenannte „Unfälle“ sich ereignet haben…

„İstanbul’s 3rd airport workers’ lawyers speak up“ am 23. September 2018 bei SoLInternational externer Link ist ein Bericht von der Pressekonferenz der Anwälte der Inhaftierten, bei der die Anwälte anhand der vorliegenden Polizeidokumente deutlich machten, dass es keinerlei wirklichen, gesetzlich geforderten, Beweise für irgendeine illegale Aktion der Bauarbeiter gebe. Darin wird unter anderem unterstrichen, dass sich rund 10.000 Bauarbeiter an dem Protest beteiligt hätten – also mehr als ein Viertel der Belegschaft – und dass sich die Aussagen der Bauarbeiter über den Beginn der Auseinandersetzung mit den Polizeiakten in Einklang befinden. Weiterhin lägen auch fotografische Beweise dafür vor, dass die unter anderem als konkreten Grund genannten Beschädigungen von Eigentum – die Rede ist in Wirklichkeit von eingetretenen Türen – von der Polizei während ihres Überfalls auf die Streikenden begangen worden seien. Die Anweisung des Gerichts, Untersuchungshaft auszusprechen und zu vollziehen sei demnach ein reiner Willkürakt.

„BWI and EFBWW Statement Regarding the Labour Crisis at the New Istanbul Airport“ am 19. September 2018 bei der Internationalen Föderation der Baugewerkschaften externer Link BWI ist die gemeinsame Erklärung der internationalen und europäischen Bauarbeiter-Föderation zur Solidarität mit den Inhaftierten von Istanbul, in der unter anderem die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission gefordert wird. Unterstrichen wird darin auch, dass der Kern der Proteste in den Bedingungen liegt, unter denen die übergroße Mehrheit der Beschäftigten arbeiten und leben müssen, wie sie von den 281 Firmen des Konsortiums diktiert werden, die ein Regime von Zeit- und Leiharbeit organisiert haben, das entsprechend wirkt.

„İngiltere’de UNITE sendikası: ‘Havalimanı işçileri bırakılsın!’“ am 23. September 2018 bei Yasanacak Dünya externer Link ist eine Meldung über eine Solidaritätsaktion der britischen Unite-Gewerkschaft – die hier auch als Beispiel für eine ganze Reihe von Solidaritätserklärungen und Solidaritätsaktivitäten zahlreicher Einzelgewerkschaften verschiedener Branchen in mehreren Ländern steht.

„Construction Workers At Turkey’s New Airport Jailed For Protesting Work Conditions“ von Emma Siclair-Webb am 21. September 2018 bei Human Rights Watch externer Link ist eine Erklärung von HRW, in der die sofortige Freilassung der Inhaftierten gefordert wird, sowie eine Untersuchung der Zustände, die zu den Protesten geführt haben.

İnşaat-İş Sendikasıexterner Link ist der Twitter-Kanal einer der organisierenden Gewerkschaften am Flughafen Istanbul – hier sind aktuelle Tweets sowohl weiterhin zu den Arbeitsbedingungen enthalten, als auch zahlreiche Solidaritätsaktionen und Erklräungen dokumentiert werden.

„Istanbul: „Wir sind keine Sklaven!“ von Svenja Huck am 21. September 2018  bei telepolis externer Link ist eine Zusammenfassung der Ereignisse, in der unter anderem über die AKP-Kampagne zur Diffamierung der Streikenden berichtet wird: „In den regierungsnahen Medien wurden die Streikenden regelrecht diffamiert. Sie würden Geld von ausländischen Agenten erhalten und „unser“ Land durcheinanderbringen wollen, hieß es da. Um eine Infiltrierung der Proteste von außen zu beweisen, wurde angeführt, dass einige der Protestierenden ohne Sozialversicherung arbeiteten und demnach wohl gar keine Arbeiter seien. Statt dies als arbeitsrechtliches Problem zu erkennen, wurden entrechtete Arbeiter also als „ausländische Agenten“ präsentiert. In diesem Jahr ist dies bereits der zweite Streik gegen die Zustände auf der Flughafenbaustelle. Im März hatten die Arbeiter gegen die hohe Zahl an Arbeitsunfällen protestiert. Während das Verkehrsministerium damals von 27 tödlichen Unfällen sprach, veröffentlichte die Zeitung Cumhuriyet einen Bericht, dem zufolge über 400 Arbeiter verunglückt seien. Dass dies lange nicht öffentlich wurde, könnte an dem Schweigegeld liegen, dass den Familien der Betroffenen gezahlt wurde, meinte Mustafa Akyol, der damals Vorsitzender der Gewerkschaft İnşaat İş war. Die Türkei steht laut der International Labour Organisation (ILO) seit Jahren auf dem dritten Platz der Länder mit den meisten tödlichen Arbeitsunfällen…

„Irrsinn von Istanbul“ von Frank Nordhausen am 20. September 2018 in der FR Online externer Link zum gigantomanischen Projekt – und seinen „Nebenkosten“: „Auch für die meisten Arbeiter fühlt sich das Flughafenprojekt wie ein Alptraum an. Bereits im Februar berichtete die oppositionelle Zeitung „Cumhuriyet“ in einer Reportage, dass mindestens 400 Arbeiter seit Baubeginn gestorben seien. Beschäftigte würden im Schlamm begraben, unter Geröll verschüttet, fielen von Dächern und stürben in überfüllten Bussen. Die meisten Unfälle aber würden durch den unablässigen Strom von 1500 Lastwagen auf dem riesigen Gelände verursacht, die Bauschutt und Abraum transportieren, schrieb die Zeitung. Denn je mehr Touren ein Fahrer absolviert, desto mehr verdient er. Das Grundgehalt liegt bei 2500 Lira im Monat, umgerechnet rund 340 Euro, dazu kommen Prämien. Ein 59-jähriger Lastwagenfahrer gab an, den Angehörigen toter Arbeiter werde ein Schweigegeld von 400.000 Lira, etwa 55.000 Euro, gezahlt, damit sie nicht an die Öffentlichkeit gingen – viel Geld in der Türkei. Der Mann berichtete auch, dass er drei tödliche Unfälle mit eigenen Augen beobachtet habe. „Nichts davon stand in der Zeitung.“ (…)Tatsächlich dürfen Journalisten das Baugelände ebenso wenig betreten wie Gewerkschafter oder Parlamentarier. „Dieser Flughafen ist abgeschottet wie eine Festung“, sagt Gewerkschaftsadministrator Kadir Kurt, ein schlanker junger Mann mit langen schwarzen Haaren, im kleinen Büro der Bauarbeitervertretung Insaat-Is im Istanbuler Bezirk Maltepe auf der asiatischen Stadtseite. Viele Beschäftigte kämen vom Land, würden nur kurz angelernt und seien in keiner Weise für die schwere Arbeit qualifiziert. Hinzu komme das berüchtigte Subunternehmersystem. „Es bedeutet, dass die Bosse die Arbeiter dazu pressen, immer schneller zu arbeiten, denn je früher sie fertig werden, desto höher sind die Profite. Sicherheitsvorschriften zählen nicht.“ Zwar wurde der „Cumhuriyet“-Bericht sofort durch einen Gerichtsbeschluss im Internet blockiert, doch ihm ist es zu verdanken, dass die Behörden die Todesfälle nicht mehr abstreiten können. Zwei Tage nach der Publizierung räumte das Arbeitsministerium die Unfälle erstmals ein, sprach aber von „nur“ 27 tödlich verunglückten Arbeitern. (..,)  „Die ganze Türkei weiß, dass diese Zahl viel zu niedrig ist“, sagt Kadir Kurt. Doch viele dieser „Arbeitsplatzmorde“ würden nirgends registriert. „Das betrifft vor allem ausländische Arbeiter aus Vietnam, Kambodscha, Georgien oder Aserbaidschan.“ Die Migranten würden sich auch davor hüten, den Mund aufzumachen. „Wer Kritik übt, dem wird mit Entlassung gedroht.“…“

„Prestige mit dem Blut von Arbeitern“ von Yücel Özdemir am 21. September 2018 in neues deutschland externer Link zur wenig überraschenden Beteiligung bundesdeutschen Kapitals an der Ultra-Ausbeutung: „Der dritte Flughafen Istanbuls, dessen Fundament 2014 gelegt wurde, ist das wichtigste von Recep Tayyip Erdoğans Prestigeprojekten. Auf dem Flughafen, der von AKP-nahen Baufirmen errichtet wird, sollen nach der Eröffnung jährlich bis zu 90 Millionen Passagiere abgefertigt werden. Damit wäre er einer der größten Flughäfen Europas. Die Türkei hat darüber hinaus viele arabische Länder angebunden, um die Anzahl der Fluggäste zu erhöhen. Es wird sogar behauptet, dass viele der Umstiege, die bisher über den Frankfurter Flughafen geleitet wurden, sich auf den Istanbuler Flughafen verschieben werden. Als die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland noch angespannter waren, behaupteten Erdoğan-nahe Zeitungen und Fernsehsender häufig, der dritte Flughafen Istanbuls würde sich gegen den neuen Flughafen in Berlin durchsetzen. So titelte beispielsweise »Milli Gazete«: »Die Deutschen sind neidisch um den 3. Flughafen.« Der deutsche Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, dementierte diese Behauptungen, indem er verkündete, dass die DHL einer der größten Investoren des dritten Flughafens sei…

„Cargo and Logistics Center“ ist eine Rubrik auf der offiziellen IGA Airport Webseite externer Link Darin wird unter anderem berichtet, dass im Frachtsektor – für den in der ersten Phase rund 1,4 Millionen Quadratmeter eingeplant seien, im März 2015 ein erster Vertrag mit einem künftigen Betreiber abgeschlossen worden sei – namens DHL…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137816
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