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32 Arbeiter der ägyptischen Tochterfirma von HeidelbergCement zu je 3 Jahren Gefängnis verurteilt: Wegen Übernahmeforderung

Tourah Belegschaft vor Gericht: In Kairo demonstrierten die Zementarbeiter gegen die Verurteilung ihrer Kollehen am 9.6.2017Im Mai protestierten die Beschäftigten des Sicherheitsdienstes der Tora-Zementwerke in Kairo mit einem Sit-In: Weil das Unternehmen ein Urteil eines Bezirksgerichtes dann schon ein Jahr lang schlichtweg ignorierte, das ihnen die Übernahme in das Unternehmen zusprach – nach bis zu 15 Jahren Zeitarbeit. Die Reaktion, typisch für die al-Sisi Regierung, war eindeutig: Ein massiver Polizeiüberfall, bei dem die festgenommenen Arbeiter auch auf der Wache noch geschlagen wurden. Und ein regelrechtes Schnellverfahren, in dem am 6. Juni 2017 nicht weniger als 32 Kollegen zu jeweils drei Jahren Haft verurteilt wurden, inklusive zwangsweiser körperlicher Arbeit während der Strafe. Der ägyptische Unrechtsstaat erlaubt es noch nicht einmal, für die Verwirklichung von Urteilen zu demonstrieren – es sei denn, es werden wieder einmal, wie so oft, billige Richter gefunden, die dann die protestierenden Arbeiter mit solchen Skandalurteilen terrorisieren. Jetzt hat eine internationale Solidaritätskampagne mit den 32 verurteilten Kollegen begonnen, zu deren Unterstützung auch LabourNet Germany aufruft. Die Petition „Free the Workers of Tourah Cement –Egypt“ seit dem 14. Juni 2017 bei change.org externer Link richtet sich sowohl an das Justizministerium als auch an das Arbeitsministerium Ägyptens – und an den Chefmanager der HeidelbergCement, das Unternehmen, zu dem die Tora-Werke gehören, eines jener Unternehmen, die serienweise Papier füllen mit ihren vielerlei löblichen Absichten. Siehe dazu drei weitere Beiträge zur Solidarität – sowie am 16. Juni 2017 ergänzt mit der deutschen Übersetzung des aktualisierten Artikels von Pino Dragoni und der Übersetzung der Solidaritätsresolution (samt Email-Adresse)

In Ägypten setzt der Putschist Sisi auf die Unterdrückung der Arbeiter Ägyptens. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten drängen das Regime zu verschärften Maßnahmen gegen Proteste

Von Pino Dragoni

Am 18. Juli findet die erste Anhörung im Prozess gegen die 32 Arbeiter des von deutschen Unternehmen HeidelbergCement geleiteten Werks Torah statt, die nur drei Tage nach ihrer Festnahme in erster Instanz zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.  Sie wurden für ihre friedliche Kundgebung verhaftet, die sie 55 Tage nach Beginn ihrer Proteste für ihr Recht auf eine Festanstellung und umfassende Arbeitsgarantien veranstalteten. Dieses Recht wurde ihnen unter anderem bereits in einem Gerichtsurteil im Mai 2016 zugesprochen. vSeither befinden sich die Arbeiter in Haft, während Dutzende Parteien, Gewerkschaften und Organisationen ihre nach der Festnahme erlittenen körperlichen Misshandlungen und Erniedrigungen verurteilen. Leider stellt der Fall der Torah nur das aktuelle Schlusslicht in einer Reihe von Vorfällen eklatanter Repression gegen Arbeiterkämpfe dar.

Sechsundzwanzig Arbeiter des Schiffwerks von Alexandrien stehen wegen eines Streiks seit mehr als einem Jahr vor einem Militärgericht. Viele von ihnen wurden durch Erpressung zur Kündigung gezwungen und eintausend weitere Mitarbeiter (der etwa 2.300 Mitarbeiter in den Werken) wurden gewaltsam von der Arbeit ausgeschlossen. Im September hingegen wurde ein Streik des Transportsektors durch eine Reihe von präventiven Verhaftungen im Keim erstickt. Sechs Gewerkschaftsführer wurden in der Morgendämmerung aus ihren Häusern entführt, verschwanden für einige Tage und wurden anschließend vor Gericht für schuldig befunden. Zwei von ihnen wurden nach sieben Monaten Haft im März entlassen und stehen jetzt unter Hausarrest. Außerdem verhinderte die staatliche Repression im Februar einen Streik von 3.000 Menschen in Mahalla al-Kubra (ein großes Zentrum der Textilindustrie im Nil-Delta), der sich auf die rund 17.000 Arbeiter des Gebietes zu verbreiten drohte.

Der Protest wurde abgesagt, nachdem die fünf Streikanführerinnen (allesamt Frauen) Disziplinarmaßnahmen und Entlassungsdrohungen ausgesetzt waren. Die Mahalla Textilindustrie bildete in der Vergangenheit das Zentrum der harten Kämpfe, die mehrmals die jeweils herrschenden Regime in Ägypten erschüttert haben. Und die Liste könnte weitergehen: erst in den letzten Monaten gab es Dutzende von Verhaftungen in dem Agrar- und Lebensmittelsektor in Suez, in der Düngemittelindustrie und im Bereich der Telekommunikation. Die unabhängige ägyptische Organisation ‚Democracy Meter‘ veröffentlichte einen Bericht über die Aktivitäten der Arbeiter im Zeitraum von Mai 2016 bis April 2017.

Laut der veröffentlichten Zahlen wurden in diesen elf Monaten mindestens 151 Arbeiter und Gewerkschafter „für die Ausübung ihres Streikrechts“ verhaftet und rund 2691 entlassen. Im gleichen Zeitraum zählte die Organisation mit 744 Arbeitsprotesten weit weniger als noch im Vorjahr. Dieser Rückgang ist kein Zufall. Die Repression gegen Arbeitskämpfe stieg zusammen mit der Verschlechterung der Wirtschaftskrise innerhalb von wenigen Monaten dramatisch an. Die aktuelle Wirtschafts- und Währungspolitik verursachte eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiter und der Mittelschicht verursacht, die unter dem Sozialabbau und der Inflation – die im Laufe der letzten sieben Monate 30% übertraf – leiden. Das Regime ist sich der Gefahr des sozialen Pulverfasses bewusst und erhöhte die repressiven Maßnahmen gegen die Proteste. Und in der Tat hagelte es in den letzten Wochen Verurteilungen von zahlreichen internationalen Organisationen – allen voran von  Amnesty International und Human Rights Watch. Zuletzt führte die Internationale Arbeitsorganisation (als Teil der UN) Ägypten erneut in der schwarzen Liste der Staaten auf, die Arbeitsrechte und gewerkschaftliche Freiheiten verletzen.

Al-Sisis Regime hat mittlerweile fast jede Form der zivilen und politischen Opposition erstickt, aber es kann die Ausbreitung der diffus organisierten sozialen Konflikte, die oftmals keine Organisation zuordnungsbar sind, nicht eindämmen. Während zu Zeiten Mubaraks Herrschaft den Arbeiterbewegungen fast immer ein Verhandlungsraum eingeräumt wurde, weigert sich das aktuelle Militärregime Protesten nachzugeben. Die Anerkennung der Legitimität ihrer Proteste und Siege der Arbeiterbewegungen könnten Schwung in weitere Arbeitskämpfe bringen und damit lokale sowie ausländisce Investoren alarmieren.

Das beispielhafte Niederschlagen der grundlegendsten und friedlichen Forderungen ist das letzte verbliebene Mittel des Regimes, um eine landesweite Ausbreitung der Proteste zu verhindern und die vermeintliche Stabilität zu erhalten. Aber noch ist das Ergebnis dieser Politik ungewiss. Omar Seoud, ein wichtiger Gewerkschaftsführer aus Suez, erklärte wenige Tage vor seinem Tod einem Journalisten von Mada Masr: „Nach all den Jahren in der Arbeiterbewegung, kann ich mit Sicherheit behaupten, dass sehr es bald eine riesige Protestwelle das ganze Land erobern wird.“

In Ägypten starteten Bewegungen, politische Gruppen und Menschenrechtsorganisationen am 8. Juni einen Aufruf, in dem sie einerseits ihre volle Unterstützung für die 32 verhafteten Arbeiter des Torah Zementwerks bekunden und andererseits Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen weltweit dazu auffordern, ihnen bis zur Anhörung am 18. Juni gleichzutun.

Der Aufruf

Am 22. Mai griff die Polizei mitten in der Nacht ein friedliches Sit-In der Arbeiter vom Zementwerk Torah (südlich von Kairo) an. Insgesamt 32 Arbeiter wurden verhaftet und am 3. Juni wurden sie alle in einem Prozess hinter verschlossenen Türen zu drei Jahren Haft verurteilt (was die Höchststrafe darstellt). Die Anklage lautet: Angriff auf einen Polizeibeamten, Widerstand gegen die Festnahme und Behinderung der Justiz.
Die Arbeiter (vom Sicherheitspersonal) forderten lediglich die Umsetzung des im Mai 2016 erteilten Gerichtsurteils, welches das Unternehmen dazu verpflichtet, die Arbeitsverträge zu verbessern. Bisher können Arbeiter aufgrund ihres Vertrags nicht alle Rechte Vollangestellter nutzen, selbst wenn die seit 15 Jahren im selben Betrieb gearbeitet haben (Recht auf Gesundheitsversorgung, Jahresboni, etc.). Das Unternehmen (zuvor Italcement und heute in den Händen der deutschen HeidelbergCement) hat sich bisher geweigert, das Urteil umzusetzen und die Verträge zu verbessern.
Die solidarischen Organisationen und Gewerkschaften kritisieren auch die in Haft erlittenen physischen und psychischen Misshandlungen der Arbeiter, die seither weder ihre Familienangehörigen noch ihre Kollegen sehen durften.
Der Prozess und die Verurteilung stellen eine klare Verletzung internationaler Verträge dar, die den Arbeitern ihr Recht auf friedliche Proteste garantieren. Die in Haft erlittene Folter ist eine weitere Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte.

Die Unterzeichner dieser Petition:

  • fordern die sofortige Freilassung der verhafteten 32 Arbeiter und die Aussetzung ihres Verfahrens, das durch die Folter und Misshandlung in Haft ungültig ist
  • fordern die Anerkennung ihrer berechtigten Forderungen auf der Grundlage des Gerichtsurteils von Mai 2016, welches ihnen die vollen vertraglichen Rechte zusprach
  • forden alle italienischen und europäischen Institutionen auf, Druck auf die ägyptischen Behörden auszuüben, bis die Achtung der Menschenrechte für die 32 Arbeiter, das Recht auf ein faires Verfahren sowie das Recht auf humane Weise behandelt zu werden, gewährleistet sind.
  • fordern die italienischen und europäischen Institutionen auf, den Druck auf Ägyptens Regierung auszuüben, um die Arbeitnehmerrechte wiederherzustellen – ausgehend von dem Recht friedlich zu protestieren, bis hin zum Streikrecht und dem Recht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen (die ILO führt erneut ‚Ägypten in der schwarzen Liste der Staaten auf, die kein Gesetz zur Gewerkschaftsorganisation habe).
  • Keine Folter und willkürliche Verhaftung! Freiheit für die Arbeiter der Torah!
  • Solidarität mit den ägyptischen Arbeitern – Italien

Für Kontakte, Informationen und Unterstützung: solidarietaegitto@gmail.com

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=117528
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