Bundesverfassungsgericht zum Einsatz der Bundeswehr und Oppositionsrechte: Organstreitverfahren gegen den „Anti-IS-Einsatz“ erfolglos – und umfangreicher Kommentar

Krieg beginnt hier. Widerstand auch.„Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts einen Antrag der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag als unzulässig verworfen, mit dem diese im Wege des Organstreitverfahrens die Feststellung begehrt hatte, dass Bundesregierung und Bundestag die Rechte des Deutschen Bundestages aus Art. 24 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Beschlussfassung über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) verletzt hätten. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass die Antragstellerin die Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht substantiiert dargelegt hat. Nach dem vorgetragenen Sachverhalt erscheint die von der Antragstellerin behauptete Verletzung von vornherein ausgeschlossen.(…) Eine Respektierung sonstigen (Verfassungs-)Rechts kann im Organstreit nicht erzwungen werden; er dient allein dem Schutz der Rechte der Staatsorgane im Verhältnis zueinander, nicht aber einer allgemeinen Verfassungsaufsicht. Aus dem Grundgesetz lässt sich kein eigenes Recht des Deutschen Bundestages dahingehend ableiten, dass jegliches materiell oder formell verfassungswidrige Handeln der Bundesregierung unterbleibe. Auch eröffnet der Organstreit keine allgemeine Kontrolle außen- oder verteidigungspolitischer Maßnahmen der Bundesregierung…“ Einleitung der BVerfG-Pressemitteilung Nr. 65/2019 vom 10. Oktober 2019 zum Beschluss 2 BvE 2/16 vom 17. September 2019. Siehe dazu einen umfangreichen Kommentar von Armin Kammrad vom 15.10.2019 – wir danken!

KOMMENTAR dazu von Armin Kammrad vom 15. Oktober 2019

Was lange wehrt, wird immer schlimmer… Beim Verständnis dieser Entscheidung macht es uns das BVerfG nicht gerade leicht, besonders wenn man die Vorgeschichte nicht kennt. Wer es ganz salopp haben will, kann das Ganze so zusammenfassen: Das BVerfG konstruiert wieder einmal nur einen verfassungsrechtlichen Hintergrund für mehr Kriegsführung zur Durchsetzung deutscher Interessen, statt eine auf Frieden orientierte Politik zu stärken.

Zwei ineinander verwobene Grundrechtsfragen werden im Beschluss des Zweiten Senats direkt und indirekt behandelt: 1. Die Frage der Beteiligung der Bevölkerung bei Entscheidungen zur Kriegsführung im Ausland, also die so schön klingende Aussage von Art. 20 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. 2. Die in der Präambel des Grundgesetzes verankerten Friedenpflicht im Verhältnis zu Militäreinsätze im Ausland, also dem verfassungsrechtlichen Verbot von „Handlungen“, wie es in Art. 26 GG wörtlich heißt, „die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten.“ Beides versuchte die Linksfraktion mit ihrem Antrag – auch aus aktuellem Anlass (baldige Verlängerung der Anti-IS-Aktion der Bundeswehr) – verfassungsrechtlich gegen Bundesregierung und Bundestag als Antragsgegner über den Weg des Organstreits beim höchsten deutschen Gericht durchzusetzen. Und beides entschied der Zweite Senat abschlägig. Das kann leider nicht wirklich überraschen.

Denn was das Demokratieprinzip des Grundgesetzes betrifft, war sich das BVerfG nämlich bereits anlässlich massenhafter Initiativen (inkl. des DGB) für ein Volksabstimmung gegen der, am 25. März 1958 vom Bundestag mehrheitlich beschlossen atomaren Bewaffnung der Bundeswehr, einig, dass die repräsentative Demokratie nicht nur die Staatsorgane verpflichtende Volksabstimmungen, sondern sogar amtliche Volksbefragungen ausschließt (BVerfGE Bd. 8,104ff & 120ff). Faktisch stützte es damit die Haltung von Hermann Weinkauff, BGH-Präsident und zuvor als NSDAP-Mitglied Mitglied beim NS-Reichsgericht, dass selbst gegen einen verbrecherischen Angriffskrieg kein Widerstandsrecht der Bevölkerung akzeptierbar sei (eine Rechtsauffassung übrigens, die jahrzehntelang in der BRD Hitlers Vernichtungskrieg zu einem „ganz normalen“ Krieg machte). Und bei diesem kritikwürdigen Demokratieverständnis bleibt es, wenn das BVerfG aktuell vertritt: „Aus dem Grundgesetz lässt sich kein eigenes Recht des Deutschen Bundestages dahingehend ableiten, dass jegliches materiell oder formell verfassungswidrige Handeln der Bundesregierung unterbleibe“ (vgl. oben). Faktisch ist so die deutsche Militärpolitik, wie schon im Kaiserreich, immer noch allein autoritäre Herrschaftsangelegenheit. Zwar gibt es nun ein gewähltes Parlament, aber ohne Konsequenz bezüglich eines verfassungswidrigen militärischen Handelns der Bundesregierung. Heute dürfen wir also die Herrschaft über das Kriegsrecht wählen, aber einmal an der Macht, dürfen wir nur zusehen – so zumindest das Grundgesetzverständnis des Zweiten Senats.

Damit reduziert sich das Ganze nicht nur auf die klagende Opposition im Bundestag und den damit geltendgemachten Forderungen in einem Organstreit, sondern zwangsläufig auch auf die Frage der Vertretungsmacht des Bundestags gegen die Bundesregierung nach Art. 59 Abs.2 GG. Die Besonderheit ist in diesem Fall, dass der Bundestag mehrheitlich das Vorgehen der Bundesregierung unterstützt, was aufgrund des autoritären Staats- und Grundrechtsverständnisses und der personellen Verflechtung keine Überraschung ist. Ebenso wenig überrascht, dass das BVerfG die Regelung zur Organstreitigkeit nach Art. 93 GG i.V.m. §§ 63 BVerfGG abschlägig entscheidet. Das ist zwar nichts Neues (vgl. PDS-Antrag zum neuen Nato-Konzept BVerfGE 68,1 von 2001 mit ähnlicher Ablehnungsbegründung), aber trotzdem nicht zwingend: Zwar kann das BVerfG im Organstreit kein bestimmtes Tun oder Unterlassen erzwingen, wohl aber eine verfassungsrechtliche Streitfrage klären. Tatsächlich wird das Organstreitverfahren in der Literatur teilweise deshalb auch als eine Art „kleine Normenkontrolle“ für Minderheiten interpretiert. Denn für eine abstrakte Normenkontrolle sind ein Drittel der Abgeordneten erforderlich.

Zwar bemängelt der Zweite Senat im jetzigen Ablehnungsbeschluss neben der formalen Unzulässigkeit auch das Fehlen einer „substantiierten“ Darlegung der Linksfraktion. Das alles lenkt jedoch vom eigentlichen Inhalt der BVerfG-Position eher ab: Frieden wird nur noch über militärische Aktionen gesehen. So wird Frieden als Leitprinzip des Grundgesetzes (Präambel) und der UN Charta, „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, nach ganz hinten ins rein Verbale verlagert. Ob nicht möglicherweise die NATO-Kriegspolitik (z.B. Mr. Bushs Mythos einer „Achse des Bösen“ im Irak) zu den terroristischen Anschlägen in Paris am 13. November 2015 zumindest mit beigetragen haben könnte, ist nichts, was auch nur ansatzweise im Denken des Zweiten Senats zu existieren scheint. Auf Frieden orientierte Menschen finden in der Begründung des Zweiten Senats nichts Hilfreiches. Nicht nur die Bürger*innen, auch das von ihnen gewählte Parlament, wird zwecks reibungsloser deutscher Kriegsführung und – beteiligung entrechtet.

Jedoch tolerierte bereits März 2003 der Zweite Senat den Ausschluss des Parlaments aus einem exekutiven „Kernbereich eigener Entscheidungsfreiheit“ der Regierung (BVerfGE 108, 35) mit der Begründung: „Die ungeschmälerte außenpolitische Handlungsfreiheit der Bundesregierung in dem ihr durch Verfassung zugewiesenen Kompetenzbereich hat auch im gesamtstaatlichen Interesse an der außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands bei der Abwägung ein besonderes Gewicht“. Nicht nur beim Bundeswehreinsatz soll das Parlament möglichst wenig für diese „außen- und sicherheitspolitischen Verlässlichkeit Deutschlands“ mitreden. Nun wird auch an Brüssel deutlich mehr Entscheidungsbefugnis abgegeben: „Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist, anders als die Antragstellerin meint, nicht dahingehend zu verstehen, dass die Europäische Union grundsätzlich nicht als System im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG eingeordnet werden kann“, heißt es mit Verweis auf Art. 42 Abs. 7 EUV im jetzigen Beschluss nun (Rdnr. 52). So gibt das höchste nationale Gericht seine militärische Verantwortung freiwillig, neben der NATO, nun auch an Brüssel ab.

Maßgeblich hierfür ist der durch Art. 24 GG ermöglichte Beitritt Deutschlands in ein kollektives Sicherheitssystem, was nach Abs.2 mit der Einwilligung „in die Beschränkung“ deutscher Hoheitsrechte verbunden ist (Stichwort: Ramstein), allerdings nur dann, wenn dies – so heißt es wörtlich – „eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern“ kann. Bei der UNO ist das sinnvoll, bei der NATO wohl eher nicht. Entscheidend war hier die BVerfGE 90, 286 von 1994, wo das Gericht erklärte: „Art. 87a GG steht der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit nicht entgegen“. Damit wurde über Art. 24 letztlich Art. 87a GG, wo es in Abs. 2 heißt: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt“, für deutsche Kriegshandlungen im Ausland -zunächst nur im Rahmen der NATO – bis zu Unkenntlichkeit relativiert. Warum die NATO etwas zum Frieden beitragen soll, bleibt allerdings bis heute ein wohlgehütetes Geheimnis des BVerfG. Klar war nur, dass mit dem NATO-Beitritt spätestens seit Ende der 90ziger Jahre, die Bundeswehr auch mal ganz „unabhängig“ von allen Bündnissen im Ausland eingesetzt werden konnte, da über Art. 24 GG das lästige Problem ausschließlicher Landesverteidigung angeblich ein für alle Mal beseitigt schien – wie die sog. „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ vom Mai 2003 dann auch unmissverständlich zeigten. Man ging halt arbeitsteilig vor, stellte Interventionstruppen zur Verfügung für den gemeinsam Zweck: Besonders die Durchsetzung der kapitalistischen Marktwirtschaft und deren Sicherung – notfalls auch mit Militär.

Alle verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen dazu drehen sich seitdem um Art. 59 Abs. 2 GG. Wo wird die ursprünglich vereinbarte NATO-Strategie nur weiter verfolgt, wo wird sie so verändert, dass ein Bundesgesetz – wie nun von der Linksfraktion vertreten – erforderlich ist? „Das neue Strategische Konzept der NATO von 1999 ist weder ein förmlich noch ein konkludent zu Stande gekommener Vertrag“, argumentierte das BVerfG dann – nicht überraschend – 2001 zur Out-of Area-Strategie der NATO und trotz völkerrechtswidriger deutscher Militäreinsätze gegen Jugoslawien. So teilte das BVerfG die Ausdehnung des Begriffs der Verteidigung, bis zum „Angriff“ kaum noch ein Unterschied auszumachen war. Was konnte auch mehr dem Frieden dienen, als der gemeinsame Angriff? Klar, so einfach war und ist es nun wieder auch nicht. Aber es gibt Lösungen, sobald jeglicher vermeintliche Angriff auf einen Bündnispartner, zum Angriff auf alle gemacht werden kann.

Diesbezüglich zentral – auch aus aktueller Sicht bezüglich Afghanistan und IS – ist das permanente Bemühen des Rechts auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta, der ein naturgegebenes Recht „zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“ statuiert, und was seit 2001 auch für Fälle von nicht staatlichen Terrorangriffen gelten soll. Der internationale Gerichtshof (IGH) war bisher eher restriktiv in der Ausdehnung der kollektiven Selbstverteidigung auf alle mutmaßlichen und echten Terroristen (außer des staatlichen Terrors natürlich), was dem Zweiten Senat auch durchaus bekannt ist: „Die IGH-Rechtsprechung tendierte zwar zu einem restriktiveren Verständnis des Art. 51 VN-Charta, wonach die Zulässigkeit von gegen Staaten gerichtete Selbstverteidigungshandlungen als Reaktion auf Handlungen nichtstaatlicher Akteure eine Zurechnung dieser Aktivitäten zum betroffenen Staat voraussetzt“ (Beschluss Rdnr.51). Das hindert den Zweite Senat jedoch nicht, sich auf die Seite mancher Rechtsfortbilder zu schlagen: „Dass derartige Bedrohungen in der Vergangenheit hauptsächlich von zwischenstaatlichen Konflikten ausgingen, beschreibt nur die historischen Gegebenheiten, erzwingt aber nicht die Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe staatlicher Akteure.“ Diese durchaus streitbare Rechtsansicht passt zum Streitgegenstand der Organklage: Geht doch die ganze aktuelle Auseinandersetzung um die deutsche Kriegsunterstützung gegen den IS – auch unter Verletzung des Territoriums fremder Staaten, wie z.B. Syriens. Das rechtliche Problem ist nur: Auch ein NATO-Gegner kann sich ggf. auf Art. 51 UN-Charta berufen (wie aktuell Syrien wegen des türkischen Einmarsches). Die NATO steht, ebenso wie die EU, nicht über dem Völkerrecht. Derartige Bündnisse nach Art. 24 GG finden deshalb zwangsläufig ihre verfassungsrechtliche Grenzen in dem Vorrang allgemeiner Regelungen des Völkerrechts nach Art. 25 GG. Verträge, die eine Verletzung des Völkerrechts einschließen, sind verfassungswidrig.

Das BVerfG schafft nun leider immer noch keine vom Grundgesetz her akzeptable Klärung. Das Friedensgebot des Grundgesetzes verbietet nun einmal jegliche Unterstützung von Angriffskriegen, auch von NATO-Mitgliedern, wie der USA oder aktuell der Türkei. Ein exekutiver Freiraum hilft hier ebenso wenig weiter, wie ein autoritäres Staatsverständnis. Verabschiedet sich das höchste deutsche Gericht auch weiterhin von der faktischen – eben nicht nur deklamatorischen – Friedenssicherung, läuft es Gefahr, selbst nicht mehr als höchstes Organ der Verfassungssicherung Ernst genommen zu werden. Die Begründung zum jetzigen Ablehnungsbeschluss macht Krieg leider nicht unwahrscheinlicher, sondern eher wahrscheinlicher. Um das zu merken, hätte der Zweite Senat nur einmal die bisherige völkerrechtliche Entwicklung betrachten müssen. Die Aufgabe von Grundrechten zugunsten von des Bedürfnisses nach mehr Sicherheit, zeigt sich also auch in der militärischen Außenpolitik. Mehr Kriegsführungskompetenzen der Exekutive sind das einzige, worauf der Zweite Senat offensichtlich nur noch baut. Ein großer und folgenschwerer Irrtum, der die Friedenssicherung eher schwächt anstatt stärkt. Aber dies muss sich niemand gefallen lassen. Denn anders, wie Weinkauff als ehemaliger Nazi-Richter meinte (vgl. oben), gibt es durchaus ein völkerrechtliches und verfassungsrechtliches Widerstandsrecht der Bevölkerung gegen verbrecherische Angriffkriege; vor allem muss da niemand mitmachen.

Kommentar von Armin Kammrad vom 15.10.2019 – wir danken!

Siehe zum Hintergrund im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=155881
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