Die trügerische Verheißung: Von der Geburt des Internets zum neuen Autoritarismus

Keine Macht für Niemand!„„Der David des Mikrochips“, sagte Ronald Reagan 1989, „wird den Goliath des Totalitarismus zu Fall bringen.“ (…) Es ist eine der gravierendsten Paradoxien der gegenwärtigen Situation, dass just jene Kommunikationsweisen, die die Autoritären von heute stark machen, einst gerade dazu erdacht wurden, den Autoritarismus zu besiegen. (…) Und die gleichen Methoden, sich per Netzwerk zu organisieren, von denen so viele den Sturz übelwollender Staaten erhofften, haben diese Erwartung nicht nur nicht eingelöst – man denke an den Arabischen Frühling –, sondern sogar, ganz im Gegenteil, Autokraten in die Lage versetzt, Protest und Dissens zielgenauer zu überwachen. (…) Die politische Vision, die uns an diesen Punkt geführt hat, kam in den 1930er Jahren auf, als Reaktion auf den Faschismus. In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg rätselte man in Amerika darüber, wie es dazu kommen konnte, dass Deutschland, eine der kultiviertesten Nationen Europas, in das dunkle Loch des Nationalsozialismus getaumelt war. Heute würden wir für Hitlers Aufstieg wahrscheinlich das wirtschaftliche Chaos und die politischen Grabenkriege der Weimarer Zeit verantwortlich machen. Damals jedoch gaben viele den Massenmedien die Schuld. (…) Heute aber sind Rundfunk und Fernseh-Talkshows, Podcasts, Blogs und natürlich die sozialen Medien Bestandteile eines neuen Medienökosystems, in dem eigene Erfahrungen derart einfach und wirkungsvoll geäußert werden können, dass dies für die Rechte ebenso wie für die Linke zu einem reizvollen Instrument geworden ist. (…) Aber ob sie nun lügen wie Trump oder lang verdrängte Wahrheiten enthüllen wie die Teilnehmer der #MeToo-Bewegung: Wer heute im öffentlichen Raum Durchsetzungsmacht beansprucht, muss seine ganz eigene Sprache sprechen. (…) Es ist an der Zeit, von der Phantasie abzulassen, Techniker könnten unsere Politik für uns besorgen und alles, was wir tun müssten, um die Welt zu verändern, sei, unsere Sehnsüchte in den öffentlichen Foren zu artikulieren, die diese Techniker bereitstellen. Im 20. Jahrhundert glaubten Amerikaner sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten lange Zeit, die staatlichen Organe seien der Feind und Bürokratie sei per definitionem totalitär. Genau diese Institutionen gilt es heute wiederzubeleben. Wir müssen die langwierige schwere Arbeit leisten, die aus unseren Erfahrungen entspringenden Wahrheiten in Gesetzesform zu gießen.“ Beitrag von Fred Turner aus ‚Blätter für deutsche und internationale Politik‘ 3/2019 externer Link

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