Teilerfolg gegen Polizeidirektion Hannover: „Ich bin froh über jede Kamera, die weg ist“

Gegen VideoüberwachungDas Land Niedersachsen muss im Bereich der Polizeidirektion Hannover 55 von den gegenwärtig aktiven 77 Überwachungskameras abschalten. Eine weitere in der Nähe des Messegeländes wurde bereits vor der Verhandlung deaktiviert. Von den 22 Geräten, die das Gericht billigt, dienen 7 dem Objektschutz vor dem türkischen Konsulat, der jüdischen Gemeinde sowie dem Landtag und Ministerien, 4 hängen an Verkehrsknotenpunkten und 11 an Standorten, bei denen laut Polizei eine erhöhte Menge an Straftaten registriert wird und angeblich ein Abschreckungseffekt besteht. Alle Kameras haben ein technisches Niveau, das die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen und Aktivitäten durch Heranzoomen und Schwenken erlaubt…“ Ungekürzte Fassung des Interviews von Andreas Schuchardt mit dem Datenschutzaktivisten Michael Ebeling aus der jungen Welt vom 25. Juni 2016 – Wir danken dem Autor!

Sie haben gegen die Videoüberwachung der Polizeidirektion Hannover im öffentlichen Raum geklagt. Wie hat das Verwaltungsgericht entschieden?

Das Land Niedersachsen muss im Bereich der Polizeidirektion Hannover 55 von den gegenwärtig aktiven 77 Überwachungskameras abschalten. Eine weitere in der Nähe des Messegeländes wurde bereits vor der Verhandlung deaktiviert. Von den 22 Geräten, die das Gericht billigt, dienen 7 dem Objektschutz vor dem türkischen Konsulat, der jüdischen Gemeinde sowie dem Landtag und Ministerien, 4 hängen an Verkehrsknotenpunkten und 11 an Standorten, bei denen laut Polizei eine erhöhte Menge an Straftaten registriert wird und angeblich ein Abschreckungseffekt besteht. Alle Kameras haben ein technisches Niveau, das die Beobachtung und Aufzeichnung von Personen und Aktivitäten durch Heranzoomen und Schwenken erlaubt. Als Rechtsgrundlage soll der Paragraph 32 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NdsSOG) herhalten.

Sind Sie mit dem Urteil zufrieden?

Ich bin froh über jede Kamera, die weg ist. Insofern spüre ich schon eine gewisse Genugtuung, nachdem wir jahrelang mit unserer Kritik nicht ernst genommen worden sind. Endlich wurde juristisch festgestellt, dass diese Videoüberwachung ein Problem ist. Lange genug hat es ja auch gedauert. Das Verfahren zog sich über viereinhalb Jahre hin und wurde von der Polizeidirektion immer wieder mit der Begründung verschleppt, irgendwann demnächst gäbe es ein neues Polizeigesetz und damit eine neue rechtliche Grundlage. Dann seien meine Einwände eh hinfällig.

Also ein weitgehender Erfolg?

Nicht so ganz. Der Urteilsspruch hat auch seine Schattenseiten. Nicht nur, dass ich ein Viertel der Kosten tragen soll, sondern es besteht durchaus auch die Gefahr eines Schusses nach hinten, denn mit der Begründung, an Orten mit „erhöhter Kriminalität“ und „abstrakter Terrorismusgefahr“ seien solche Maßnahmen erlaubt, ließen sich natürlich auch an vielen anderen Stellen Überwachungskameras installieren. Im Innenausschuss des niedersächsischen Landtags hat sich die Landesregierung aus SPD und Grünen das Anbringen neuer Kameras ausdrücklich vorbehalten.

Wird sich die Polizeiführung an das Urteil halten?

Nach Zustellung der schriftlichen Begründung besteht die Möglichkeit in Berufung zu gehen. Es bleibt abzuwarten, ob sie dies tut. Darüber hinaus ist von einer Übergabe von vielen der 55 abzuschaltenden Kameras an die Verkehrsmanagementzentrale die Rede. Bei der ergäben sich aber genau dieselben rechtlichen Probleme und bekanntlich darf die Polizei im Zuge der vereinbarten gegenseitigen Hilfe bei „besonderen Gelegenheiten“ auf die Verkehrskameras zugreifen. Außerdem ist noch nicht klar, wie und bis wann die Geräte aus dem Betrieb zu nehmen sind. Da bestehen also durchaus Schlupflöcher und Anlass zu erhöhter Wachsamkeit unsererseits.

Was haben wir von dem erwähnten neuen Polizeigesetz zu erwarten?

Schwer zu sagen. Obwohl bereits seit zwei Jahren ein Entwurf existiert, ist dieser bislang noch nicht öffentlich gemacht worden. Einzig die verschiedenen Polizeigewerkschaften und der Datenschutzbeauftragte wurden informiert und haben sich dazu intern schriftlich geäußert, wie man hört.

Was habt Ihr als Gruppe freiheitsfoo weiter vor?

Erstmal werden wir das Urteil abwarten. Wenn es so Bestand hat, ist es eine Chance, weil es Ansatzpunkte für Widerstand gegen viele andere Polizeikameras jenseits von Hannover liefert. Der Gerichtsentscheid hat ohne Frage landesweite Ausstrahlungskraft. Da könnte man weitermachen…

Viele Leute begrüßen zwar solchen Widerstand, haben aber Angst, sich selbst durch Beteiligung daran erst recht staatlicher Überwachung und Verfolgung auszusetzen. Wie sehen Sie das?

Meiner Erfahrung nach bietet gerade Öffentlichkeit und Transparenz des eigenen Tuns einen guten Schutz dagegen. Ansonsten, ja: „Angst essen Seele auf.“ Die Schere im eigenen Kopf führt zu noch größeren Einschränkungen der eigenen Rechte und Freiheitsräume als die staatlichen Maßnahmen. Wenn man einen begründeten Verdacht hat, dass man überwacht wird, lohnt sich auf jeden Fall ein schriftliches Auskunftsersuchen. Ich habe auf diesem Wege schon mehrfach meine Akten eingesehen und klage derzeit auf vollständige Einsicht in meine Polizeiakte. Das Verfahren findet am 7. Juli um 9 Uhr vor dem Verwaltungsgericht Hannover statt.

Michael Ebeling lebt in Hannover und ist Datenschutzaktivist. Er gehört der Gruppe „freiheitsfoo“ an, die aus dem Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hervorgegangen ist.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=100422
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