Ausweitung der Videoüberwachung: Nicht mehr Sicherheit, sondern weniger Grundrechte

Dossier

Gegen VideoüberwachungMedienberichten zufolge will Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Videoüberwachung an privatrechtlich betriebenen öffentlichen Orten wie Einkaufszentren, Sportstätten und Parkplätzen sowie in Bussen und Bahnen deutlich ausweiten. Dabei sollen künftig auch vermehrt Techniken zur automatischen Gesichtserkennung zum Einsatz kommen. Dies solle, so de Maizière mit Verweis auf die Taten von Ansbach und München im Sommer dieses Jahres, der Vorbeugung von Terroranschlägen dienen. Umsetzen will der Innenminister seine Pläne durch eine Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes. Dort soll festgeschrieben werden, dass die „Sicherheit der Bevölkerung“ bei Entscheidungen über den Einsatz von Überwachungstechnik „besonders zu berücksichtigen“ ist. Über die Verwendung von Überwachungsinstrumenten in den öffentlich zugänglichen Bereichen privat betriebener Einrichtungen haben die Landesdatenschutzbehörden zu entscheiden. Diese standen bislang insbesondere der Videoüberwachung aus guten Gründen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Mit seinem Vorstoß will de Maizère also offenkundig diese behördliche Entscheidungspraxis ins Gegenteil verkehren…Beitrag bei der Digitalen Gesellschaft vom 27. Oktober 2016 externer Link. Siehe zur Vorgeschichte das Dossier BDSG-Nachfolgegesetz: Bestehendes Datenschutzniveau beibehalten, mehr Schutz für Privatsphäre sichern und hier zum „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“:

  • Bundesverwaltungsgericht stoppt Videoüberwachungsverbesserungsgesetz New
    „… Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner jetzt veröffentlichten Entscheidung vom 27. März 2019 deutlich gemacht, dass die Videoüberwachung durch private Stellen ausschließlich am europäischen Datenschutzrecht zu messen ist. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um eine Anordnung der Brandenburgischen Beauftragten für Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht zur datenschutzkonformen Ausrichtung der Videoüberwachung in einer Zahnarztpraxis. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts regelt die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die Videoüberwachung durch Private abschließend. Folglich ist die nationale Bestimmung in § 4 Abs. 1 S. 1 BDSG europarechtswidrig und im Ergebnis unanwendbar. Private Videokameras können daher im Ergebnis nur auf der Rechtsgrundlage des Art. 6 Abs. 1 Buchstabe f DSGVO betrieben werden. Die danach zu erfolgende Güterabwägung ist nicht durch nationales Recht modifizierbar. Die Einfügung des § 4 Abs. 1 BDSG im Zuge des damaligen Videoüberwachungsverbesserungsgesetzes war eine Reaktion auf einen Amoklauf im Juni 2016 in einem Münchner Einkaufszentrum, bei dem neun Menschen erschossen wurden. Der damals zuständige Bundesinnenminister beabsichtigte, Betreiber von Einkaufszentren sowie etwa Sportstätten und Parkplätzen zu Helfern bei der originär staatlichen Aufgabe der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung machen. Er argumentierte, dass die Sicherheit öffentlicher Plätze bei der Abwägung gegenüber den datenschutzrechtlichen Interessen der Betroffenen vorrangig herzustellen sei. Diese Vorrangklausel könne einen Ausbau der Videoüberwachung durch private Stellen ermöglichen und müsse von Aufsichtsbehörden bei der datenschutzrechtlichen Prüfung berücksichtigt werden. Das Gericht bestätigt nun die Rechtsauffassung der Datenschutzbehörden, die bereits im Jahr 2017 anlässlich der Diskussion im Gesetzgebungsverfahren eindringlich auf den Vorrang des Unionsrechts hingewiesen haben…“ Pressemitteilung des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit vom 31. Mai 2019 externer Link
  • Videoüberwachung – wie kann ich mich dagegen zur Wehr setzen? 
    „… Mit Inkrafttreten der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) am 25.05.2018 und dem am gleichen Tag in Kraft getretenen neuen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) haben sich Rechtsgrundlagen und Rechtsnormen verändert. (…) Datenschutzaufsicht bei Videoüberwachung im öffentlich zugänglichen Raum durch private Kamerabetreiber ist grundsätzlich die / der Datenschutzbeauftragte des jeweiligen Bundeslandes, in dem die Kamera betrieben wird. An diese Institution können Sie sich mit einer Eingabe / Beschwerde wenden, wenn Sie eine Überprüfung und ggf. auch Beseitigung der Kamera erreichen möchten. (…) Ihre Eingabe ist für Sie nicht mit Kosten (Gebühren) verbunden. Der Kamerabetreiber wird von der Datenschutzaufsicht auch nicht über die Person des Beschwerdeführers unterrichtet. (…) Videoüberwachung privater Räume. Das können z.B. Privatgrundstücke, Eingangsbereiche und Treppenhäuser von Wohngebäuden sein. In diesen Fällen kann man sich zwar von den jeweiligen Landesdatenschutzbehörden beraten lassen. Eine Beseitigung der Videokamera(s) lässt sich hier, soweit man den Kamerabetreiber davon nicht überzeugen kann, nur durch eine Klage vor dem Amtsgericht (und ggf. weiteren Instanzen) erreichen. Das Gleiche gilt für Kamera-Attrappen. (…) Bei Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch eine öffentliche Stelle des Bundes (Bundesämter und -behörden) ist als Datenschutz-Aufsichtsbehörde die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zuständig; Bei Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch eine öffentliche Stelle eines anderen Bundeslands ist Datenschutz-Aufsichtsbehörde die / der jeweilige Landesdatenschutzbeauftragte. Videoüberwachung des öffentlichen Raums durch Sicherheitsbehörden (Polizei). Hier sind die Rechtsgrundlagen in den Polizei- bzw. Sicherheitsgesetzen des Bundes bzw. der einzelnen Bundesländer enthalten… „ Infos vom 22. Juli 2018 von und bei dieDatenschützer Rhein Main externer Link
  • Überwachung ist nicht Sicherheit. Überwachung ist Überwachung.
    “ Schöne neue Welt? Nahezu unbemerkt haben Bundestag und Bundesrat im Eilverfahren das „Videoüberwachungsverbesserungsgesetz“ durchgewinkt. Damit werden zwei wichtige Prinzipien untergraben: Es droht die Totalüberwachung der Öffentlichkeit und Auslagerung staatlicher Aufgaben in private Hände. (…) Die Regierung will mit der Maßnahme die „gefühlte Sicherheit“ erhöhen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Botschaft, die vermittelt wird: Wir sind in Gefahr. Immer. Überall. Gleichzeitig zieht der Staat die Privatwirtschaft heran, um einer ureigenen staatlichen Aufgabe nachzukommen: Der Gewährleistung innerer Sicherheit. Das kommt einem Eingeständnis der Machtlosigkeit gleich – und wird wohl kaum dazu führen, dass die Bevölkerung sich sicherer fühlt. (…) Das einzige Verbrechen, das durch Videoüberwachung abgewendet werden kann, sind Autodiebstähle. Ausreichende Straßenbeleuchtung, zurückgeschnittene Hecken und eine Polizei, die nach dem Notruf schnell vor Ort sein kann, bringen mehr als jede Überwachungskamera. Wozu also das Gesetz? Die eindeutigen Profiteure der Maßnahme sind die Unternehmen, die an der Herstellung der Hardware und Software, den Standleitungen und der Wartung der Kameras verdienen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Anstatt sich von der Wirtschaftslobby wie eine Schafherde treiben zu lassen, sollte die Regierung die Studien zur Kenntnis nehmen, die zeigen, dass Videoüberwachung nicht gegen Terrorismus und Gewaltdelikte hilft…“ Beitrag von Kerstin Demuth vom 6. April 2017 bei digitalcourage externer Link
  • Digitalcourage und FIfF e.V.: Videoüberwachung ist Risikotechnologie
    Am 9./10. März 2017 soll im Deutschen Bundestag das sogenannte Videoüberwachungsverbesserungsgesetz durch die Gesetzgebung gepeitscht werden. Dagegen protestieren das FIfF (Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung) und Digitalcourage. Am Donnerstag, 23.02.2017 überklebten Aktivisten in Berlin Hinweise zur Videoüberwachung mit „ehrlicheren“ Schildern. Die Datenschutz- und Grundrechtevereine wollen mit ihrer Aktion gegen den Plan des Bundesinnenministers Thomas de Maizière verdeutlichen, dass auch vernetzte Kameras mit Gesichtserkennungs- und Analysesoftware nicht zur Erhöhung von Sicherheit und auch nicht zur Aufklärung von Straftaten beitragen. Zu diesem Zweck wurden rund um die Stationen Friedrichstraße und Mehringdamm Hinweisschilder im Design der BVG angebracht und Flyer verteilt…Pressemitteilung von Digitalcourage und FIfF e.V. vom 23.02.2017 externer Link. Siehe dazu eine Fotostrecke zur Aktion, ebenfalls bei Digitalcourage externer Link
  • Bundesrat gibt grünes Licht für mehr Videoüberwachung
    Die geplante Ausweitung der Videoüberwachung wird von Datenschützern als verfassungswidrig bezeichnet. Dennoch hat den Bundesrat heute keine grundlegende Kritik an dem Vorhaben der Bundesregierung geübt. (…) Der Rechtsausschuss des Bundesrates hatte lediglich drei Veränderungsvorschläge gemacht, von denen nur einer im Plenum angenommen wurde. Der Vorschlag, eine Regel-Speicherfrist von zwei Monaten bei der Videoüberwachung einzuführen, wurde immerhin nicht angenommen. Der Bundesrat sprach sich lediglich dafür aus, die Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden zu verstärken. Damit hat der Bundesrat die Chance ungenutzt verstreichen lassen, das von Datenschützern als verfassungswidrig bezeichnete Gesetz grundsätzlich zu kritisieren. Mit dem geplanten Gesetz soll der Einsatz von Überwachungskameras in den öffentlich zugänglichen Bereichen privat betriebener Einrichtungen erleichtert werden. Zu den in Zukunft stärker überwachten Bereichen gehören öffentliche Veranstaltungen, Einkaufszentren aber auch Diskotheken…Beitrag von Markus Reuter vom 10. Februar 2017 bei netzpolitik.org externer Link. Und: das VG Köln hat einen Eilantrag auf Aussetzung der VDS abgelehnt, weil sie nicht offensichtlich europarechtswidrig sei. Siehe das Urteil externer Link 
  • Bundesregierung: Bislang keine Anschläge mit Videoüberwachung verhindert
    Bislang wurden keine Anschläge aufgrund von Videoüberwachung verhindert. Das hat die Bundesregierung der Linkspartei in einer kleinen Anfrage geantwortet. Das Bundesinnenministerium hatte den Gesetzesentwurf zur Ausweitung der Videoüberwachung, dem so genannten Videoüberwachungsverbesserungsgesetz, zuvor mit der Verhinderung von Anschlägen begründet. (…) Abgeordnete der Linkspartei haben deswegen bei der Bundesregierung in einer kleinen Anfrage nachgefragt, inwiefern Videoüberwachung in München und Ansbach geeignet gewesen wäre, die Anschläge zu verhindern. Die Antwort: „Die Bundesregierung nimmt zu spekulativen Fragen keine Stellung.“ Weiterhin fragen die Abgeordneten, ob denn Videoüberwachung bislang Terroranschläge verhindert habe (…) Auch hier muss die Bundesregierung passen…Beitrag von Markus Reuter bei netzpolitik.org vom 03. Januar 2017 externer Link. Siehe dazu

  • Bundeskabinett beschließt mehr Videoüberwachung und Kennzeichen-Scanner
    Das Bundeskabinett hat heute die Ausweitung der Videoüberwachung, die Einführung von Systemen zur Kfz-Nummernschilderfassung und von Bodycams für Polizisten beschlossen. Insgesamt handelt es sich um vier Gesetzentwürfe, mit denen das federführende Bundesinnenministerium (BMI) eine „Erhöhung der Sicherheit in Deutschland“ erreichen will. Beim Beschluss zur Videoüberwachung handelt es sich um das so genannte Videoüberwachungsverbesserungsgesetz. Hierbei werden im Bundesdatenschutzgesetz Bestimmungen gelockert, um den Einsatz von Videoüberwachung an Sportstätten, Einkaufszentren und auch Diskotheken zu erleichtern. Das geplante Gesetz wurde von Datenschützern scharf kritisiert…Beitrag von Markus Reuter bei netzpolitik.org vom 21. Dezember 2016 externer Link
  • Mehr Videoüberwachung: Innenministerium führt Anhörung zu Referentenentwurf durch
    Vor gerade einmal zwei Wochen äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière erstmals öffentlich zu seinen Plänen, die Videoüberwachung in Deutschland massiv auszuweiten. Geht es nach ihm, so sollen öffentlich zugängliche Orte wie Einkaufszentren, Sportstätten, Parkplätze oder Busse und Bahnen künftig leichter durch Kameras beobachtet werden können. Dazu will der Innenminister das Bundesdatenschutzgesetz ändern und die rechtlichen Hürden für den Einsatz von „optisch-elektronischen Einrichtungen“ deutlich senken. All das soll, wie könnte es anders sein, der Sicherheit und dem Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen und anderen Gewalttaten dienen. Nun geht es Schlag auf Schlag: Ende vergangener Woche verschickte das Innenministerium einen entsprechenden Referentenentwurf an Verbände und Interessengruppen, verbunden mit der Aufforderung, innerhalb einer Woche Stellung zu nehmen. Noch im November will die Bundesregierung das Gesetz auf den Weg bringen. Nachdem wir bereits de Maizières Ankündigung vor zwei Wochen scharf kritisiert hatten, haben wir nun auch eine schriftliche Stellungnahme zu dem Referentenentwurf verfasst…Beitrag bei der Digitalen Gesellschaft vom 11. November 2016 externer Link. Siehe dazu die Stellungnahme der Digitalen Gesellschaft zum Referentenentwurf externer Link
  • Datenschützer protestieren gegen de Maizières Plan für mehr Videoüberwachung
    Der Ex-Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht in dem Plan des Innenministeriums, die Videoüberwachung auszubauen, „verfassungsrechtlich bedenkliche Vorratsdatenspeicherung“. Auch andere Experten lehnen sie ab…Beitrag von Andreas Wilkens bei heise online vom 7. November 2016 externer Link
  • Stellungnahme zur Vorratsvideosammlung: „Verfassungsrechtlich bedenklich“
    Die Europäische Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz kritisiert die Pläne von Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur Ausweitung von Videoaufzeichnungen an öffentlichen Orten. Sie warnt davor, die optische Überwachung weiter auszudehnen, da keine sinnvolle Begründung vorliegen würde. Im Gegenteil: Das Aufzeichnen der Videos sei sogar in manchen Fällen kontraproduktiv…Beitrag von Constanze Kurz bei netzpolitik.org vom 07. November 2016 externer Link
  • Intelligente Videoüberwachung: Regierung will Folgen der Grundrechtseingriffe später reflektieren – vielleicht.
    In Zukunft soll „intelligente Videotechnik“ auffälliges Verhalten erkennen und Gesichtserkennung leisten können. Das bedeutet einen noch tieferen Eingriff in die Privatsphäre durch Überwachungskameras. Aber die Regierung macht sich zu diesem Effekt bisher nur wenig Gedanken, zeigt ihre Antwort auf eine Kleine Anfrage von Konstantin von Notz…Beitrag von Anna Biselli bei netzpolitik.org vom 27. Oktober 2016 externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=106300
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