Trotz Verzögerungen: Gröhe will elektronische Gesundheitskarte nicht aufgeben

"Meine Krankenakte gehört mir!"In Medienberichten hieß es am Wochenende, die Regierung wolle womöglich die elektronische Gesundheitskarte nach der Wahl für gescheitert erklären. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) versucht jedoch, Bedenken zu zerstreuen – wie auch die IT-Firma Compugroup, deren Aktien um bis zu 8,8 Prozent fielen. Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) fordert ein neues E-Health-Gesetz. In den vergangenen Tagen hatten Vertreter von Krankenkassen und Ärzteverbänden deutliche Bedenken an der Zukunft der elektronischen Gesundheitskarte öffentlich gemacht – auch soll die Bundesregierung laut der Deutschen Presseagentur (dpa) Pläne haben, nach der Bundestagswahl im September das Projekt für gescheitert zu erklären. (…) „Ich bin da zuversichtlich, kann die Ungeduld verstehen, aber für Ausstiegsszenarien gibt es überhaupt keinen Anlass“, erklärte Gröhe gegenüber dem Radiosender „MDR Aktuell“. (…) Bayern werde darüber hinaus bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen eigene Akzente setzen – wie mit den im Mai beschlossenen Eckpunkten für das Investitionsprogramm „Bayern Digital II“. „Wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer in seiner Regierungserklärung vom 6. Juli verkündete, soll der Freistaat Spitzenstandort für digitale Medizin und Pflege werden – im Dienst für Patienten, Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftige“, betont Huml. Sie verwies auch auf das Modellprojekt „Meine Gesundheitsakte Digital“, das lebenslang alle individuellen Gesundheitsdaten enthalten soll.Beitrag von Hinnerk Feldwisch-Drentrup vom 7. August 2017 bei DAZ online externer Link, siehe dazu auch ein Interview:

  • »Vorgesehene Fristen sind nicht haltbar« Gespräch mit Bernhard Scheffold
    „… Tatsache ist, die gesetzlich vorgesehenen Fristen sind nicht haltbar: Die Testphase für die Karte hätte längst abgeschlossen sein sollen. Die Arztpraxen hätten mit sogenannten Konnektoren ausgestattet sein sollen, die zum Auslesen der Daten benötigt werden. Sie sind aber noch nicht verfügbar. Die Gematik (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH, jW) hat insofern Recht: Vor einigen Jahren gab es die Geräte schon, die Anforderungen an sie sind aber ständig gestiegen. Edward Snowdons Enthüllungen verdeutlichten, über welche Mittel etwa der Auslandsgeheimdienst NSA verfügt; mit welchen perfiden Methoden auch solche Daten auszuspionieren sind. (…) Absichten der Gesundheitswirtschaft, die Daten zu monetarisieren, bestehen weiter. Die Lage könnte schlimmer werden. Vorstellbar ist, dass Gröhe längst ein Telematikstrukturverbesserungsgesetz in der Schublade hat. (…) Würde sie aktuell technisch funktionieren, wären die meisten Leistungen freiwillig. Der Verfügbarkeit von Notfalldaten oder der Patientenakte hätte der Patient explizit zustimmen müssen. Doch politische Kräfte arbeiten daran, diesen starken Datenschutz aufzuweichen: Der Patient soll selber aktiv werden und widersprechen, falls er eine zentrale Nutzung seiner Gesundheitsdaten ablehnt. (…) Wir fordern, die Daten auf einem kleinen Gerät zu speichern, auf das der Patient dem Arzt Zugriff gewähren kann – und das er anschließend wieder mitnimmt.“ Interview von Gitta Düperthal bei der jungen Welt vom 12. August 2017 externer Link (Bernhard Scheffold ist stellvertretender Vorsitzender des Vereins »Patientenrechte und Datenschutz«)
  • Dr. Hontschiks Diagnose: Wunschdaten. Vom Sinn und Unsinn der elektronischen Gesundheitskarte.
    Es könnte so einfach sein, wenn es bloß um gute Medizin ginge. Aber das Projekt will und will nicht in Gang kommen. Einige Milliarden Euro sind schon versenkt worden, und immer noch klappt rein gar nichts. (…) Da es aber gar nicht wirklich um Ihre Gesundheit geht, sondern um gewaltige Investitionen und Gewinne für die Hard- und Softwareindustrie, wird statt eines Netzwerkes und seit mehr als elf Jahren die Speicherung unser aller Gesundheitsdaten in zentralen Riesenservern geplant. Damit werden nicht nur alle tiefgreifenden Veränderungen und Fortschritte der digitalen Kommunikation in den letzten elf Jahren ignoriert, auch die Gefahren, die zentrale Server in ihrer Anfälligkeit für Hacker und andere Kriminelle bieten, werden ausgeblendet. (…) Es könnte ja so einfach sein, wenn es wirklich nur um gute Medizin ginge. Dann gäbe es keine zentralen Datenspeicher, dann würde jede Patientin und jeder Patient immer und überall uneingeschränkt selbst über alle Daten auf der individuellen Chipkarte bestimmen. Kein Hacker, kein Erpresser hätte auch nur den Hauch einer Zugriffschance. Warum nur machen wir das nicht so? Ist die Zugriffsmöglichkeit auf die zentral gespeicherten Daten vielleicht heimlich erwünscht?“ Kolumne von Bernd Hontschik vom 24. Juli 2017 bei der Frankfurter Rundschau online externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=120047
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