Ausländerzentralregister (AZR): Wie mit chaotischen Zahlen Flüchtlingspolitik gemacht wird

Dossier

Ausländerzentralregister abschalten!!! Zentrale Demonstration gegen das Ausländerzentralregister (AZR) am 25. Mai 2002 in Köln… Die Bundesregierung stützt sich in ihrer Abschiebepolitik auf fehlerhafte Zahlen. Laut Ausländerzentralregister (AZR) lebten Mitte des Jahres 234.603 Personen im Land, die in der Datenbank als ausreisepflichtig registriert waren. Nur ein Viertel von ihnen verfügt über keine Duldung und kann deshalb unmittelbar abgeschoben werden. (…) Trotzdem nutzte die Bundesregierung die Zahl der Ausreisepflichtigen im AZR zum Beispiel, als der Bundestag im Mai vergangenen Jahres seinen Gesetzesentwurf „zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ verabschiedete. (…) Doch selbst Regierungsstellen melden immer wieder Zweifel an den Zahlen des AZR an. (…) Kurz gesagt: Der Bundesregierung fehlt für ihre Rückführungspolitik offenbar eine echte Übersicht…“ Artikel von Niklas Dummer vom 28. August 2018 in der Zeit online externer Link, siehe dazu Infos und Proteste:

  • Ausländerzentralregister: Kaum Asylentscheidungen in der Riesendatenbank – gehört abgeschafft New
    „Seit November 2022 dürfen Asyl- und Gerichtsentscheidungen im Ausländerzentralregister gespeichert werden. Doch eine Antwort der Bundesregierung zeigt: Die viel kritisierte Regelung wird bislang kaum genutzt. (…) Das Ausländerzentralregister (AZR) ist eine der größten Verwaltungsdatenbanken des Landes. Als „zentrale Informationsdrehscheibe“ bezeichnet das Bundesverwaltungsamt die Sammlung mit derzeit 26 Millionen Datensätzen zu Ausländer:innen. Das AZR wurde immer wieder erweitert, es kamen immer mehr Datenpunkte dazu, vor allem zu Geflüchteten. Eine Änderung aus dem Jahr 2021 zog besonders viel Kritik auf sich: Sie sorgte dafür, dass auch Daten aus Asylverfahren im Register abgelegt werden können. Das betrifft Asylentscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge oder Gerichtsentscheidungen in asyl- oder aufenthaltsrechtlichen Verfahren. Die Neuregelung trat im November 2022 in Kraft, gilt also mittlerweile seit rund einem halben Jahr. Die linke Bundestagsabgeordnete Clara Bünger hat deshalb nachgefragt, wie die neuen Möglichkeiten eingesetzt werden. Das Ergebnis: kaum. Je drei Mal landeten BAMF- und Gerichtsentscheidungen bis Ende April in der Datensammlung. Sechs mal rief eine Ausländerbehörde entsprechende Informationen ab, ein Mal eine Außenstelle des BAMF. Trotz der offensichtlich geringen Nutzung hält die Bundesregierung die Regelung derzeit für „erforderlich“, schreibt sie. (…) „Sensible Asylbescheide und Gerichtsurteile haben in riesigen Datenbanken nichts zu suchen, diese Regelung gehört schlicht abgeschafft.“ (…) Für den Abruf der Dokumente gelten gleichzeitig offenbar kaum Sicherheitsvorkehrungen. „Beim Zugriff auf Dokumente im Registerportal muss die Unerlässlichkeit des Abrufs zuvor bestätigt werden“, schreibt die Bundesregierung zwar in ihrer Antwort. Aber: „Diese Abfrage erfolgt durch die technische Implementierung einer Checkbox, welche vor dem Dokumentenabruf zu bestätigen ist“, heißt es weiter. Das heißt: Ein „unerlässlicher“ Abruf wird nicht etwa geprüft. Es reicht, dort ein Häkchen zu setzen. (…) 2016 hatte die Regierung das so genannte Kerndatensystem eingeführt. Dadurch konnten wesentlich mehr Daten im AZR gespeichert werden, etwa Fingerabdrücke, Impfstatus oder der Name von mitreisenden Kindern und Angehörigen. Gleichzeitig können tausende Behörden seitdem automatisiert auf Daten zugreifen, die sie bis dahin nur auf Antrag bekommen haben. Dazu gehören neben den Asylbehörden auch Jobcenter, Arbeitsagenturen oder Jugendämter. Beitrag von Anna Biselli vom 14. Juni 2023 bei Netzpolitik.org externer Link
  • Studie & Gutachten belegen: Ausländerzentralregister verletzt Datenschutz und Grundrechte – GFF plant strategische Klagen 
    Ein Gutachten kommt zu einem vernichtenden Urteil: Das Ausländerzentralregister ist verfassungswidrig und diskriminiert Millionen Menschen. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte kündigt Klagen an. Eine derart umfangreiche Datensammlung über Deutsche wäre undenkbar, heißt es. Das deutsche Ausländerzentralregister verletzt laut einer Studie und einem Rechtsgutachten Datenschutzstandards und die Grundrechte von Millionen Betroffenen. Zu viele Behörden könnten dort auf zu viele Daten für zu unterschiedliche Zwecke zugreifen – ohne ausreichende Kontrolle, kritisierte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) als Auftraggeberin der Studie am Donnerstag in Berlin. Migranten- und Menschenrechtsorganisationen weisen schon länger auf Datenschutzmängel externer Link hin. Mit etwa 26 Millionen personenbezogenen Datensätzen externer Link sei das Ausländerzentralregister eines der umfangreichsten automatisierten Register, hieß es. Es stehe mehr als 16.000 öffentlichen Stellen zur Verfügung. Wenn Hunderttausende Mitarbeiter von Ausländerbehörden, Polizei- und Strafverfolgungsbehörden, Nachrichtendiensten, Jobcentern, Jugendämtern und Gerichten auf so viele, teils hochsensible Daten zugreifen können, sei das Missbrauchspotenzial enorm, kritisierte die GFF-Juristin und Studienautorin Sarah Lincoln. Sie warnt vor einer weiteren großen Gefahr: „Im schlimmsten Fall geraten Daten wie Adresse, sexuelle Orientierung oder politische Überzeugung in die Hände von rassistisch motivierten Straftätern oder Verfolgerstaaten und bringen Betroffene so in Lebensgefahr.“ (…) An der Studie werde zudem deutlich, dass es an effektiven Kontrollmechanismen und Transparenz fehlt. Die GFF habe 13 Betroffene dabei unterstützt, Auskunft zu den über sie im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten zu beantragen und habe festgestellt: „Das Antragsverfahren ist mühsam, die Antworten verzögerten sich monatelang und waren unvollständig“, so die Expertin…“ Meldung vom 14.01.2022 im Migazin externer Link, siehe auch:

  • Datenschützer kritisieren, das Ausländerzentralregister werde zur „Datendrehscheibe“ ohne Kontrollen 
    Persönliche Daten dürfen in Deutschland nicht an einer Stelle gespeichert werden – es sei denn, es geht um Ausländer*innen. Ein neues Gesetz will noch mehr Daten von Asylsuchenden in diesem Topf sammeln, von den Fingerabdrücken bis zum Impfstatus. Deutschlands Datenschutzbeauftragter Ulrich Kelber findet das unnötig und gefährlich. Ulrich Kelber, Deutschlands Beauftragter für den Datenschutz, ist bekannt für klare Worte. Am Montag fand er sie bei einer Anhörung im Innenausschuss, als es um das neue Projekt von Innenminister Horst Seehofer ging: den Ausbau des Ausländerzentralregisters. „Aus unserer Sicht stellt sich eine Kontrollfrage. Würde man das Gleiche auch bei Inländern anwenden? Relativ schnell kommt man zum Ergebnis: nein.“ Das Recht auf Datenschutz, sagt Kelber, gelte aber nicht nur für deutsche Staatsbürger. Es müsse auch für jene berücksichtigt werden, die als Ausländer*innen und Asylsuchende nach Deutschland kommen. Die Bundesregierung sieht das anders. Sie will das Ausländerzentralregister (AZR), eine der größten Datenbanken der deutschen Verwaltung, weiter ausbauen und den Behörden noch einfacheren Zugriff darauf gewähren. Stichwort schnellere Asylverfahren und effizientere Abschiebungen. (…) Als Problem sah Kelber auch die erweiterten Rechte für den Zugriff auf das AZR. In Zukunft sollten „mehr Daten mehr Behörden und mehr Personen“ zur Verfügung stehen. Gleichzeitig seien die Geheimdienste nicht mehr dazu verpflichtet, ihre Zugriffe auf das AZR dort zu dokumentieren. Wer wann und mit welchen Begründungen persönliche Daten aus dem AZR abgerufen hat, soll nur noch bei den einzelnen Behörden selbst protokolliert werden – der Entwurf argumentiert mit der „Geheimhaltungsbedürftigkeit“. Damit sei es für seine Behörde und andere Datenschützer so gut wie unmöglich, ihrer Aufsichtspflicht nachzukommen…“ Beitrag von Chris Köver vom 15.05.2019 bei netzpolitik externer Link
  • Datenaustausch: Überwachung von Flüchtlingen entzweit den Bundestag 
    „… Der Regierungsentwurf für ein „zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz“ stieß bei seiner 1. Lesung im Bundestag am Donnerstag auf ein sehr geteiltes Echo. Aus der Opposition warnte die Linke Ulla Jelpke, dass die Exekutive damit das Projekt „gläserner Ausländer“ vorantreibe. Der Datenschutz für Menschen in diesem Land ohne deutschen Pass werde verschlechtert. (…) Schon 6-Jährige sollten künftig als mutmaßliche Verbrecher behandelt, hielt die Linke Jelpke dagegen. Ganze Verwaltungseinheiten bekämen die Befugnis, auf das AZR ohne genaue Protokollierung zuzugreifen, was ein großes Missbrauchsrisiko berge. Das AZR müsse endlich von Karteileichen bereinigt werden. Das Register sei eher von Chaos als von validen Daten geprägt, konstatierte auch die Grüne Luise Amtsberg. Viele vermeintlich Ausreisepflichtige lebten gar nicht mehr in Deutschland, seien schon gestorben oder hätten noch Asylanträge laufen. Ferner würden selbst Wohlfahrtsverbände zur Datenspeicherung verpflichtet, was eine Beratung in einem geschützten Raum unmöglich mache. Erkennungsdienstlichen Behandlungen traumatisieren geflüchtete Kinder ferner noch weiter. Das Netzwerk Datenschutzexpertise hat die Abgeordneten aufgefordert, den Entwurf grundlegend zu überarbeiten und einen „kollektiven Rechtsschutz“ für Asylbewerber zu etablieren. Die Gesamtkonzeption sei „verfassungs- und europarechtwidrig“, weil über die Betroffenen ein „undurchdringbares und allgegenwärtiges Überwachungsnetz geworfen wird“. Garantien und Schutzvorkehrungen würden ihnen dagegen nicht zugestanden. Das Zentralregister dürfe nicht als „Datendrehscheibe zwischen den beteiligten Stellen“ genutzt werden.“ Bericht von Stefan Krempl vom 4. April 2019 bei heise online externer Link
  • Ausländerzentralregister: Bürokratiemonster außer Kontrolle 
    „… Bei Ausländern will es der deutsche Staat ganz genau wissen. Könnte ja sein, dass etwas mit denen nicht stimmt. Im sogenannten Ausländerzentralregister werden haufenweise Daten über Nichtdeutsche gesammelt: wo sie wohnen, mit wem sie verheiratet sind, was der Arzt sagt. Insgesamt über 10,6 Millionen Menschen sind dort erfasst, mit über 26 Millionen „personenbezogenen Datensätzen“. Es handelt sich um eine der größten Datensammlungen in Deutschland. Wo kämen wir auch hin, wenn sich Ausländer ohne staatliche Registrierung frei im Land bewegen würden? Nicht auszudenken. Dazu ein bisschen Heimatkunde: Das Ausländerzentralregister – im Amtsdeutsch AZR genannt – wurde 1953 eingerichtet. Die Idee war nicht neu: 1938 hatten die Nationalsozialisten eine „Ausländerzentralkartei“ eingeführt. Nur wenige Jahre nach dem NS-Regime kam die Ausländererfassung wieder. Erst in Form von Karteikarten, ab 1967 automatisiert. Eigentlich ist es bei uns so: Wir haben während des Nationalsozialismus wirklich keine guten Erfahrungen mit der zentralen Erfassung von Menschen – besonders von Minderheiten – gemacht. Als Lehre daraus wurden in der Bundesrepublik Geheimdienste und Polizei informationell voneinander getrennt und föderal strukturiert. Davon ausgeschlossen sind nur – ausgerechnet – Ausländer. (…) Das AZR dient laut Bundesverwaltungsamt 14.000 Behörden und Organisationen mit über 100.000 Nutzern, darunter auch die Geheimdienste. (…) Das Register soll nicht nur zur Beruhigung von Migrationsskeptikern und Staatskontrolle-Fans dienen, es ist vor allem die zentrale Zahlenquelle für Aufenthaltsberechtigungen oder Ausreisepflicht, Asyldaten und vieles mehr. Allerdings ist genau diese Informationsquelle äußerst fehlerhaft. Die Zahlen stimmen hinten und vorne nicht…“ Kolumne von Ferda Ataman vom 23. März 2019 beim Spiegel online externer Link
  • Bundesrat ignoriert Zweifel am Ausländerzentralregister 
    Die Datensammlung im Ausländerzentralregister soll noch größer werden. Der Bundesrat beschloss heute seine Stellungnahme zum Gesetzentwurf von Seehofers Innenministerium. Die zuständigen Ausschüsse bezweifeln die Rechtmäßigkeit des Datenpools, eine Mehrheit für Verbesserungsvorschläge bekamen sie trotzdem nicht. Das Innenministerium will schon 6-jährigen geflüchteten Kindern externer Link Fingerabdrücke abnehmen und das Ausländerzentralregister (AZR) zu einem noch größeren Datenpool machen. Dabei ist das AZR schon heute eine der größten Datensammlungen externer Link in Deutschland. Es enthält Daten über Ausländer:innen, dabei sind Informationen zu Geflüchteten besonders umfangreich, inklusive Gesundheitsinformationen und biometrischen Daten. Die Ausweitung soll das zweite Datenaustauschverbesserungsgesetz ermöglichen, das heute im Bundesrat besprochen externer Link wurde. Organisationen wie der „Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ haben den Entwurf mit deutlichen Worten kritisiert, er widerspreche externer Link etwa den „grundlegenden Prinzipien des Minderjährigenschutzes“, der ehemalige schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert schrieb in seiner Stellungnahme, das AZR werde immer weiter ausgebaut, was eine „Totalkontrolle der Erfassten ermöglicht“. Ähnliche, wenn auch formeller formulierte Kritik haben auch die zuständigen Ausschüsse im Bundesrat. Sie haben Empfehlungen für eine Stellungnahme externer Link des Ländergremiums erarbeitet und forderten an vielen Stellen Nachbesserungen. Doch das Plenum des Bundestages lehnte die Empfehlungen zur Verbesserung und Prüfung der Datenschutzprobleme ab…“ Artikel von Anna Biselli vom 15.03.2019 bei Netzpolitik externer Link
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