Kein Faschingsscherz? Auszahlung von Arbeitslosengeld und Hartz IV künftig auch an der Supermarkt-Kasse?

Dossier

Die 1.000 Augen der Jobcenter - Veranstaltungsreihe in Berlin, März 2016Die Tagesschau meldete am 11.11.2017, pünktlich zum Beginn des Karnevals: „Im Supermarkt Geld bekommen – und nicht zahlen. Das wird für Arbeitslose ohne Konto bald möglich sein. Denn die Bundesagentur für Arbeit ändert ihr Auszahlungsverfahren… Empfänger von Leistungen wie dem Arbeitslosengeld können sich Bargeld künftig in besonders dringenden Fällen an Supermarktkassen auszahlen lassen. (…) Kann diese Meldung ernst gemeint sein und auf Tatsachen beruhen? Wie soll bei diesem Verfahren der Sozialdatenschutz gewährleistet werden? Denn zum Sozialdatenschutz zählt doch wohl auch die Tatsache, dass sich niemand an der Ladenkasse als erwerbs- oder gar mittellos bzw. als EmpfängerIn staatlicher Unterstützung outen muss. Dies dürfte bei dem von der Tagesschau berichteten Verfahren nicht möglich sein. Darf der Sozialdatenschutz mit Kostenersparnis aufgerechnet werden? Diese Fragen stellte sich ein Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main. Es hat deshalb auf der Basis des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) eine Anfrage an die Bundesagentur für Arbeit gerichtet. Sie wird hier auszugsweise veröffentlicht (…) Auf die Antwort darf man gespannt sein…Mitteilung vom 12. November 2017 von und bei die Datenschützer Rhein Main externer Link, siehe dazu auch:

  • Einführung des neuen Barzahlungssystems Barcode ab 2. Januarwoche 2019 New
    Ab der 2. KW 2019 beginnt die BA mit dem neuen Barzahlungsverfahren Barcode, damit können im SGB II und SGB III Geldleistungen in bar und sofort  ausgezahlt und Härtefälle unmittelbar gelöst werden. Aktuell ist die Einlösung bundesweit an ca. 8.500 Akzeptanzstellen bei den nachfolgenden Einzelhändlern möglich: Rewe Gruppe, real- SB – Warenhaus, dm-drogerie markt, Dirk Rossmann, Penny Markt und die Unternehmensgruppe Dr. Eckert. Im SGB II „ist vorläufig zu entscheiden“ (heißt Leistungen zu erbringen) wenn die Vorrausetzungen für den Anspruch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorliegen“ (§ 41a Abs. 1 Satz. 1 Nr. 1 SGB II). Das bedeutet, einer mittellosen Person bei der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Hilfebedürftigkeit vorliegt, sind bei akuter Mittellosigkeit sofort Leistungen zu erbringen. Beim SGB III gilt das allgemeine Vorschussrecht, nach dem „Vorschüsse  … zu zahlen [sind], wenn der Berechtigte es beantragt. Die Vorschusszahlung beginnt spätestens nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des [gesonderten] Antrags“ (§ 42 Abs. 1 S. 2 SGB I). Beide Anspruchsgrundlagen können in Akutfällen zum Anspruch auf Vorschuss und damit zur sofortigen Auszahlung führen.“ Aus dem Thomé Newsletter vom 26.11.2018 externer Link, siehe auch die Weisung dazu externer Link
  • Vorschuss aus dem Supermarkt – Bundesagentur für Arbeit stellt Barauszahlung für Notsituationen um 
    Die meisten erwerbslosen Menschen möchten erst gar nicht in die Situation kommen, dass ihr Arbeitslosengeld künftig an der Supermarktkasse ausgezahlt wird. Selbst wenn auf dem Gutschein oder Kassenbon nur ein Scancode aufgedruckt ist und er keinen Stempel hat, bekommt doch jeder mit, was da in der Schlange an der Kasse vor sich geht. Das Ganze wird ab Ende Mai in einzelnen ausgesuchten Städten stattfinden und später dann wohl im ganzen Bundesgebiet: Die Bundesagentur für Arbeit will ihre Kassenautomaten abschaffen und die Barauszahlung in Notsituationen in Supermärkten vornehmen. (…) Zur Erprobung des neuen Barzahlungsverfahrens werden ab dem 28.05.2018 Pilotprojekte in ganz Deutschland, SGB II-/SGB III-übergreifend gestartet. Die Pilotprojekte sind vorgesehen in: Jobcenter Neuwied, Jobcenter Oberhausen, Jobcenter Dortmund, Jobcenter Salzgitter, Jobcenter Wolfsburg, Jobcenter Börde, Arbeitsagentur Dortmund, Arbeitsagentur Schwandorf und Arbeitsagentur München. Zum Jahresende 2018 könnte dann die bundesweite Einführung erfolgen. (…) Im Sozialgesetzbuch (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) ist festgelegt, dass die Sozialleistungsträger „verpflichtet sind, die für die Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen Sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen“. Dagegen verstößt die Auszahlung von Sozialleistungen durch Supermärkte eindeutig, auch weil hoheitliche Aufgaben über nicht befugte Dritte abgewickelt werden. Hinzu kommen große Datenschutzbedenken. Auch gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum hier nicht die Jobcenter und Arbeitsagenturen weiter in der Pflicht stehen müssen, ihre Infrastruktur auf- und auszubauen und aufrecht zu erhalten.“ Beitrag vom 19. Mai 2018 beim Gewerkschaftsforum Dortmund externer Link
  • Die BA startet erste Pilotprojekte zur Barauszahlung in Supermärkten 
    Zur „Erprobung des neuen Barzahlungsverfahrens finden vom 28.05. bis 31.08.18 in Pilotprojekten in ganz Deutschland und SGB II-/SGB III-übergreifend statt. Die Pilotprojekte sind vorgesehen in: Jobcenter Neuwied + Jobcenter Oberhausen + Jobcenter Dortmund + Jobcenter Salzgitter + Jobcenter Wolfsburg + Jobcenter Börde + Arbeitsagentur Dortmund + Arbeitsagentur Schwandorf  und Arbeitsagentur München Erstaunlicherweise will die Bundesagentur für Arbeit diese Barauszahlung in Supermärkten auch für das Rechtssystem des SGB III durchführen. Bisher wurden im SGB III Vorschüsse immer abgelehnt und die Antragsteller*innen wurden konsequent auf die Jobcenter verwiesen…“ Hinweis im Newsletter 16/2018 Nr. 5 von Harald Thomé vom 29. April 2018 bei Tacheles e.V externer Link
  • [Kleine Anfrage der Linksfraktion zur] Bargeldauszahlung an SGB-II- und SGB-III-Leistungsberechtigte an Supermarktkassen
    Der entscheidende Punkt in der Antwort der Bundesregierung ist, dass dieses fragwürdige Verfahren beibehalten werden soll: „… Die BA beabsichtigt auch zu künftig, zwei voneinander unabhängige Formen der Barzahlung zur Behebung von Notsituationen (per ZzV-Bar und über CPS) zur Verfügung zu stellen, die wie bisher über das Service Portfolio der BA von den gemeinsamen Einrichtungen eingekauft werden können. Im Jahr 2016 wurden ca. 345 000 Kassenkarten für die Geldausgabeautomaten ausgestellt. Die Anzahl ausgestellter ZzV-Bar belief sich im Jahr 2016 auf ca. 80 000.“ Link zur Anfrage und Antwort der Bundesregierung vom 23. Januar 2018 beim DIP des Deutschen Bundestags externer Link
  • Auszahlung von Arbeitslosengeld und Hartz IV künftig auch an der Supermarkt-Kasse – oder: Falschspiel der Bundesagentur für Arbeit im Bezug auf Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG)
    „… Wie soll bei diesem Verfahren der Sozialdatenschutz gewährleistet werden? Darf der Sozialdatenschutz mit Kostenersparnis aufgerechnet werden? Diese Fragen stellte sich ein Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main. Es stellte deshalb auf der Basis des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes (IFG) eine Anfrage an die Bundesagentur für Arbeit (BA). Die Antwort der BA ging am 28.11.2017 beim anfragenden Bürger ein. Sie enthält viel Text, aber keine näheren Auskünfte zur Sache. Wg. zwei Punkten in der Antwort der BA wandte sich der anfragende Bürger Ende November an die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) (…) Am 05.12.2017 ging die Antwort der BfDI ein. Und oh Wunder – die BA wurde erwischt. Ihre Auskünfte sind lt. Stellungnahme der BfDI unrichtig bzw. rechtlich zweifelhaft…“ Beitrag vom 5. Dezember 2017 von und bei dieDatenschützer Rhein Main externer Link
  • Supermärkte sollen SGB II/SGB III – Leistungen auszahlen
    Durch die Medien geisterte am 12.11.17 die Meldung, dass die BA plant in besonders dringenden Fällen im SGB II/SGB III-Leistungen an Supermarktkassen auszahlen lassen, diese Überlegung basiert aus der Überlegung der Kosteneinsparung.
    Grundsätzlich ist der Gedanke der da hinter steht nicht falsch, denn Sozialleistungsträger sind nach § 42 Abs. 1 SGB I verpflichtet Vorschüsse zu zahlen, bei einem gesonderten Antrag spätestens nach einem Monat, was bei pflichtgemäßer Ermessensausübung nach S. 2 dieser Norm auch eine sofortige Auszahlung  bedeutet. Im SGB II und im SGB III gibt es zunächst einen Geldleistungsanspruch, also die Pflicht die Leistungen in Geld auszahlen zu müssen. Die Pflicht kann nur in bestimmten Fällen im SGB II eingeschränkt werden, so behördlicher Erfahrung mit nicht geeigneten Umgang mit Geld (§ 24 Abs. 1 SGB II), bei nicht Ansparen aus „üppiger“ Regelleistung und einem unabweisbarem Bedarf (§ 24 Abs. 1 SGB II) und Sachleistungen bei Sanktionen (§ 31b Abs. 3 SGB II) zur (derzeit) verfassungskonformen Abfederung der Sanktionen.  Nur in diesen drei SGB II-Fällen darf die BA/JC’s vom Barleistungsprinzip abweichen.
    Akutfälle, die einen sozialrechtlichen Vorschussanspruch auslösen, sind im Regelfall nicht von diesen drei Punkten gedeckt.
    Das SGB I bestimmt, dass die Sozialleistungsträger „verpflichtet sind, die für die Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen Sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung zu stellen“ (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I).
    Mit der Auszahlung von Sozialleistungen über Supermärkte würden hoheitliche Aufgaben über nicht befugte Dritte abgewickelt. Dazu gibt es mA. nach keine gesetzliche Grundlage. Die Auszahlung über Supermärkte bedeutet gleichzeitig eine Sozialdatenoffenbarung, da es in den Supermärkten sonst nur möglich ist vom eigenen Konto abzuheben und so für den Kassierer*in und Kunden in der Schlange sofort ersichtlich ist, dass Abheber*innen  wohl in Not geratene SGB II’er sein müssen.
    Bisher war es möglich z.T. Gelder im JC bar auszuzahlen, über Kassenautomaten,  über Stadt- oder Kreiskassen oder Stadtsparkassen, es gibt keinen nachvollziehbaren Grund warum hier nicht die JC’s und Arbeitsagenturen weiter in der Pflicht stehen, ihre Infrastruktur aufzubauen und aufrecht zu erhalten.
    Zusammengefasst: es besteht die rechtliche Verpflichtung über Eigenauszahlung, es gibt Zweifel an der rechtlichen Grundlage der Delegierung  hoheitlicher Aufgaben an private Dritte und es bestehen Datenschutzbedenken.“ Kommentar von Harald Thomé aus seinem Newsletter vom 12.11.2017 externer Link
  • Da müssen die doch sowieso hin: Barauszahlung von Sozialleistungen an der Supermarktkasse
    „… Es geht für denjenigen, der das Geld auszahlen muss, darum, Kosten zu sparen, die damit verbunden sind. Und für die anderen geht es um Geschäfte. Den Dritten auf diesem Spielfeld, also die betroffenen Leistungsempfänger, hat mal wieder niemand gefragt. (…) Und man achte auf die Formulierung: »Damit Arbeitslose bei den Händlern Geld bekommen, müssen sie einen Zettel mit einem Barcode vorlegen, den sie sich im Jobcenter oder der Arbeitsagentur abholen können.« Für die Betroffenen stellt sich das unterm Strich als eine Verschlechterung dar in vielen Fällen, denn bislang war es so, dass man direkt nach der Vorschuss-Bewilligung vor Ort sein Geld ausgehändigt bekam. Das mag mit Aufwand verbunden sein für die Agenturen und Jobcenter, man könnte aber auch argumentieren, dass das ihre ureigene Aufgabe ist in diesem Fall, denn wir sprechen hier nicht über die Auszahlung von Lotterie-Gewinnen, sondern über eine hoheitliche Aufgabe im Bereich der Sozialleistungen. Und die haben die Sozialleistungsträger zu erfüllen. Wollen sie aber aus Kostengründen nicht mehr, sondern nach der Logik des Outsourcing soll das übergeben werden an private Dienstleister. Die übrigens und verständlicherweise dafür bezahlt werden wollen. Was der Deal mit  Cash Payment Solutions kosten wird, die das natürlich nicht für Gottes Lohn machen werden, wollte der BA-Sprecher nicht beziffern.“ Kommentar von und bei Stefan Sell vom 13. November 2017 externer Link
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