Ein Regierungsprogramm gegen Rechts: Oder ein rechtes Regierungsprogramm?

Kasperle-Theater zur "Sicherheit". Grafik von Jascha Buder zur Kampagne von Digitalcourage

Kasperle-Theater zur „Sicherheit“. Grafik von Jascha Buder zur Kampagne von Digitalcourage

Strafbare Inhalte ans BKA melden, das Waffenrecht verschärfen, Beleidigung im Netz härter bestrafen. Mit einem Neun-Punkte-Plan will die Bundesregierung Rechtsextremismus besser bekämpfen. (…) Der oberste Punkt ist eine Meldepflicht für Diensteanbieter im Internet. Sie sollen strafbare Inhalte mitsamt der IP-Adresse des Urhebers an eine noch einzurichtende Zentralstelle im Bundeskriminalamt weiterleiten. Dahinter steckt eine Ausweitung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes. Bisher müssen nach dem NetzDG derlei Inhalte wie Volksverhetzung oder Drohungen gelöscht werden, eine verpflichtende Verfolgung der Taten war nicht vorgesehen. Es betrifft bisher auch nur Plattformen, die in Deutschland mehr als zwei Millionen registrierte Nutzer haben, darunter fallen etwa Twitter, Facebook oder YouTube. Ob das reicht oder ausgeweitet werden soll, will die Regierung prüfen. (…) Hetzposts, Aufrufe zu Straftaten und Beleidigungen im Internet sollen außerdem härter bestraft werden: „Den Tatbestand der Beleidigung werden wir an die Besonderheiten des Netzes anpassen. Dabei berücksichtigen wir insbesondere dessen unbegrenzte Reichweite und die aufgrund vermeintlicher Anonymität oft sehr aggressive Begehungsweise“, heißt es im Maßnahmenpaket...“ – aus dem Beitrag „Neun Punkte gegen Rechtsextremismus“ von Ana Biselli am 30. Oktober 2019 bei netzpolitik.org externer Link – woraus schon deutlich wird, dass der „Aktionsplan“ der Regierung nicht nur ausschließlich aus Repressionsmaßnahmen besteht und etwa politische Auseinandersetzung konsequent vermeidet, sondern auch, wie – einmal mehr – dieser Katalog so angelegt ist, dass er, zunächst einmal, zu mindestens „nach allen Seiten“ wirksam werden kann. Zu den tradierten Vorgehensweisen und Verhaltensweisen gegenüber Rechtsradikalen und rechtsradikalem Gedankengut in der BRD siehe in der kleinen Materialsammlung weitere Beiträge, worin auch deutlich wird, dass bei einer wirklichen Auseinandersetzung mit Vorstellungen, die „Sache“ gefährlich nahe an die Regierung selbst heran rücken würde…

  • „Nie entnazifiziert: Warum der deutsche Staat nicht gegen Nazis taugt“ von Peter Schaber am 28. Oktober 2019 im Lower Class Magazine externer Link zu den Grundtatsachen des Nachfolgestaates: „… Die Wiederverwendung von Nazis im neu entstehenden westdeutschen Staat betraf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens: Das Großkapital und die Kriegsprofiteure blieben unangetastet, Justiz, Schulwesen, Politik, Geheimdienste und Armee waren voll von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern. Eine wirkliche Entnazifizierung hat zumindest in Westdeutschland nie stattgefunden. Dieses Erbe ist es, das die Gefahr einer Faschisierung der Bundesrepublik befördert. Die politische Kultur, die in diesen Institutionen produziert wurde, war stets eine, die den Hauptfeind links sah. Und die nach ganz weit rechts mehr als nur offen war. Wen wundert es da, dass zahlreiche Offiziere und Polizisten bereits heute stramm hinter der AfD oder anderen faschistischen Parteien stehen? Vom Rechtsterrorismus der mit Uniter verbandelten „Nordkreuz“-Gruppe führen Spuren direkt in den AfD-Parlamentarismus. Björn Höckes Theorie des „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“, gegen den nur ein „Aderlass“ durch einen „Zuchtmeister“ helfe, schließt den Kreis zu völkischen Terroristen auf der einen und den sich bürgerlich gebenden Identitären auf der anderen Seite. Anschlussfähig ist sie bis in „wertkonservative“ Kreise der CDU und CSU. Die AfD ist der politische Arm eines Rechtsterrorismus, der zum Teil aus nichtstaatlichen, zum Teil aus tief im Staatsapparat verankerten Kräften entspringt.  Man kann sich fragen: Was braucht man für eine faschistische Machtübernahme? Einen politischen Arm, der einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung hat; einen Teil des Staatsapparats, insbesondere seiner bewaffneten Teile; und die Förderung eines Teils der herrschenden Klasse. Wie dieser Faschisierungsprozess in Deutschland aussehen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Aber dass er in vollem Gange ist, wird man nicht mehr leugnen können. Polizeiaufgabengesetze, die Inhaftierung ohne Straftaten ermöglichen, ein immer brutaleres Vorgehen gegen Migrant*innen samt deutsch-finanzierten Folterlagern in Libyen, das Zunehmende Drängen auf offenere militärische Interventionen im Ausland wird schon durch die „Mitte“ durchgesetzt (…)Noch gibt es eine Mehrheit der Bevölkerung, die diesen Weg nicht gehen will. Aber in dieser Mehrheit herrschen Illusionen darüber vor, dass es dieser Staat am Ende schon richten wird. Nach allem, was wir von der Geschichte der Bundesrepublik aber wissen, wird er das nicht tun“.
  • „Wie umgehen mit den rechten Gefährdern?“ von Dominik Rigoll am 23. Oktober 2019 bei Zeitgeschichte Online externer Link ist ein Beitrag über „Antinazistische Sicherheitspolitik in Westdeutschland, 1945-1960“ – in dem unter vielem anderen hervor gehoben wird: „… Ein Grund, warum all dies noch so wenig erforscht ist, liegt wohl dem Umstand zugrunde, dass es zwar viele alliierte, aber nur wenige westdeutsche Quellen gibt, in denen die Arrest- und Säuberungspolitik des Jahres 1945 als Sicherheitsmaßnahme bezeichnet wird. Im westdeutschen Diskurs der 1945er Jahre wurde das Problem des politischen Umgangs mit Nazismus und Militarismus in der Regel nicht als Sicherheitsproblem „geframed“. Öffentlich gedeutet wurde es allenfalls als moralisches Problem, das die Betreffenden mit sich selbst ausmachen sollten; als strafrechtliches Problem, für das gegebenenfalls die Gerichte zuständig waren; nicht zuletzt als zeithistorisches Problem, das schon 1945 weit in der Vergangenheit lag und deshalb eine Sache für Historiker*innen war. Galt starke NS-Belastung in den Besatzungshandbüchern der Alliierten als Indiz für die Unzuverlässigkeit oder sogar Gefährlichkeit einer Person oder Personengruppe, wurde NS-Belastung im westdeutschen Diskurs allenfalls als moralisches Handicap dargestellt. Aus einem Problem der inneren Sicherheit, für dessen Lösung eben noch die alliierten Militärs und Geheimdienste zuständig gewesen waren, wurde so ein Problem der „Vergangenheitsbewältigung“ und des „inneren Friedens“ – heute würde man Problem des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“ sagen.  Probleme des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“ werden anders als Sicherheitsprobleme nicht durch Exklusion, sondern durch Inklusion gelöst; nicht durch Repression der Gefährder, sondern durch ihre soziale und emotionale Integration in das Gemeinwesens; nicht mit der Peitsche der Sicherheitspolitik, sondern mit dem Zuckerbrot der sozialen Absicherung. In der Forschung heißt es oft, über diesen Schwenk von der Exklusion zur Inklusion der rechten Gefährder habe Einigkeit bestanden. Schaut man jedoch genauer hin, lassen sich auf westdeutscher Seite zwei Typen antinazistischer Sicherheitspolitik identifizieren. Sie wurden zeitgenössisch als Staatsschutz und als Demokratieschutz bezeichnet (…) Die Sicherheitspolitik, die stattdessen im Bund und in den meisten Ländern dominierte, wurde von denen, die sie propagierten, „Staatsschutz“ genannt. Der Begriff bezeichnete also nicht wie heute nur die Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität, sondern den gesamten Bereich dessen, was heute „innere Sicherheit“ genannt wird. Für eine Sicherheitspolitik des Staatsschutzes setzten sich bis in die 1960er Jahre hinein CDU/CSU, FDP, die nationalkonservative Deutsche Partei, aber auch Konservative auf alliierter Seite ein. Im Staatsschutz blieb die antinazistische Sicherheitspolitik auf kleine, offen nazistisch auftretende Gruppen wie die Sozialistische Reichspartei beschränkt. Die Existenz anderer Gefahren von rechts – namentlich nationalkonservative SPD-Aversionen oder die Gefährdung durch die Rückkehr der NS-Funktionseliten in die Verwaltung und durch die Wehrmachtoffiziere in die Bundeswehr, wurde hingegen konsequent geleugnet. Mehr noch: Die Führungen der CSU/CSU, FDP und DP deuteten diese Entwicklungen nicht etwa als potentiell gefährlich für den Bestand der Demokratie, wie dies linke Sozialdemokrat*innen und Liberale taten, sondern im Gegenteil als notwendige Maßnahmen zum Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ vor dem Kommunismus...“
  • „Angriff auf Merkel: Wo Merz recht hat“ von Stephan Hebel am 30. Oktober 2019 in der FR online externer Link zur aktuell am deutlichsten sichtbaren rechten Strömung in den Regierungsparteien und der „Entgrenzung“ zwischen rechts und rechtsradikal: „… Das Label könnte einem egal sein, trüge der Blick auf Merkels Handeln nicht zum Verständnis der jetzt wieder aufflammenden Debatte bei. Was Friedrich Merz und seine Fans wollen, ist eine Radikalisierung der neoliberalen Politik, die auch die Kanzlerin im Kern betreibt. Eine Wende weg vom Neoliberalismus wollen sie ganz sicher nicht. Hinzu kommt bei ihnen der Wunsch nach einer Reprofilierung auf dem Feld konservativer Identitätspolitik: Heimat, Nation, ein von Klimaschützern, Migranten und Schwulenaktivisten möglichst ungestörtes Leben in vermeintlicher „Normalität“. So zeichnen sie das Gegenbild zu den Zumutungen der Globalisierung – und bieten „Heimat“ als Ersatz für soziale Sicherungen an, die ein Friedrich Merz sicher gern zur Disposition stellen würde. Man kann also – statt so zu tun, als reiche das politische Spektrum nur von Merkel bis Merz – vom Kampf zweier Versionen neoliberaler Politik sprechen. Für den demokratischen Diskurs ist diese Konstellation schon fast tragisch: Deutschland wäre wirklich arm dran, wenn es nur die Alternative hätte zwischen dem sanfteren Neoliberalismus der Angela Merkel (dem sich SPD und Grüne mehr oder weniger vollständig anzuschließen hätten) und der am rechten Rand angeschärften Variante, mit der das Merz-Lager der AfD das Wasser abzugraben hofft. Gefährlich ist das deshalb, weil der Blick für die eigentliche Gefahr verloren zu gehen droht. Ist es nicht so, dass das weitgehende Unkenntlichwerden der SPD in der großen Koalition und der Mitte-Drang der Grünen die breite Debatte über das ganze Spektrum möglicher Alternativen – auch solcher von links – fast zum Erliegen gebracht haben? Ist es nicht diese Einförmigkeit der „Mitte“, die es der AfD so leicht macht, sich als einzige Alternative zu verkaufen?...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=156665
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