Nicht nur ausländische JournalistInnen in der BRD stehen unter Geheimdienst-Beobachtung

Dossier

Geheimdienste vor Gericht: kriminelle V-Leute, illegale Abhörpraktiken, machtlose Kontrolle - was muss sich ändern? Tribunal am 22.10.2016 in BerlinDas Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde von Reporter ohne Grenzen gegen die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes nicht zur Entscheidung angenommen. ROG warf dem Geheimdienst vor, er habe im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnern, Journalisten und anderen Personen ausgespäht. Ein anderer Teil der ursprünglichen Klage ist weiterhin beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Er richtet sich gegen das Metadaten-Analysesystem „VerAS“, mit dem der BND seit dem Jahr 2002 ohne gesetzliche Grundlage Verbindungsdaten über Telefongespräche mit Auslandsbezug sammelt. „Nun werden wir uns umso mehr auf die weiter anhängige Klage gegen die unverhältnismäßige und widerrechtliche BND-Metadatensammlung konzentrieren“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Schon jetzt hat dieses Verfahren gezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht erhebliche Zweifel an der bisherigen BND-Praxis hat – und dass bisher nur die Spitze des Eisbergs sichtbar ist.“…“ Pressemitteilung von und bei „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) vom 21.07.2017 externer Link mit umfangreichen Hintergründen und neu dazu:

  • Dienste beobachten Journalist*innen: Kein Einzelfall New
    „Tim Mönch ist professioneller Fotojournalist. (…) Am 14. Dezember 2019 tut Tim Mönch das, was Fotojournalisten tun. Mönch, dessen Fotos bereits in der taz, im Spiegel und beim ARD-Magazin „Monitor“ gezeigt wurden, fotografiert einen rechten „Zeitzeugenvortrag“ im sächsischen Leubsdorf. Das Foto des anwesenden Chemnitzer Stadtrats Robert Andres (ProChemnitz) veröffentlicht er auf seinem Twitter-Profil. Andres ist als Stadtrat eine Person des öffentlichen Lebens. Eine Veröffentlichung also rechtlich zulässig. Geregelt wird dies in Paragraf 23 des Kunsturhebergesetzes. (…) Trotzdem speichert der sächsische Verfassungsschutz diese journalistische Tätigkeit in seinen Akten, welche der taz vorliegen. Dort steht auch, dass Mönch einige Jahre zuvor linke Demos besucht habe. Das Speichern der Daten von Berufsgeheimnisträgern ist rechtlich nicht zulässig, zudem genießen Journalist*innen auch durch die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit besonderen Schutz. (…) Dass Mönch jedoch in Leubsdorf als Journalist tätig war, will die Behörde nicht anerkennen. Grund für die Speicherung soll vielmehr sein, dass Mönch in den Jahren 2015 und 2016 an einer Demonstration teilgenommen habe, die „jeweils einen linksextremistischen Charakter aufwiesen“, wie es in der Antwort des sächsischen Verfassungsschutzes an Mönchs Anwältin heißt. Mithin verstoße die Datenspeicherung auch nicht gegen geltendes Recht, da Mönch auch beim Fotografieren der Teilnehmer*innen des „Zeitzeugenvortrages“ als Linksextremist gehandelt habe. (…) Dabei ist der Fall Mönch kein Einzelfall. „Immer wieder geraten Journalist*innen auf fragwürdiger rechtlicher Grundlagen ins Visier des Verfassungsschutzes und anderer Sicherheitsbehörden“, so Monique Hofmann, Vertreterin der Deutschen Journalisten Union (DJU), gegenüber taz. Zuletzt geriet die Fotojournalistin Marily Stroux ins Visier des Verfassungsschutzes. Auch ihre Daten musste der Hamburger Verfassungsschutz schließlich löschen. (…) Der Verfassungsschutzämter soll allerdings künftig noch viel weitreichendere Kompetenzen erhalten. Nach der im Juni vom Bundestag beschlossenen Verfassungsschutzrechts-Novelle sollen demnach auch Journalist*innen überwacht werden dürfen…“ Artikel von Jessica Ramczik vom 30. Juli 2021 in der taz online externer Link
  • Reporter ohne Grenzen: Massenüberwachung des BND muss vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 
    „… Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Beschwerde von Reporter ohne Grenzen (RSF) gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) angenommen. Die Beschwerdeführer werfen dem deutschen Auslandsgeheimdienst BND vor, Korrespondenzen zwischen RSF-Mitarbeiter:innen in Deutschland und Journalist:innen und Aktivist:innen im Ausland überwacht zu haben. Damit habe der BND gegen den Schutz der Privatsphäre und der Freiheit der Meinungsäußerung verstoßen, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Der BND sammelt im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung an zentralen Internet-Knotenpunkten Hunderte Millionen von E-Mails, wie im Zuge der Enthüllungen von Edward Snowden und dem darauffolgenden NSA-BND-Untersuchungsausschuss bekannt wurde. Mittels Suchbegriffen und anderen Kriterien werden diese Korrespondenzen gefiltert, aber es sollen nur „nachrichtendienstlich relevante“ Informationen gespeichert werden – deutsche Bürger:innen dürfen vom BND nicht ohne spezielle Genehmigung überwacht werden. Dass die Filter bei der Massenüberwachung tatsächlich wie gewollt funktionieren, zweifeln Expert:innen aber schon lange an. Weil Reporter ohne Grenzen Partner:innen in Krisengebieten oder autoritären Regimes hat, geht die Organisation davon aus, dass auch sie unrechtmäßig Ziel der Überwachung wurde. (…) Dass die Beschwerde von RSF nun vom Gerichtshof in Straßburg akzeptiert wurde, ist umso bemerkenswerter, da ähnliche Klagen in Deutschland bereits 2013 vom Bundesverwaltungsgericht und 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurden. Damals lautete die Begründung, die Kläger könnten die strategische Massenüberwachung durch den BND nicht sicher nachweisen – die Beweislast läge bei RSF. Da die Praktiken des Geheimdienstes aber so gut wie nie einsehbar sind, ist es in der Schlussfolgerung praktisch unmöglich, vom BND Rechenschaft zu verlangen…“ Beitrag von Serafin Dinges vom 11. Januar 2021 bei Netzpolitik externer Link, siehe auch:

    • EGMR lässt Beschwerde gegen BND zu
      Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat eine Beschwerde von Reporter ohne Grenzen gegen die anlasslose Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes zur Entscheidung angenommen. Das teilte das Gericht in Straßburg am Montag (11.1.) mit. Reporter ohne Grenzen wirft dem deutschen Auslandsgeheimdienst vor, er habe mit seiner strategischen Fernmeldeüberwachung den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnerinnen, Journalisten und anderen Personen ausgespäht und damit die Menschenrechte der Beteiligten verletzt. Nach der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde im vergangenen Jahr ist dies ein Etappensieg für RSF in einem weiteren hochrangigen Verfahren gegen die anlasslose Massenüberwachung des BND…“ RoG-Pressemitteilung vom 11.01.2021 externer Link und ebd: Fragen und Antworten zur EGMR-Beschwerde externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=119221
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