Gedankenleser haben Latife Cenan-Adigüzel als Terroristin verurteilt: Wegen „innerer Übereinstimmung“

latifeWäre es nicht so übel, wäre es ein Witz: Wenn gegen jemand keine Beweise vorliegen – und die Angeklagte demzufolge in einem Rechtsstaat frei gesprochen werden müsste – dann kennt die bundesdeutsche Justiz ihre Gedanken (die zu Beginn der bürgerlichen Herrschaft noch als frei bezeichnet wurden). In dem Beitrag „Kurdische Aktivistin kriminalisiert“ von Gitta Düperthal am 09. Juli 2018 in der jungen welt externer Link wird unter anderem zusammen gefasst: „Seit dem 21. Juni muss Latife Cenan-Adigüzel im Frauenhaus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Willich II eine Haftstrafe von drei Jahren und drei Monaten absitzen. Dabei seien der Antifaschistin vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf keinerlei strafbare Handlungen nachzuweisen gewesen, betonten ihre Anwälte Yener Sözen und Roland Meister am Freitag gegenüber jW. Das gegen die kurdische Aktivistin vor einem Jahr gefällte Urteil sei ein »besonders drastisches Beispiel für die neuerliche Verschärfung der Anwendung der sogenannten Antiterrorparagraphen 129 a und b des Strafgesetzbuchs«, sagte Meister (siehe jW vom Wochenende). Sözen warnte, künftig könne jeder von dieser Art der Verfolgung betroffen sein, wenn sich die Vorgehensweise des Staatsschutzsenats am OLG durchsetze und der Vorwurf der »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« derart ausgeweitet werden dürfe. Denn so, wie der Paragraph 129 b, der kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland betrifft, könne auch Paragraph 129 a ausgelegt werden, der sich auf Organisationen im Inland bezieht. Im Verfahren habe es dem Gericht ausgereicht, Cenan-Adigüzel eine Mitgliedschaft in der in Deutschland verbotenen türkischen »Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front« (DHKP-C) zu unterstellen – wegen »innerer Übereinstimmung«…“ Siehe dazu auch einen Beitrag der Prozessgruppe und den Hinweis auf unseren ersten Beitrag zum Urteil:

  • „Repressionsverschärfung überall“ am 04. Juli 2018 beim Blog Prozessbericht externer Link hebt im Zusammenhang mit dem Urteil hervor: „Doch während Gesetzesvorhaben wie das neue Polizeiaufgabengesetz in Bayern oder das neue Polizeigesetz in NRW zumindest breite Aufmerksamkeit und Proteste hervorrufen, finden andere, nicht weniger bedrohliche Repressionsverschärfungen auf juristischer Ebene nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. In mehreren Verfahren, in denen Menschen wegen der Paragraphen 129 a und 129 b angeklagt sind (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung) werden aktuell Bedingungen dafür geschaffen, Personen ohne konkrete Tatvorwürfe wegen legaler politischer Betätigung zu jahrelangen Haftstrafen zu verurteilen. Zukünftig sind für Ermittlungen und Anklagen nach Paragraph 129 a oder 129 b weder die Einstufung einer Organisation als „terroristisch“ (siehe z.B. den monströsen „TKP/ML-Prozess“ in München) noch der konkrete Nachweis einer „Mitgliedschaft“ Voraussetzung – wie im Verfahren gegen unsere Freundin Latife. (…) Im Verfahren gegen Latife reichte es dem Staatsschutzsenat am OLG Düsseldorf aus, ihr eine Mitgliedschaft aus „innerer Übereinstimmung“ mit der türkischen DHKP-C zu unterstellen, um legale antifaschistische und antirassistische Arbeit zu kriminalisieren. Das Gericht verurteilte die seit über 30 Jahren in Deutschland lebende Altenpflegerin und Mutter aus Wuppertal nach anderthalb Jahren Prozess zu drei Jahren und drei Monaten Haft; trotz des eigenen Eingeständnisses, „keine unmittelbaren Beweise für konkrete Vorgaben (…) durch Führungskader der DHKP-C gefunden [zu haben]“ Der Staatsschutzsenat zeigte sich schlicht „davon überzeugt, dass sich die Angeklagte in die DHKP-C eingebunden hat.“ (Zitat aus dem Urteil) Begründet wurde diese Überzeugung mit bei der Durchsuchung von Latifes Wohnung gefundenen legalen Büchern, Filmen und Zeitschriften…
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=134392
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