Nach Ellwangen nun Hitzacker: Ganz und gar nicht heiteres Berufe raten – sind Sie Journalist oder Polizeisprecher?

PressekodexDie waffenstarrenden Flüchtlinge in Ellwangen, die arme, wehrlose Polizisten vertrieben haben, sind im Verlaufe des Auftauchens genauer Informationen über die Vorgänge im Abschiebelager heimlich, still und leise – entschwunden. Nicht, dass deswegen irgendjemand sich bemüßigt gefühlt hätte, eine kleine Bitte um Entschuldigung nachzuschieben. Wird wohl auch im „Fall Hitzacker“ so sein, wo ein armer, wehrloser Polizist und seine Familie Opfer des linksradikalen Terrors wurden, wie es diesmal ganz und gar ausnahmslos berichtet wurde. Zunächst. Jetzt, wo die Munition an rechte Hetze ausgeliefert ist, tauchen nachdenklichere Beiträge auf – vereinzelt. Worum es bei diesen Aktionen ging – ein Flüchtling vor der BRD-gestützten Diktatur in Togo, oder Hundertschaften vermummter Polizisten, die im Dienste der freundschaftlichen Kriegsachse Berlin-Ankara soziale Zentren durchsuchen – wird von Anfang an ganz bewusst „ausgeblendet“. Dafür werden dann passende Archivbilder zu Beiträgen hinzu gefälscht. Und über jenen Schutz des Privatlebens Phrasen gedroschen, der bei keiner polizeilichen Durchsuchung und bei keiner Massenentlassung für dieselben Autoren und Autorinnen jemals Thema war. Zur Arbeitsweise der Polizei-Presseschreiber drei aktuelle Beiträge – und ein Beitrag über einen weiteren Verteidiger der Privatsphäre:

  • Journalismus im Pfingsturlaub“ von Timo Rieg am 28. Mai 2018 bei telepolis externer Link hebt unter vielem anderem hervor: „Am Nachmittag bringen Medien bundesweit die Darstellung der Polizei, meist auf der Grundlage einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Einige beziehen sich noch auf einen Artikel in der lokalen „Elbe-Jeetzel-Zeitung“ oder übernehmen von dort Fotos. Denn ein Redakteur war tatsächlich am Ort des Geschehens, allerdings erst, als die Demonstranten bereits von der Polizei eingekesselt waren. Weitere Quellen nutzen die Medien im Land nicht, dennoch redigieren sie das Material recht unterschiedlich. Die Welt etwa schreibt (bis heute unkorrigiert), es hätten „60 zum überwiegenden Teil vermummte Personen das Grundstück und private Wohnhaus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker gestürmt“. Dabei hatte keine Quelle behauptet, das Haus sei von den Demonstranten „gestürmt“ worden – wäre dies passiert, dürfte man auch etwas detailliertere Informationen dazu erwarten. (…) Die Nachrichtenmaschinerie lief: Innenminister entsetzt, weitere Politiker verurteilen und schlagen neue Gesetze vor, Polizeigewerkschaften verlangen Konsequenzen, in den sozialen Medien hauen Bots und leibhaftige Provokateure im Stakkato die immer gleichen Positionen raus, Lobbyisten und Selbstvermarkter stellen geschickt Bezüge zu ihren Lieblingsthemen her …. – ein kleiner und nach Aussage von Teilnehmern eher spontaner „Gag“ beschäftigt die Republik. Dabei geht es allerdings von Anfang an nicht darum, die Sachlage überhaupt erstmal zu verstehen, sondern aufgrund der wenigen verbreiteten Informationen die eigene Meinung zu bekräftigen. Mit der Realität hat das, was in den folgenden Tagen über die Vorgänge im Wendland diskutiert wird, oft nur sehr losen Kontakt. Die Leistung der Medien offenbart dabei mindestens sieben grundlegende Schwachpunkte…“.
  • „Es wirkte wie blinde Raserei“ von Matthias Monroy am 27. Mai 2018 ebenfalls bei telepolis externer Link unterstreicht aus Gesprächen mit Beteiligten: „Es war nur ein Journalist der Elbe-Jeetzel-Zeitung zugegen. Das war jener, der am Morgen von einem „Großeinsatz nach Angriff auf Polizisten schrieb und behauptete, wir hätten das Grundstück des Beamten „gestürmt“ und den Mann und seine Familie „bedroht und eingeschüchtert“. Unter Berufung auf einen Polizeisprecher setzte er auch die Falschmeldung von „Sachbeschädigungen“ in die Welt. Übrigens wurden die Oldenburger BFE-Einheiten später von anderen Beamten abgelöst. Die waren deutlich entspannter und ärgerten sich laut über den nach ihren Worten „Schwachsinnseinsatz“, bei dem am Ende sowieso nichts herauskomme, weil die Vorwürfe gegen uns haltlos seien. (…) Das mit der Bedrohung ist haltlos, das zeigt sich auch ganz deutlich im Video von der Situation vor dem Haus des Polizisten. Die Ermittlungen wegen Beleidigung beziehen sich auf den Polizeikessel. Eine Person soll gegenüber den Polizisten angekündigt haben, am nächsten Tag wieder zu kommen. Obwohl er von uns am schwersten verletzt war, wurde er für 24 Stunden in Gewahrsam genommen. Vermutlich soll der Beleidigungsvorwurf dafür sorgen, seine Verletzung nicht zu hinterfragen. (…) Es kann schon sein, dass da jetzt nochmal nachgelegt wird. Vermutlich wird das Ganze aber juristisch in sich zusammen fallen. Die Vorwürfe sind nicht haltbar, der Polizeieinsatz überzogen. Aber alles ist möglich, auch aus Motiven wie „Rache“. Wir warten jetzt erstmal ab. (…) Er war schon zu Castor-Widerstandszeiten hier eingesetzt, damals noch in der Bereitschaftspolizei. Viele beschreiben ihn als aggressiv. Er wurde dann versetzt und ist seit bestimmt 15 Jahren Staatsschutzbeamter, irgendwann wurde er dann Leiter der Abteilung. Er ist eigentlich bei jeder linken Demonstration, bei jeder öffentlichen Aktion am Rande dabei oder spricht Leute auf der Straße mit Namen an. Er ist irgendwie immer und überall, beobachtet Leute und macht Fotos. Er verantwortet praktisch alle Ermittlungsverfahren gegen linke Aktivisten. Zuletzt hat er eine Razzia im Gasthof Meuchefitz wegen einem Soli-Plakat für die YPJ/YPG initiiert…“.
  • „Hitzacker: Polizei-Nachplapperei und Steineschmeißer aus dem Archiv“ von Moritz Tschermak am 24. Mai 2018 beim Bild Blog externer Link hält in aller Vorsicht vergessene Prinzipien journalistischer Arbeit hoch: „Was ist bislang bekannt? Am frühen Freitagabend ist eine Gruppe linker Aktivisten zum privaten Wohnhaus eines Polizisten gezogen, um dort gegen dessen Arbeits- und Vorgehensweise zu demonstrieren. Es gibt verschiedene Angaben, wie viele Personen es genau waren: wohl irgendwas zwischen 55 und 80. Einige waren vermummt, laut Demo-Teilnehmern rund ein Viertel von ihnen. Am Ende gab es einen Polizeikessel, mehrere Festnahmen und verletzte Demonstranten. Was dazwischen geschah — da gehen die Versionen sehr weit auseinander: Die Polizei spricht in einer Pressemitteilung, die sie noch in der Nacht zu Samstag veröffentlichte, von einer „neuen Qualität der Gewalt“ seitens der Aktivisten. Diese wiederum beklagen in einer Pressemitteilung einen „brutalen Polizeiübergriff“ während ihres Rückzugs, den sich nach einer guten halben Stunde angetreten seien (auf einen Link verzichten wir, da in der Mitteilung der komplette Name des Polizeibeamten genannt wird). Einig sind sich beide Seiten, dass die Demonstranten Fahnen und Banner der kurdischen YPG am Carport des Beamten befestigt (wohl eine Revanche für eine Polizeiaktion im Februar) und vor dem Haus gesungen haben. Während die Polizei allerdings von „lautstarker Stimmungsmache“ spricht, nennen es die Aktivisten „fröhliches“ Singen. Kurzum: Auch eine Woche später lässt sich von außen nicht exakt beurteilen, was vergangenen Freitag in Hitzacker passiert ist. Dennoch haben sich viele Redaktion schon sehr früh festgelegt — und dabei fast ausschließlich die Version der Beamten verbreitet. „60 Vermummte stürmen Grundstück eines Polizisten“, titelt etwa Bild.de, obwohl von „stürmen“ und „60 Vermummten“ nicht mal die Polizei spricht. Welt.de schreibt, dass „rund 60 zum überwiegenden Teil vermummte Personen das Grundstück und private Wohnhaus eines Polizisten im niedersächsischen Hitzacker gestürmt“ hätten. Die Gegenseite kam in den ersten Tagen — und kommt teilweise bis heute — nicht zu Wort, die Angaben der Polizei wurden nicht hinterfragt. Dabei gibt es durchaus Punkte in der Pressemitteilung, die fragwürdig erscheinen: Was meinen die Beamten beispielsweise mit der Aussage, es handele sich um eine „neue Qualität der Gewalt“? Diese Behauptung wurde von vielen Medien kommentarlos zitiert, sicher auch, weil sie verkaufs- und klickträchtig klingt“.
  • „Ungarn will Proteste vor Politiker-Villen verbieten“ am 25. Mai 2018 bei Spiegel Online externer Link ist eine Meldung darüber, wer alles noch seine (natürlich: private) Ruhe vor Demonstrationen haben möchte: „Mit einer Verfassungsänderung will das ungarische Parlament erreichen, dass vor Politiker-Villen keine Proteste mehr abgehalten werden dürfen. „Im Interesse des Schutzes des Privatlebens wollen wir das Prinzip festhalten, dass man die Menschen in ihrem Heim nicht belästigen darf“, erklärte der ungarische Ministerpräsident im staatlichen Rundfunk. Die Meinungsfreiheit habe dort ihr Ende, wo Menschen zu Hause nicht mehr ihre Ruhe haben, fügte der rechtsnationale Politiker hinzu. Die Verfassungsänderung werde Anfang kommender Woche zusammen mit neuen Gesetzentwürfen gegen Zivilorganisationen eingereicht, debattiert und beschlossen, sagte Orbán. Die geplanten Gesetze richten sich gegen Initiativen und Vereine, die Flüchtlingen helfen. Sie zielen darauf ab, ihre Tätigkeit unter strafrechtliche Sanktionen zu stellen“.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=132635
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