Kritik an brutalen Polizeieinsätzen – da fühlen sich Beamte beleidigt. Niedersachsens Richter fällen Urteile gegen ein T-Shirt

Nicht nur auf T Shirts wird die Göttinger Sondereinheit der Polizei kritisiert„… Die Göttinger BFE ist wegen ihres ruppigen Auftretens in der linken Szene der Stadt seit Jahren äußerst unbeliebt. So räumten Beamte der Truppe im Januar 2012 in der Universität mit einem harten Einsatz die Blockade vor einem Hörsaal, in dem der damalige Landesinnenminister Uwe Schünemann (CDU) über innere Sicherheit palaverte – es gab Festnahmen und Verletzte. (…) Außer auf Flugblättern und in sozialen Netwerken wird Kritik an der BFE in Göttingen auch in Form von Wandmalereien und bedruckten Textilien zum Ausdruck gebracht. Beliebt dabei ist besagte Buchstabenfolge „FCK BFE“. Auch der 28-Jährige trug unter der geöffneten Jacke einen Pullover mit dem Schriftzug, als er sich 2017 an einer Demonstration vor dem örtlichen Landgericht beteiligte. Zu dieser hatten verschiedene Gruppen anlässlich eines Prozesses gegen einen Anführer des rechtsextremen „Freundeskreises Thüringen/Niedersachsen“ aufgerufen. Anwesende Beamte, die ein mögliches Aufeinandertreffen von Linken und Rechten verhindert sollten, fühlten sich beleidigt. Der Mann solle die Jacke schließen, verlangten sie. Als der Angesprochene sich weigerte, forderten die Polizisten ihn auf, den Pulli auszuziehen. Dieses Mal kam der 28-Jährige der Aufforderung nach. Unter dem Pullover trug er allerdings ein T-Shirt, auf dem ebenfalls „FCK BFE“ stand. Ein klarer Fall von Beleidigung der Einheit, befand das Amtsgericht Göttingen. Es verurteilte den 28-Jährigen deshalb zu einer Strafe vom 15 Tagessätzen á 40 Euro. Das Oberlandesgericht Braunschweig verwarf in der vergangenen Woche mit ähnlicher Begründung eine Revision des Angeklagten…“ – aus dem Beitrag „Beleidigte Polizisten“ von Reimar Paul am 16. April 2019 bei der taz online externer Link, worin noch informiert wird, dass der Fall jetzt vor das Bundesverfassungsgericht geht. Siehe dazu auch:

  • Kritikwürdige BVerfGE: „Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen strafrechtliche Verurteilung wegen Beleidigung einer örtlichen Polizeieinheit“ – und Kommentar von Armin Kammrad New
    „Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, die sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Beleidigung aufgrund des Zurschaustellens eines Pullovers mit dem Schriftzug „FCK BFE“ („Fuck Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“) richtete. Die fachgerichtliche Würdigung der Botschaft als eine strafbare Beleidigung im Sinne des § 185 StGB ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat mit Blick auf die gesamten Umstände des Falls nachvollziehbar begründet, dass sich die Äußerung auf die örtliche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) bezog und damit hinreichend individualisiert war. (…) Der Beschwerdeführer gehört nach den Feststellungen der Strafgerichte der „linken Szene“ an und hatte in diesem Zusammenhang verschiedene Auseinandersetzungen mit der örtlichen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Polizei. Aus Anlass eines Strafverfahrens gegen einen Angehörigen der rechtsextremen Szene demonstrierte er gemeinsam mit anderen Personen vor dem Gerichtsgebäude. Nach den gerichtlichen Feststellungen war ihm bewusst, dass Mitglieder der örtlichen BFE vor Ort anwesend sein würden, um den Einlass in das Gebäude und das Verfahren zu sichern. (…) Angesichts der Vorgeschichte war das Gericht überzeugt, dass sich der Schriftzug gerade und ausschließlich auf die örtliche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit beziehen sollte. Diese stelle, weil es sich um eine hinreichend überschaubare Personengruppe handele, ein beleidigungsfähiges Kollektiv dar. (…) In vergangenen verfassungsgerichtlichen Verfahren fehlte es bei den herabsetzenden Botschaften „ACAB“ („all cops are bastards“) und „FCK CPS“ („fuck cops“) an ausreichenden strafgerichtlichen Feststellungen zur personalisierenden Zuordnung dieser Äußerungen. In diesen Fällen gab es keine Vorgeschichte mit einer bestimmten Polizeieinheit. Ein planvolles, bestimmte Beamtinnen und Beamte herabsetzendes Vorgehen war aus den Feststellungen nicht erkennbar. Die Botschaften konnten daher auch als allgemeine politische Stellungnahmen zum Kollektiv „Polizei“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verstanden werden. Ein Unterschied ergibt sich auch daraus, dass vorliegend das ausdrücklich in Bezug genommene Kollektiv der BFE – auch ohne den Ortszusatz – erheblich spezifischer und eher abgrenzbar ist als der Begriff „cops“. Bei Letzterem ist nicht einmal erkennbar, ob sich dieser auf die deutsche Polizei oder ganz allgemein auf alle Personen mit polizeilichen Funktionen auf der Welt bezieht.BVerfG-Pressemitteilung Nr. 4/2021 vom 15. Januar 2021 zum Beschluss 1 BvR 842/19 vom 8. Dezember 2020 externer Link, siehe dazu:

    • Kommentar von Armin Kammrad:
      Diese BVerfGE ist zunächst einmal deshalb von Bedeutung, um sich darüber klarzuwerden, dass  – nach Ansicht des BVerfG zumindest – zwar die Schriftzüge „ACAB“ („all cops are bastards“) und „FCK CPS“ („fuck cops“) durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind, nicht jedoch die Anwendung von „ACAB“ auf eine bestimmte Polizeieinheit, selbst ohne Orts- und Personenbezug wie bei der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE). Doch die Begründung überzeugt nicht. Sie erscheint als Versuch der Revision der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Art. 5 GG. Denn worin soll der strafrechtlich relevante Unterschied zwischen „ACAB“ und „FCK BFE“ überhaupt bestehen? Eine „ausschließlich auf die örtliche Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit“ (vgl. BVerfG-PM) sich beziehende Beleidigung wird nicht nachgewiesen. Denn es gibt keinen Hinweis in der BVerfGE, dass der Schriftzug „FCK BFE“ sich ausschließlich auf die Göttinger BFE bezieht. Das wird einfach unterstellt. Warum stellt überhaupt nicht die Polizei als Kollektiv, sondern nur eine Polizeieinheit ein „beleidigungsfähiges Kollektiv“ (vgl. Beschluss) dar? Wie aus dem Beschlusstext hervorgeht, richtete sich die Verurteilung nach § 185 StGB letztlich genau gegen das, was die 2. Kammer bei „ACAB“ und „FCK CPS“ als durch Art. 5 GG gedeckt ansieht. Heißt es in der Begründung doch, dass eine Verteidigung mit dem Hinweis auf fehlende Vorsätzlichkeit „vollkommenen lebensfremd“ sei, obwohl es eher lebensfremd erscheint, dass der Betroffene sowohl sein T-Shirt als auch seinen Pullover extra wegen der Göttinger BFE beschriftet bzw. gekauft hätte. Die Darstellung des Ablaufs vor Ort im Beschluss legt viel mehr nahe, dass den Polizisten auch z.B. die Aufschrift „FCK-CPS“ nicht gepasst hätte. „Eine Rechtfertigung der Äußerung durch § 193 StGB scheide aus, da diese sich in einer vulgären Beschimpfung erschöpfe, die keinerlei sachbezogenen Beitrag im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung leiste“, meint die Kammer. Gut zu wissen, dass „ACAB“ und „FCK CPS“ danach für die Kammer im Unterschied zu „FCK BFE“ einen „sachbezogenen Beitrag im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung leiste“. Oder warum sonst ist das eine strafbar und das andere nicht? Auch der dem Gericht so wichtige Unterschied, dass der Schriftzug „FCK BFE“ „erheblich spezifischer und eher abgrenzbar ist als der Begriff „cops““ widerspricht der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Denn natürlich besteht die Polizei aus abgrenzbaren Einheiten. Warum aber sollten diese sich von „FCK CPS“ weniger betroffen fühlen? Weil sich „FCK CPS „auf alle Personen mit polizeilichen Funktionen auf der Welt bezieht“? Warum soll sich dann „FCK BFE“ nun nicht auch auf Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten „auf der Welt“ beziehen? Um es abzuschließen: Unverkennbar versucht die 2. Kammer hier die bisherige höchste Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit zu Ungunsten der Polizei zu revidieren. Juristisch gelungen ist dies eindeutig nicht, auch wenn man sich bei polemischer Auseinandersetzungen mit der Polizei künftig lieber nur auf „ACAB“ und „FCK CPS“ beschränken sollte. Denn das hat trotz allem die Kammer bestätigt: Das ist auch weiterhin erlaubt.“ Kommentar von Armin Kammrad vom 15.1.2021 – wir danken!
  • „„FCK BFE“ – Beleidigung oder nicht?“ von Heidi Niemann am 15. April 2019 im Göttinger Tageblatt online externer Link beginnt eindeutig und berichtet zur Revisionsentscheidung des Landgerichts im Sinne der Staatsanwaltschaft: „Der Rechtsstreit um das provokative Auftreten eines Demonstranten gegenüber Polizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) in Göttingen geht jetzt zum Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. (…) Das Amtsgericht Göttingen verurteilte den 28-Jährigen deshalb zu einer Geldstrafe. Die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig verwies in dem Revisionsverfahren darauf, dass die BFE entgegen der Argumentation der Verteidigung keine juristische Person darstelle, die dementsprechend als nicht beleidigungsfähig gelten würde. Da der Personenkreis der BFE-Angehörigen überschaubar und hinreichend abgrenzbar sei, handele es sich vielmehr um ein „beleidigungsfähiges Kollektiv“, so dass der Tatbestand der Beleidigung erfüllt sei…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=147719
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