Grundrechte-Report 2017 – Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland: Sicherheit bedeutet Gefahr – jedenfalls für die Grundrechte

Grundrechte-Report 2017 - Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in DeutschlandAm Verfassungstag, dem 23. Mai 2017, stellen in Karlsruhe acht deutsche Bürger- und Menschenrechtsorganisationen den neuen Grundrechte-Report vor. Der Bericht listet in 41 Beiträgen verschiedener Autor/innen die Defizite (und einen kleinen Fortschritt) in der Anerkennung und Durchsetzung einzelner Grundrechte in Deutschland auf. Zu den Themen des Grundrechte-Reports zählen die zahlreichen „Verschlimmbesserungen“ in der Anerkennung bzw. Abweisung von Geflüchteten, die der Gesetzgeber nach dem kurzen „Sommer der Migration“ in Gang setzte, ebenso wie diskriminierende Praktiken aufgrund des Geschlechts, der Rasse, Herkunft oder anderer Merkmale. Einen breiten Raum nehmen auch die zahlreichen neuen gesetzlichen Beschränkungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, des Post- und Fernmeldegeheimnisses sowie rechtsstaatlicher Grundprinzipien ein, die immer häufiger mit der Notwendigkeit sicherheitspolitischer Maßnahmen und der Terrorbekämpfung begründet werden. (…) Ein besonderer Schwerpunkt des diesjährigen Berichtes sind zahlreiche Einschränkungen sozialer Grundrechte, etwa bei der lückenhaften Umsetzung des Mindestlohns, der Ungleichbehandlung durch die Erbschaftssteuerreform oder die Kostenvorbehalte im Bundesteilhabegesetz. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Redaktion den Gefangenen…“ Aus der Pressemitteilung des Komitee für Grundrechte und Demokratie vom 22.5.2017 siehe weitere Infos, Bestellkonditionen und – exklusiv im LabourNet Germany – das Vorwort der Herausgeber „Der Schutz von Grund- und Menschenrechten in schlechten Händen“, wir danken!

  • Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, Juni 2017, ISBN 978-3-596-29819-8, 224 Seiten, 10.99 Euro. Bezugsmöglichkeiten: Das Buch ist ab sofort über den Buchhandel oder die Webseite der Herausgeber externer Link zu beziehen
  • Herausgeber: Till Müller-Heidelberg, Elke Steven, Marei Pelzer, Martin Heiming, Cara Röhner, Rolf Gössner, Julia Heesen und Arthur Helwich.
  • Trägerkreis: Der Grundrechte-Report 2017 wird gemeinschaftlich herausgegeben von Humanistische Union vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative | Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen | Internationale Liga für Menschenrechte | Komitee für Grundrechte und Demokratie | Neue Richtervereinigung | PRO ASYL | Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein | Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen.

Vorwort der Herausgeber

Der Schutz von Grund- und Menschenrechten in schlechten Händen

Vor zwanzig Jahren veröffentlichten wir den ersten Grundrechte-Report, um den vom Staat und seinen Geheimdiensten entworfenen Schreckensbildern von verfassungsfeindlich gesinnten Bürger*innen und ihren extremistischen Organisationen, die ein Sicherheitsrisiko darstellten, eine nüchterne Analyse der Gefährdungen der Grund- und Freiheitsrechte durch den Staat entgegenzustellen. Demokratie und der demokratische Rechtsstaat leben von der Auseinandersetzung der Bürger*innen mit der Verfassung, vom Streit um politische Meinungen und Deutungen. Auch wenn sich im Verlauf der Jahrzehnte die staatlichen Feindbilder verändert haben, gilt bis heute, dass weder islamistische Organisationen noch Amoktäter*innen, weder nationalistische und rassistische Zusammenschlüsse noch Migrant*innen die freiheitliche demokratische Grundordnung bedrohen. Der Antrag auf Verbot der NPD scheiterte aus guten Gründen vor dem Bundesverfassungsgericht. Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, für den an Menschenrechten gebundenen Rechtsstaat und Grundrechte gehen weiterhin von einer Regierung aus, die auf Straftaten mit dem gefährlichen Ausbau von Überwachungsmaßnahmen und mit neuen Eingriffsbefugnissen für Geheimdienste und Polizei reagiert.

Seit vielen Jahren beschäftigen uns immer wieder dieselben Themen. So warnen Bürgerrechtler*innen seit langem vor der immer weitergehenden Einschränkung von Freiheitsrechten zugunsten von vermeintlich mehr Sicherheit. Die Aufdeckung der NSU-Morde hat zudem gezeigt, dass die Gefahren zumindest auch auf die behördlich-ideologischen Scheuklappen zurückzuführen sind, die einer Aufdeckung von Straftaten mit nationalistisch-rassistischem Hintergrund im Wege standen. Racial profiling – wie die Sortierung von Besucher*innen der Stadt Köln nach Phänotypen und vermeintlicher Herkunft („Nafris“) in der Silvesternacht 2016/2017 – ist rechtswidrig, da es gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Polizeiliches Handeln nach diesem Konzept trifft vor allem die Falschen, schadet mehr als es nutzt und schürt Rassismus. Zwei Aufsätze in diesem Buch setzen sich mit den Implikationen und juristischen Fragen dieses Themenfeldes auseinander. Dem kurzen Sommer 2015 einer scheinbar freundlichen Begrüßung von Migrant*innen folgte umgehend eine neue Welle von Abwehr- und Abschottungsmaßnahmen. Tausende Flüchtlinge sterben im Mittelmeer, stranden vor den Toren Europas oder bleiben in Europa völlig unterversorgt. Sie werden abgeschoben und der Familiennachzug wird menschenrechtswidrig „ausgesetzt“. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird einschränkend ausgelegt, die Rechte der Gegendemonstrierenden missachtet. Noch der geringste Schutz gegen polizeiliche Gewaltmittel wird auch vor Gericht als passive Bewaffnung interpretiert.

Die großen Entwicklungen spiegeln sich in den vielen konkreten und Einzelfragen betreffenden Eingriffen. Selbst  beim Kauf von Prepaid-Karten muss nun die Identität der Käufer*in geprüft werden. Unüberwachte Kommunikation wird so quasi unmöglich gemacht. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander und der Staat schützt einseitig die Interessen der Reichen. Die durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordene Erbschaftssteuerreform schützt letztlich doch wieder die reichen Erben von Betriebsvermögen. Die „Überprivilegierten“ haben den größeren politischen Einfluss. Auf der anderen Seite wurde noch im Dezember 2016 ein Gesetz zum Ausschluss hilfebedürftiger Unionsbürger*innen aus der sozialen Sicherung beschlossen. Der Zugang zu Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und zur Sozialhilfe wird drastisch eingeschränkt, Ausreise als Mittel zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit gesetzlich verankert. Die Schuldenbremse, die auch den Ländern zukünftig eine Neuaufnahme von Krediten verbietet, wird sich auf die Finanzautonomie der Kommunen auswirken. Leistungen im sozialen Bereich werden drastisch eingeschränkt werden. Das aber wird das Sozialstaatsgebot unmittelbar beeinträchtigen.

So muss dieser Verfassungsschutzbericht erneut erschreckende Gefährdungen des an die Menschenrechte gebundenen demokratischen Rechtsstaats durch staatliche Institutionen konstatieren.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=116639
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