„Seenotschiff „Aquarius“: Weniger Rettungsschiffe bedeuten nicht weniger Flüchtende, sondern nur mehr Tote“

Dossier

Seenotschiff "Aquarius"„“Schließung der Mittelmeerroute“ – das ist nach der „Schließung der Balkanroute“ die Parole, die die europäischen Regierungschefs jetzt ausgegeben haben. Es geht um die Abwehr von Schutzsuchenden und Migranten aus außereuropäischen Ländern. Eine verantwortungslose wie hilflose Parole. Was technisch und machbar klingt, heißt tatsächlich: Private Rettungsschiffe mit allen Mitteln, auch ungesetzlichen, daran zu hindern, Menschen aus Seenot zu retten und sie stattdessen sehenden Auges ertrinken zu lassen. „Schließung der Mittelmeerroute“ ist der demokratische Offenbarungseid der real-existierenden Europäischen Union. Seit dem Februar 2016 ist das deutsche Rettungsschiff „Aquarius“, das unter der Flagge Gibraltars fährt, im Mittelmeer unterwegs, um Schiffbrüchige aus dem Wasser zu bergen. Viele Tausend Menschen verdanken der Rettungscrew des Schiffes ihr Leben. Im Juni 2018 wurde die „Aquarius“ unfreiwillig weltbekannt, nachdem ihm der italienische Innenminister untersagt hatte, in einen italienischen Hafen einzulaufen und über 600 Menschen an Land zu bringen, die das Schiff auch mit Hilfe der italienischen Seenotleitstelle MRCC (Maritime Rescue Coordination Center) aus dem Meer geborgen hatte. Die „Aquarius“ steuerte daraufhin das spanische Valencia an. Die internationale Nicht-Regierungsorganisation SOS Mediterranee, die die Aquarius betreibt, will trotz der staatlichen Angriffe auf die NGOs weiter Menschen vor dem Ertrinken retten. Das Schiff, das noch im Hafen von Marseille liegt, bereitet sich auf seinen nächsten Einsatz vor…“ Interview  von Thomas Moser vom 08. Juli 2018 bei telepolis externer Link mit Jana Ciernioch vom Verein SOS Mediterranee externer Link, der das Seenotschiff “Aquarius” betreibt und Textauszüge hieraus sowie neu zu Aquarius:

  • Wir haben den Höhepunkt der Kriminalisierung von humanitärer Hilfe auf See erreicht.“ Um baldmöglichst ins Rettungsgebiet zurückkehren zu können, beendet SOS MEDITERRANEE den Einsatz mit der Aquarius New
    Der Entscheidung, den Chartervertrag mit der Aquarius zu beenden, ist eine Reihe von gezielten politischen Angriffen auf die lebensrettende Arbeit der Hilfsorganisation vorausgegangen. Bereits in den letzten Wochen musste die Aquarius im Hafen von Marseille ausharren. Nach Rettungseinsätzen wurde ihr auf politischen Druck hin zweimal die Flagge entzogen, zuerst von Gibraltar und dann von Panama. Erst vor kurzem ordneten die italienischen Behörden die Beschlagnahme des Schiffes an. Als Grund wurde die nicht ordnungsgemäße Trennung von Bordabfällen angeführt. „Wir haben den Höhepunkt der Kriminalisierung von humanitärer Hilfe auf See erreicht. Dass wir jetzt dazu gezwungen sind, den Betrieb der Aquarius einzustellen, während europäische Mitgliedsstaaten ihrer Verantwortung, Menschen im Mittelmeer zu retten, nicht gerecht werden, ist ein Armutszeugnis für Europa. Dass Leben retten im Mittelmeer unmöglich gemacht werden soll, verdeutlich das Scheitern Europas.“ sagt Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS MEDITERRANEE Deutschland. Seitdem Rettungsschiffe im Mittelmeer an ihrem Einsatz gehindert werden, ist das Risiko auf der Flucht über das Mittelmeer zu sterben, weiter gestiegen. Allein in diesem Jahr sind 2.100 Menschen ertrunken. Weitaus mehr wurden von der EU-finanzierten libyschen Küstenwache in das Bürgerkriegsland Libyen zurückgebracht. Trotz allem wird SOS MEDITERRANEE so bald wie möglich mit einem anderen Rettungsschiff auf See zurückkehren. Zusammen mit Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat die Organisation in den vergangenen 34 Monaten im Mittelmeer fast 30.000 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. (…) SOS MEDITERRANEE lotet bereits alle Möglichkeiten für ein neues Schiff aus und ist dabei auf die Initiative von mutigen Reedereien angewiesen, die bereit sind, ein Zeichen der Solidarität mit den zivilen Seenotretter*innen zu setzen…“ Mitteilung vom 6. Dezember 2018 von und bei SOS MEDITERRANEE externer Link
  • [Aquarius] Seenotretter Nick: „Meine Zeit des Schweigens ist vorbei.“ 
    „Ich habe versucht, anderen diese Horrorgeschichten zu ersparen. Ich war zufrieden damit, den “guten Soldaten” zu spielen, meinen Job zu machen, den Mund zu halten und nicht in die Politik verwickelt zu werden. Aber jetzt sind es eben die Politik sowie die Politiker und nicht etwa der Wind und die Wellen, die die Menschen da draußen umbringen. Während der letzten drei Jahre habe ich an unzähligen Rettungseinsätzen teilgenommen und unermüdlich an der Seite von meinen Brüdern und Schwestern dafür gearbeitet, zu verhindern, dass Menschen auf dem Meer sterben. Ich habe Dinge gesehen, die hoffentlich niemand durchmachen und die kein menschliches Wesen erleiden sollte. (…) Aber das ist eben nicht alles. Als Europäer sagen wir jetzt, dass das alles okay ist, dass wir das so wollen. Die europäischen Politiker sagen jetzt zu den Menschen, die aus Libyen fliehen wollen, dass diese zwei Optionen haben: 1. Versuche aus Libyen zu fliehen und werde gefangen bzw. zurückgebracht von der libyschen Küstenwache, einer Küstenwache, die gegründet, trainiert und ausgestattet wird von den europäischen Ländern 2. Ertrinke, verschwinde, versinke im Meer, wo ihr afrikanischen, asiatischen oder mittel-östlichen Migranten uns nicht mehr belästigt. (…) Meine Zeit des Schweigens ist vorbei. Ich lasse mich nicht mundtot machen wie so viele eigennützige Politiker, die aktuell unsere Länder regieren. Ich werde sprechen und sie alle beschämen. Wenn dir das nicht gefällt und du dich damit unwohl fühlst, dann gut: Das solltest du auch!…“ Beitrag von Nick vom 23. Oktober 2018 bei MiGAZIN externer Link (Nick ist Rettungskoordinateur an Bord des Rettungsschiffs Aquarius)
  • Auf Druck Italiens entzieht Panama der Aquarius die Registrierung – Europa muss handeln – 58 Gerettete an Bord 
    Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee sind von der Ankündigung der Panamaischen Schifffahrtsbehörde (PMA) erschüttert, der Aquarius die Registrierung zu entziehen, unter offenkundigem wirtschaftlichem und politischem Druck der italienischen Regierung. Diese Ankündigung verurteilt Hunderte Männer, Frauen und Kinder zum Tode, die verzweifelt nach Sicherheit suchen, und stellt für die lebensrettende Seenothilfe der Aquarius einen schweren Rückschlag dar. Die Aquarius ist das einzige verbliebene nichtstaatliche Such- und Rettungsschiff im zentralen Mittelmeer. Beide Organisationen fordern die europäischen Regierungen auf, der Aquarius zu erlauben, den Einsatz fortzusetzen. Sie müssen entweder den panamaischen Behörden versichern, dass die Drohungen der italienischen Regierung unbegründet sind, oder der Aquarius sofort eine neue Flagge zu ermöglichen, unter der das Schiff fahren kann…“ Pressemitteilung vom 23. September 2018 bei Ärzte ohne Grenzen externer Link

    • Siehe auch: Panama beugt sich italienischen Behörden und will Rettungsschiff „Aquarius“, dem letzten im Mittelmeer, die Flagge entziehen
      „… Panama will dem Rettungsschiff Aquarius die Flagge entziehen. Die Schifffahrtsbehörde des mittelamerikanischen Landes teilte auf ihrer Website mit, die Aufhebung der Registrierung der Aquarius 2 eingeleitet zu haben. Hintergrund sei der Eingang „internationaler Berichte“, wonach das Schiff internationale juristische Verfahren missachte, die an den Mittelmeerküsten aufgenommene Migrantinnen und Migranten beträfen. Die Beschwerde geht laut Panama vor allem von den italienischen Behörden aus. Demnach habe „der Kapitän des Schiffes es abgelehnt, die aufgenommenen Migranten und Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückzubringen“. Im August hatte bereits die britische Kronkolonie Gibraltar dem Schiff die Flagge entzogen. Deswegen hatte die Aquarius seit Ende August in Marseille gelegen. Mitte September trat sie unter der Flagge Panamas und unter dem neuen Namen Aquarius 2 ihre neue Rettungsmission an. Seit Donnerstag hat die Aquarius elf Migranten an Bord, die vor der libyschen Küste aufgegriffen wurden…“ Aus der Meldung vom 23. September 2018 bei der Zeit online externer Link
    • Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Italienische Flüchtlingspolitik
  • Flüchtlinge werden aufgeteilt: Malta gibt Hafen für „Aquarius“ frei 
    Das Rettungsschiff „Aquarius“ mit 141 Migranten an Bord darf auf Malta anlegen. Die Migranten würden anschließend zwischen Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Portugal und Spanien aufgeteilt, teilt die Regierung von Malta mit. Nach tagelanger Irrfahrt im Mittelmeer zeichnet sich eine europäische Lösung für das Rettungsschiff „Aquarius“ und die 141 Flüchtlinge an Bord ab: Malta erklärte sich nun nach anfänglicher Weigerung bereit, das Boot anlegen zu lassen, wie die Regierung mitteilte. Spanien bot die Aufnahme von 60 Menschen an, Portugal will 30 Flüchtlinge aufnehmen. An den Verhandlungen der Mittelmeer-Anrainer war unter anderem auch Frankreich beteiligt…“ Meldung vom 14. August 2018 bei N-TV externer Link
  • Rettungsschiff Aquarius: Gibraltar droht mit Entzug der Flagge 
    Laut der deutschen Reederei wird die Sache noch verhandelt. Die Folgen könnten höhere Betriebskosten sein. Für SOS Méditerranée handelt es sich um ein politisches Manöver. (…) Es ist wieder ein Politikum, für das sich die Regierungen, so der Eindruck, jedes Mal ostentativ mehr Zeit lassen, um die Frage zu klären, wo die Migranten von Bord gehen können. Die in die Länge gezogene Prozedur bis zu einer Einigung, deren Zustandekommen mit jedem Fall als immer schwieriger dargestellt wird, soll den Schleppern und den Auswanderern vor Augen führen, dass dieser Weg der Migration immer größeren Schwierigkeiten gegenübersteht. Zu den Schwierigkeiten, die aufgebaut werden, gehört auch die Flaggen-Frage. Wie schon anderen NGO-Schiffen zuvor droht der Aquarius der Entzug der Lizenz, mit der sie unter der Flagge Gibraltars fährt. Die Kommentare unter dem dazu gehörigen Info-Tweet des BBC-Newsreporters legen große Schadenfreude bloß und Zorn, der sogar die Inhaftierung der Crew und die Beschlagnahme des Schiffes fordert. Wie man das wohl in zehn oder zwanzig Jahren beurteilt? Laut Informationen des französischen Fachmagazins Le Marin habe die für die Registrierung der Schiffe zuständige Regierungsbehörde in Gibraltar am Abend des 13. August ein Kommuniqué verbreitet, wonach man der Aquarius bereits im Juni und im Juli zur Auflage gemacht habe, die Rettungen einzustellen, um einzig als „Survey Ship“ zu arbeiten, da das Schiff als solches registriert sei und unter der Flagge Gibraltars fahre. Am 6. August sei der Aquarius dann mitgeteilt worden, dass sie anderweitig ihre Flagge bis zum 20. August verlieren würde und die ihres Reeders annehmen müsse…“ Artikel von Thomas Pany vom 14. August 2018 bei telepolis externer Link
  • Erklärung von SOS MEDITERRANEE zur Abfahrt der Aquarius 
    Das Rettungsschiff Aquarius sticht wieder in See und wir, die Unterzeichnenden, unterstützen ihren Einsatz. Seitdem die Schiffe der zivilen Seenotrettung gehindert werden, vor der libyschen Küste humanitäre Hilfe zu leisten und Leben zu retten, sind im Mittelmeer mindestens 717 Menschen ertrunken. Die Aquarius, das von der zivilen, europäischen Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE gecharterte und gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen betriebene Rettungsschiff, begibt sich Anfang August erneut auf See, weil Menschen weiterhin auf der Flucht über das Mittelmeer sterben. Sie begibt sich erneut auf See, weil das Retten von Menschenleben ihre Aufgabe ist, wie auch die Pflicht aller Schiffe und ihrer Besatzungen im Mittelmeer. Aktuell sind die dortigen Kapazitäten zur Seenotrettung jedoch so unzureichend wie noch nie. Die Aquarius kehrt in die internationalen Gewässer vor Libyen zurück, um effiziente, professionelle, humanitäre Hilfe zu leisten. Damit handelt sie im Einklang mit internationalem Recht. (…) Das Rettungsschiff Aquarius sticht wieder in See und wir, die Unterzeichnenden, unterstützen ihren Einsatz. Seitdem die Schiffe der zivilen Seenotrettung gehindert werden, vor der libyschen Küste humanitäre Hilfe zu leisten und Leben zu retten, sind im Mittelmeer mindestens 717 Menschen ertrunken. Die Aquarius, das von der zivilen, europäischen Seenotrettungsorganisation SOS MEDITERRANEE gecharterte und gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen betriebene Rettungsschiff, begibt sich Anfang August erneut auf See, weil Menschen weiterhin auf der Flucht über das Mittelmeer sterben. Sie begibt sich erneut auf See, weil das Retten von Menschenleben ihre Aufgabe ist, wie auch die Pflicht aller Schiffe und ihrer Besatzungen im Mittelmeer. Aktuell sind die dortigen Kapazitäten zur Seenotrettung jedoch so unzureichend wie noch nie. Die Aquarius kehrt in die internationalen Gewässer vor Libyen zurück, um effiziente, professionelle, humanitäre Hilfe zu leisten. Damit handelt sie im Einklang mit internationalem Recht…“ Erklärung vom 1. August 2018 von und bei SOS MEDITERRANEE externer Link – wir unterstützen den Spendenaufruf! externer Link Siehe auch das öffentliche Online-Logbuch externer Link, dort können Interessierte sich über die Einsätze informieren, alle Rechtsverstöße werden aufgezeichnet. Im Einklang mit Datenschutzregelungen sollen bei möglichen Vorfällen auch Videos und Fotos veröffentlicht werden. Siehe auch dazu:

    • Seenotrettung: Ärzte ohne Grenzen weist Schlepper-Vorwurf zurück 
      Die Organisation Ärzte ohne Grenzen hat den Vorwurf zurückgewiesen, dass die private Seenotrettung im Mittelmeer den Schleppern in die Hände spielt. Dies sei ein abstruses Argument, sagte der Leiter der Berliner Vertretung von „Ärzte ohne Grenzen“, Frisch, im Deutschlandfunk. Es gebe Belege dafür, dass es bei der Zahl der Flüchtlinge kein Faktor sei, ob es private Retter gebe. „Menschen fliehen nicht wohin, sondern sie fliehen vor etwas“, betonte Frisch. Die Seenotrettung mache nur den Unterschied, wie tödlich die Route sei, und nicht, wie viele Menschen sich auf den Weg machten…“ Meldung vom 3. August 2018 beim Deutschlandfunk externer Link
    • Seenotrettung im Mittelmeer: Die »Aquarius« im Dilemma
      Rettungsschiff ist mit unklarer Rechtslage konfrontiert – und bereitet sich auf das Schlimmste vor. Artikel von Sebastian Bähr und Fabian Hillebrand vom 01.08.2018 beim ND online externer Link
    • Die Aquarius kehrt zurück in die Rettungszone 
      „Zurück auf See: Die Aquarius hat sich dem radikalen Wandel und den ungewissen Bedingungen in der Rettungszone strategisch und technisch angepasst. Mit starker Unterstützung durch die europäische Öffentlichkeit steuert sie als eines der letzten verbliebenen humanitären Rettungsschiffe zurück in das Rettungsgebiet vor der libyschen Küste. Das von SOS MEDITERRANEE gecharterte und gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen betriebene Rettungsschiff Aquarius kehrt am 1. August 2018 zurück ins Meer. Obwohl sich die Bedingungen für die Seenotrettung im Mittelmeer in den letzten zwei Monaten radikal verändert haben, gibt es keine Alternative zur Rettung von Menschen in Seenot. (…) Solange Libyen nicht als sicherer Ort bezeichnet werden kann, wird die Aquarius niemals eine gerettete Person in einem libyschen Hafen anlanden. All diese Prinzipien wurden vor der Abfahrt durch eine Beratung mit Rechtsexpert*innen bekräftigt…“ Pressemitteilung von SOS Mediterranee vom 1. August 2018 externer Link
    • Die Aquarius auf der Suche nach dem Recht 
      „Wenn die Aquarius heute Abend um 18 Uhr am Hafen von Marseille ablegt, wird sie nicht nur ihre nächste Mission der Seenotrettung beginnen. Sie wird auch – unfreiwillig – zur Verteidigung internationalen Rechts in See stechen, zur Verteidigung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Seerechts, das die Rettung von Geflüchteten bis zu einem „sicheren Hafen“ vorsieht. Denn seit Ende Juni hat die IMO, die internationale Seeschiffahrtsorganisation der UN, eine libysche Leitstelle für Seenotrettung offiziell anerkannt. Zivile Rettungsschiffe wie die Lifeline wurden bereits von der bislang verantwortlichen italienischen Leitstelle an die Libyer verwiesen. Das Problem: Das internationale Seerecht sieht vor, dass Anordnungen dieser Leitstellen bei der Rettungskoordination befolgt werden müssen. Das Seerecht sieht aber auch vor, dass aus der Seenot Gerettete an den nächstgelegenen „sicheren Ort“ gebracht werden müssen. (…) Die Aquarius befindet sich also in einem rechtlichen Dilemma: Entweder widersetzt sie sich der Aufforderung der für sie zuständigen Leitstelle für die Rettungskoordination und entspricht damit dem Völkerrecht und der Regelung der ’sicheren Orte‘ im Seerecht – bricht damit aber auch mit dem Seerecht, das vorsieht, den Anordnungen der Leitstelle folgen zu müssen. Die andere Möglichkeit wäre, der libyschen Leitstelle Folge zu leisten, was aber mit dem Recht des „place of safety“ und dem Völkerrecht brechen würde, das allerdings kein Durchsetzungsrecht ist…“ Beitrag von Elsa Koester vom 1. August 2018 bei der Freitag online externer Link
    • Anm.: Völkerrechtlich eigentlich gar nicht so kompliziert. So regelt das Seerecht nur den grundsätzlichen Umgang mit Menschen in Seenot (womit sich die IMO herausreden könnte). Sofern es sich jedoch – wie hier – um Flüchtlinge aus Libyen handelt, sind bezüglich „place of safety“ die menschenrechtlichen Verhältnisse in Libyen maßgeblich. Erst die (berechtigte) Flucht vor den Zuständen in Libyen brachte die Menschen doch überhaupt in Seenot. Hieran würden auch irgendwelche Verträge zwischen Libyen und der EU (oder Italien) nichts ändern, solange sich nicht die Zustände in Libyen ändern. Libyen wird dadurch nicht zu einem sicheren Drittstaat im Sinne der GFK, weshalb solche Verträge rechtwidrigen bzw. bezüglich der Frage „place of safety“ unbeachtlich wären.
  • Aus dem Interview  von Thomas Moser vom 08. Juli 2018 bei telepolis externer Link: „…  Gibt es auch keine staatlichen, europäischen Retter mehr?
    Jana Ciernioch: Wir beobachten, dass die europäischen Schiffe immer seltener an Rettungen beteiligt sind. Der italienische Innenminister hat öffentlich erklärt, dass er die Schiffe der Küstenwache und Marine wieder näher an die italienische Küste holen wolle. Das führt letzten Endes dazu, dass wieder verstärkt Handelsschiffe Bootsflüchtlinge retten müssen – diese sind jedoch für die Massenrettung weder adäquat ausgestattet noch trainiert. In der Vergangenheit hat das zu mehr Toten geführt.
    Die „Iuventa“ wurde beschlagnahmt, die „Lifeline“ darf Malta nicht verlassen, die „Aquarius“ weiß zur Zeit nicht, wie es weiter geht – erleben wir gerade das Ende der privaten Seenotrettung?
    Jana Ciernioch: Was wir momentan beobachten, ist der Anfang vom Ende der europäischen Idee. Während beinahe täglich Schutzsuchende an den europäischen Grenzen sterben, lässt die EU – übrigens Trägerin des Friedensnobelpreises – kein glaubhaftes Interesse daran erkennen, das Problem gemeinsam anzugehen. Um vom eigenen Versagen abzulenken, das Sterben im Mittelmeer zu reduzieren und eine solidarische Verteilung von Schutzsuchenden anzugehen, greifen PolitikerInnen lieber die privaten SeenotretterInnen an
    .
    Die Aquarius liegt im Hafen von Marseille. Habe ich das richtig verstanden, dass weder Italien noch Malta das Schiff in einen Hafen ließen, obwohl es keine Geretteten an Bord hatte?
    Jana Ciernioch: Die maltesischen Behörden haben der Aquarius die Einfahrt nach Malta zum Zweck des Crewwechsels ohne Angaben von Gründen verwehrt. In Italien hat der italienische Ministerpräsident öffentlich erklärt, dass die Seenotrettungs-NGOs nicht willkommen sind. Wir sahen uns daher gezwungen, zum geplanten Crewwechsel den weiten Weg nach Marseille auf uns zu nehmen, wo sich unsere Crew momentan darauf vorbereitet, ins Einsatzgebiet in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste zurückzukehren
    …“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=134359
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