EU-Gipfel an Alle: „Oh, wie schön ist Libyen“. Vor allem die Lager der Milizen (in bürokratischer Monstersprache „Ausschiffungsplattformen“) – dafür sollen Rettungsschiffe weiterhin kriminalisiert werden

Libysche KüstenwachePRO ASYL warnt noch einmal mit Nachdruck, die libysche Küstenwache weiter aufzurüsten und ihr die Rettung Schiffbrüchiger zu übertragen. PRO ASYL betrachtet den beabsichtigten Ausbau der Kooperation als Verrat an Europas Werten. Weil die Bundeskanzlerin zur Getriebenen der CSU geworden ist, reiht sie sich in die Allianz der Grenzschließer ein. Nach der gestrigen Presseerklärung von Ratspräsident Donald Tusk soll die libysche Küstenwache weiter ausgerüstet werden. Menschen, die vor Folter, Krieg, Terror und Verfolgung fliehen, sollen vor Europas Grenzen abgefangen werden. »Statt Europas Werte zu verteidigen, scheint für die Grenzschließung jedes Mittel recht. Die oft dramatischen Fluchtgründe und die Menschenrechte Schutzbedürftiger spielen bei den Überlegungen der Staatschefs keine Rolle«, sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Die Auslieferung Schutzsuchender an die libysche Küstenwache, um sie sodann nach Nordafrika zurückzubringen, ist weder mit Artikel 3 EMRK noch mit dem Schutz vor Kollektivausweisung (Artikel 4 des 4. Prot. zur EMRK) vereinbar“ – aus der Pressemitteilung „“Seenotrettung durch libysche Küstenwache?“ am 28. Juni 2018 von und bei Pro Asyl externer Link (worin nur die Frage offen bleibt, ob die kritisierte erzreaktionäre Politik nicht genau „europäische Werte“ verteidigt…) Zu den libyschen Lagern, in denen Flüchtlinge konzentriert werden sollen und ihren Befürwortern siehe eine aktuelle Materialsammlung vom 29.  Juni 2018:

„Oberstes Ziel: Migranten aufhalten“ von Daniel Brössler, Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer am 28. Juni 2018 in SZ Online externer Link ist ein Beitrag, der Agenda und Orientierung des EU-Gipfels so zusammen fasst: „“Die Völker Europas erwarten von uns – und sie tun das nun seit einiger Zeit -, dass wir Entschlossenheit in unseren Maßnahmen zur Wiederherstellung ihres Sicherheitsgefühls zeigen“, schreibt EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Einladungsbrief zum Gipfel. „Die Menschen wollen das nicht, weil sie auf einmal ausländerfeindlich geworden sind und Mauern gegen den Rest der Welt errichten wollen, sondern weil es die Aufgabe jeder staatlichen Gewalt ist, das Gesetz durchzusetzen, sein Territorium und die Grenze zu schützen.“ Ausbuchstabiert wird das im Entwurf der Gipfel-Erklärung gleich im ersten Satz: „Der Europäische Rat bestätigt erneut, dass ein wirksamer Schutz der Außengrenzen die Bedingung für eine funktionierende EU-Migrationspolitik darstellt.“ Und so geht es weiter, mit einer Reihe von Punkten, die alle in dieselbe Richtung zielen: möglichst wenig Migranten nach Europa zu lassen, sie schon außerhalb der EU-Außengrenzen aufzuhalten oder möglichst schnell zurückzuschicken…

EU-Gipfel liegt Konzept für Lager in Afrika vor“ ebenfalls am 28. Juni 2018 bei SZ Online externer Link berichtet unter anderem: „Den Teilnehmern des Gipfels in Brüssel liegt offenbar ein erstes Konzept für Migranten-Auffanglager in nordafrikanischen Ländern vor. Nach Angaben der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini wurde es in den vergangenen Tagen gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und der Organisation für Migration (IOM) entwickelt. Sie habe dafür direkt mit UNHCR-Chef Filippo Grandi und IOM-Generaldirektor William Swing zusammengearbeitet, sagte Mogherini. Details teilte sie nicht mit. Sie betonte lediglich, dass die sogenannten Anlandestellen nicht gegen internationales Recht oder Menschenrechte verstoßen würden…“ – was früher „Angriff ist die beste Verteidigung“ genannt wurde: Lagerhaltung verstößt nicht gegen Menschenrechte…

„Bootsflüchtlinge zurück nach Afrika“ von Stefan Otto am 29. Juni 2018 in neues deutschland externer Link zum „Tusk-Plan“  – samt seinen abscheulichen Wortschöpfungen – unter anderem einleitend zu Tätern und Mittätern: „Auffangzentren in Nordafrika könnten für ein europäisches Migrationskonzept von zentraler Bedeutung werden. EU-Ratspräsident Donald Tusk schlug diesbezüglich vor, abgefangene Bootsflüchtlinge aus dem Mittelmeer wieder auf afrikanisches Festland zurückzubringen. In diesen sogenannten Ausschiffungsplattformen, wie die Lager heißen, solle dann über die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge entschieden werden. Unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es möglicherweise eine große Zustimmung für diesen Vorschlag. Der Tusk-Plan sieht – laut vorläufiger Abschlusserklärung des EU-Gipfels – eine enge Zusammenarbeit mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vor, um internationale Standards bei der Versorgung der Geflüchteten zu gewähren. Beide Organisationen zeigten sich grundsätzlich zur Kooperation bereit – aus der Überzeugung heraus, dass »ein neuer, auf Zusammenarbeit basierender Ansatz« nötig sei, um die die Aufnahme von Bootsflüchtlingen »vorhersehbarer und kontrollierbarer« zu machen, wie sie am Mittwochabend in Genf erklärten…“.

„Lybische Milizen sollen weiterhin Flüchtlinge aufhalten, Menschenrechtler werden kriminalisiert“ am 28. Juni 2018 im freie-radios.net externer Link dokumentiert, ist ein Interview von Fabian Ekstedt mit Günter Burkhardt von Pro Asyl, in dessen Begleittext es heißt: „Getrieben von Innenminister Seehofer hat sich Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung doch recht deutlich geäußert. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sei zwar geringer geworden, aber noch nicht zufriedenstellend. Daraus lässt sich schließen, dass Flüchtlinge an sich kein Problem sind, nur ankommen dürfen sie halt nicht. Zu dieser Aussage passen auch ihre Einlassungen auf die Pläne der EU die lybische Küstenwache weiter auszurüsten…“.

„Wie Giftmüll, den niemand will“ am 29. Juni 2018 bei German Foreign Policy externer Link – unter anderem mit Ausführungen über das berüchtigte „Vorbild“ Australien – zum Stand der Dinge am zweiten Tag des Gipfels: „Die EU soll auf ihrem Gipfel am heutigen Freitag die Errichtung von Flüchtlingslagern im nördlichen Afrika beschließen. Dies geht laut Berichten aus dem Entwurf zur Abschlusserklärung des Gipfels hervor, die allerdings am gestrigen Abend noch nicht verabschiedet wurde, da Italien weitere Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik verlangt. In den vergangenen Tagen hatten sich immer mehr Spitzenpolitiker für die Lager ausgesprochen. Sie werden unter dem Begriff „Ausschiffungsplattformen“ diskutiert und sollen Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer ergriffen wurden, aufnehmen, damit sie, sofern der UNHCR ihre Asylgesuche für nicht ausreichend begründet hält, direkt in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Allerdings ist noch kein Staat bereit, sich als Standort zur Verfügung zu stellen. In einer aktuellen Erklärung warnen Menschenrechts- und kirchliche Organisationen, wer den Flüchtlingsschutz negiere, stelle letztlich „die universelle Geltung der Menschenrechte in Frage“ und riskiere damit auch die „Erosion der Menschenrechte“ im eigenen Staat…“.

Zur juristischen Bewertung der Aussagen von Seehofer und Kretzschmer zum Thema Lifeline“ ist ein Beitrag von Jürgen Kasek vom 27. Juni 2018 beim Politik Blog Erratischer Eskapismus externer Link in dem es abschließend heißt: „Fassen wir zusammen #Seehofer will keine Präzedenzfälle schaffen und daher die Crew der Lifeline ggf. bestrafen und #Kretschmer, Sachsens Ministerpräsident will nicht helfen sondern sichere Häfen in Lybien und Syrien ansteuern. Vielleicht ein wenig zur Aufklärung, der juristisch offensichtlich unbeleckten: Zentral ist Art. 98 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ): „Jeder Staat verpflichtet den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten“. Der Staat muss auch Handelsschiffe effektiv unterstützen, die an Seenotrettungsmaßnahmen beteiligt sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ferner festgestellt, dass Flüchtlingsboote abzufangen und nach Nordafrika zurück zu bringen in krassen Widerspruch zum Völkerrecht steht. (…) Anders gesagt die Mission Lifeline hat das gemacht wozu sie verpflichtet ist während Seehofer geltendes Recht verletzt. Die Aussagen von Kretzschmer zeugen ebenfalls von tiefgreifender Unkenntnis der Menschenrechtslage, denn in Lybien ist Folter an der Tagesordnung, ebenso wie in Syrien…“ .

„Merkels deutsche Werte für Afrika“ von Christian Jakob am 28. Juni 2018 in der taz externer Link zu Realität und Ergebnis von EU- und BRD-Politik mit Afrikas Fluchtproduzenten: „Da ist Merkel leider etwas spät dran. In Afrika hat sich längst herumgesprochen, dass den Europäern eine Sache noch wichtiger ist als ihre Werte: dass die Afrikaner bleiben, wo sie sind. Eindrücklich zu besichtigen war dies etwa beim EU-Afrika-Gipfel in Abidjan im November. Kurz zuvor hatte CNN das Video von einer Sklavenversteigerung in Libyen veröffentlicht. Für viele der afrikanischen Führer war ausgemachte Sache: Verantwortlich für die Sklavenhalter sind die Europäer. Schließlich bezahlen und trainieren sie die Libyer, damit die die Bootsflüchtlinge wieder einfangen – und deren Martyrium weitergeht. (…) Zu den autoritären Herrschern des Kontinents hat Europa beste Beziehungen – nicht zuletzt, weil es auf diese auch als Grenzschutzpartner setzt. Kein Staat der Welt hat einen Präsidenten, der mit doppeltem internationalen Haftbefehl gesucht wird – außer Sudan. Aber das Land liegt zwischen dem Horn von Afrika und dem Mittelmeer, also auf einer der wichtigsten Fluchtrouten der Welt. So wurde dem Diktator Omar al-Baschir von der EU ein All-inclusive-Paket angeboten, wenn er die Grenzen zumacht: Geld, Schuldenerlass, Polizeitrainings, Biometrie-Hightech – und diplomatische Hilfe bei der Aufhebung des Haftbefehls. Kaum ein Regime Afrikas produziert mehr Flüchtlinge als jenes in Eritrea, mit seinem jahrelangen, brutalen Zwangsarbeitsdienst. Den deutschen Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hinderte das nicht, den Diktator Isayas Afewerki in Asmara zu besuchen. Die deutsche Entwicklungsagentur GIZ lässt heute eritreische Richter und Staatsanwälte in der Schlepperbekämpfung trainieren…“.

„Flüchtlinge in Europa: Repression statt Menschenrechte?“ ist eine Stellungsnahme von Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen bei Pro Asyl vom 27. Juni 2018 externer Link in der es unter anderem heißt: „Sowohl Merkel als auch Seehofer wollen Flüchtlinge mit rigider Gewalt daran hindern, in Deutschland Asyl zu beantragen. Nicht im Ziel, sondern in den Mitteln unterscheiden sich die Kontrahent*innen. Eine dezidiert menschenrechtliche Position hat in diesem Streit kaum noch Chancen, Gehör zu finden. (…) Kaum jemand stellt im öffentlichen Drama noch die Frage, warum diese Wanderungen stattfinden, und wie diesen Gründen auf eine andere als repressive Weise begegnet werden könnte. (…) Die lautstarke Klage der südeuropäischen Staaten über die »Ungerechtigkeit« der Dublin III – Verordnung ist berechtigt, beleuchtet aber nur einen Teil des Versagens der EU im Umgang mit Asylsuchenden. Es fehlt bislang an einer europaweiten Gewährleistung der Menschenrechte und der Schutzansprüche, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben. Die in der Aufnahme- und der Qualifikationsrichtlinie formulierten Standards reichen nicht aus, um eine annähernd gleiche Rechtsanwendung und ähnliche Aufnahmebedingungen zu gewährleisten, zumal Verstöße in der Regel ungesühnt bleiben. Solange dies so bleibt, wird es auch weiterhin Wanderungsbewegungen innerhalb Europas geben. Menschenrechtsverletzungen in anderen EU-Staaten lassen sich nicht mit Grenzkontrollen und Repression bekämpfen. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen und PRO ASYL werden sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass Flüchtlinge, die in anderen europäischen Ländern kein faires Verfahren und keine Gewährleistung menschenwürdiger Lebensbedingungen erwarten können, in Deutschland Schutz erhalten und nicht abgeschoben werden.“

„Europas Asyldebatte – Wie Abschottungspolitik in der Praxis aussieht“ von David Ruch am 28. Juni 2018 bei t-online externer Link erinnert zum eigentlichen Gegenstand „Libyen“ der reaktionären Offensive an neulich noch allseits Bekanntes: „Bei der Frage nach dem Standort solcher Schutzzonen ist immer wieder von Libyen die Rede. Erst Anfang der Woche schlug EU-Haushaltskommissar Günter Oettinger das Land als Partner in der Frage vor. Milliarden könnten in die Unterbringung von Menschen in „abgeschlossenen Dörfern“ mit guten Bedingungen investiert werden, sagte er. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker Libyen als Hölle für Flüchtlinge bezeichnet hat, das Auswärtige Amt von „KZ-ähnlichen Verhältnissen“ in privaten Migrantenlagern sprach. Verdeckt arbeitende Reporter des US-Nachrichtensenders CNN fanden Beweise für moderne Sklaverei. Sie filmten Menschenhändler, die Migranten auf Sklavenmärkten wie Vieh verscherbelten. In Libyen Schutzzonen für Flüchtlinge einzurichten sei „absolut keine gute Idee“, sagte die Menschenrechtsexpertin Joana Daniel-Wrabetz der Zeitung „Standard“ aus Wien. Das Land sei „nicht in der Lage, Migranten zurückzunehmen“. Die Sicherheitslage sei katastrophal. Tatsächlich herrscht sieben Jahre nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi noch immer Chaos im Land. Zwei Regierungen und unzählige Milizen kämpfen um die Macht…“.

„Ich war selbst an Seenotrettungen beteiligt – Glaubt nicht diesen 6 Lügen der Rechten“ am 28. Juni 2018 beim Volksverpetzer externer Link zu den Behauptungen von Seehofer&Co, hier eben über Libyen: „BEHAUPTUNG 1: DIE NGO SCHIFFE MACHEN SICH DER SCHLEPPEREI MITSCHULDIG. Nein, dies ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Oftmals ist die libysche Küstenwache selbst in das Schleppergeschäft verwickelt. Die NGO Schiffe sind darum bemüht, nach dem Retten der Flüchtlinge und dem Bergen der Leichen die Boote zu versenken oder zu zerstören, damit sie nicht weiter verwendet werden können. Mehrfach kam es vor, dass dies jedoch nicht möglich war, da die Libysche Küstenwache oder die sogenannten Engine Fisher das mit Waffengewalt verhindert haben. Wir haben Angst vor denen und legen uns nicht mehr mit diesen Leuten an. Zu oft wurde auf uns geschossen. Hat ein mutiger Kapitän das Kommando, versuchen wir diese mit unserem Schiff zu vertrieben, indem wir auf Kollisionskurs gehen…“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=134006
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