Osteuropa leergefegt – Fluch der Erwerbsmigration: Wiener Forschungsinstitut konstatiert »in Friedenszeiten beispiellosen Bevölkerungsrückgang« in Teilen der Region

unia: Ausgerechnet im Tessin: Ein Mindestlohn, den keiner braucht…„Ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung der Republik Moldau lebt im Ausland, desgleichen mindestens ein Zehntel der Ukrainer und immerhin fünf Prozent der Polen. Das sind die Zahlen, auf die das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche jetzt in einer Studie über die ökonomischen Perspektiven Ost- und Südosteuropas hingewiesen hat. Das Institut konstatiert einen »in Friedenszeiten beispiellosen Bevölkerungsrückgang«, der die in Abhängigkeit von der EU gelangten Staaten ergriffen habe. Die Autoren sprechen von einer der größten »Herausforderungen« für die mittelfristige Entwicklung der Region. Im einzelnen stellte das Institut dar, dass in Moldau und der Ukraine das Lohnniveau kaufkraftbereinigt um etwa 20 Prozent des deutschen Werts betrage. In Polen liegt es bei der Hälfte, in Tschechien, der Slowakei und Slowenien bei rund 70 Prozent. Letztere Länder haben also vom Boom der deutschen Exportwirtschaft, in die ihre eigene Industrie als Zulieferer integriert ist, durchaus profitiert. Das gilt in bestimmten Grenzen auch für ihre Lohnabhängigen…“ Artikel von Reinhard Lauterbach in der jungen Welt vom 29. März 2019 externer Link und weiter im Text:

  • Weiter im Artikel von Reinhard Lauterbach in der jungen Welt vom 29. März 2019 externer Link: „… Die Entwicklung zeigt, dass vom Standpunkt der Herkunftsländer die Anreize zur Migration – und nichts anderes ist der »visafreie Reiseverkehr« objektiv – eine durchaus zweischneidige Sache sind. Sich als Billiglohnstandort bei trotzdem relativ qualifiziertem Arbeitskräftepotential anzupreisen, wie es die Ukraine auf Konferenzen für westliche Investoren tut, hat immer auch den Effekt, dass es für jene qualifizierten Arbeitskräfte einen ständigen Anreiz darstellt wegzugehen, wenn das inländische Lohnniveau so niedrig gehalten wird, wie es ist. Inzwischen fehlen in der Ukraine neben Krankenschwestern auch Metall- und Elektrofacharbeiter. Die dortige Eisenbahn reaktiviert pensionierte Lokführer, um überhaupt noch ihren Fahrplan einhalten zu können. Insbesondere die Rentensysteme der betroffenen Länder leiden darunter. Ironie der Geschichte: Damit untergräbt die Auswärtsmigration auch vom Standpunkt der internationalen Investoren die Attraktivität der osteuropäischen Billiglohnstandorte. Denn wenn die Migration Arbeitskräfteknappheit erzeugt, tendieren die Löhne dazu, trotz allem zu steigen. Und dies lässt Kapital, das auf billige Arbeitskräfte als wesentlichstes Kriterium der Standortauswahl achtet, zunehmend in noch »günstigere« Länder ausweichen. Auf der makroökonomischen Ebene und vom Standpunkt der EU bedeutet dies, dass das Niedrighalten des örtlichen Lohnniveaus im Interesse der »Wettbewerbsfähigkeit« bei gleichzeitig offenen oder halboffenen Grenzen für Arbeitsmigranten eine Möglichkeit ist, aus den peripheren Ländern das letzte abzuschöpfen, was ihnen nach dem Zusammenbruch ihrer Industrie geblieben ist: ihr Arbeitskräftepotential. Was vom Standpunkt der einzelnen Migranten absolut plausibel ist: dorthin zu gehen, wo es bessere Bedingungen als zu Hause gibt, erweist sich vom Standpunkt der Nationalökonomien dieser Länder als fatal..“
  • Wir würden vor allem diskutieren, ob eine Nationalisierung der Löhne überhaupt noch zielführend sein kann. Ist es nicht genau das, was nur noch fatale Auswirkungen haben kann? Zumindest im globalen System kapitalistischer Lohnarbeit kann nationale Abkapslung nicht eine Lösung sein.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=146664
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