Göttingen: Liegt nicht „im Osten“ – Naziterror ist aber auch hier an der Tagesordnung

Nazis stoppen! – 12.10. Göppingen„… Bei einem plötzlichen Feuer dieser Größe mitten in der Nacht lässt sich stark von Brandstiftung ausgehen. Die Hausbewohner*innen konnten vor Ort den Geruch von Brandbeschleuniger feststellen. Die Hausgemeinschaft hat sich deshalb bewusst entschieden, Feuerwehr und Polizei zu informieren, um den Verdacht bestätigen zu lassen. Die hinzugerufenen Sachverständigen haben bei der Untersuchung der Brandstelle ebenfalls den Geruch von Brandbeschleuniger festgestellt. Die Hausbewohnerin Luca Wolf erklärt: “Wir gehen stark von rechten Täter_innen aus, da in derselben Nacht am direkt anliegenden Zentralcampus rechte Farbschmierereien und Sprühereien mit Hakenkreuzen aufgetaucht sind. Wenn es einen Zusammenhang gibt, legt das unters Hakenkreuz geschmierte “wir kommen” nahe, dass die Täter_innen sich durch den gesellschaftlichen Rechtsruck bestärkt fühlten. Dieser spiegelt sich auch in den Ergebnissen der Thüringer Landtagswahl am gestrigen Sonntag wider”. “Wir sind betroffen und wütend. Rechte Symbole und Parolen tauchen immer wieder in unserer Nachbarschaft auf und gewalttätige Übergriffe von rechts häufen sich in den letzten Jahren, auch in Göttingen. Aber Brandanschläge als Einschüchterungsversuche auf selbstverwaltete Hausprojekte kennen wir bis jetzt vor allem aus Leipzig, Frankfurt oder Berlin. Die Erfahrung zeigt, dass rechte Gewalt von Polizei und Behörden oft nicht ernst genommen wird” so die Bewohnerin weiter. Abschließend erklärt Luca Wolf: “Dieser Angriff ist nicht nur gegen unsere Hausgemeinschaft und linke, emanzipatorische Projekte im Einzelnen gerichtet, sondern auch gegen eine gesamte freie und solidarische Gesellschaft. Die Rechten belassen es nicht dabei, eine Bedrohungskulisse für Andersdenkende und nicht ihrem Weltbild entsprechende Menschen zu schaffen, sondern setzen ihre Gewaltphantasien konkret in die Tat um. Aber wir lassen uns nicht einschüchtern…“ – aus dem ersten Bericht zum Göttinger Brandanschlag „Göttingen: Brandstiftung an selbstverwaltetem Hausprojekt – Rechte Schmierereien auf Uni-Campus“ am 28. Oktober 2019 bei de.indymedia externer Link in der letzten Woche… Siehe dazu als Beispiel eine der Solidaritätserklärungen mit den Betroffenen, einen Bericht von der Kundgebung zur Solidarität und einen Beitrag der einige der diesjährigen rechten Gewalt- und Drohaktionen zusammenfasst:

  • „Rechtsextremistische Gewalt in Göttingen – eine allgegenwärtige Bedrohung“ am 01. November 2019 von Grüne Jugend Göttingen bei scharf links externer Link dokumentiert erklärt die Solidarität mit den Betroffenen und fügt hinzu: „… Ein Gymnasium wurde mit rechtsextremen Symbolen beschmiert, nachdem die Presse von dem Einbau einer All-Gender Toilette berichtete. Sticker der „Identitären Bewegung“ sind großflächig verteilt worden und immer wieder sieht man Hakenkreuze an Mauerwänden. Nach dem Wahlerfolg der AFD in Thüringen bekommen Rechtsextremist*innen offenbar Bestätigung und wollen sich nicht mehr verstecken. Diese zunehmende Präsenz ist eine konkrete Bedrohung für alle Menschen, die sich für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz einsetzen. Dabei wird das Gewaltpotential von der Politik immer wieder unterschätzt. Viele Menschen sind immer noch der Meinung, dass „linke Gewalt“ eine mindestens genauso große Bedrohung darstellt. Auch das ist Folge des Erstarkens der AFD und ihrer Rhetorik. Die Folgen des Rückenwinds der politischen Rechten waren Anfang Oktober an dem Anschlag auf die Synagoge in Halle zu beobachten. Die Gefahr, die von diesen gut vernetzten Gruppen ausgeht, ist schon längst Realität. Wir solidarisieren uns mit der betroffenen Wohngruppe und kritisieren gleichzeitig die Tatenlosigkeit der Universität, welche die Schmierereien an der SUB zu lang nicht übermalte. Außerdem rufen wir zur Kundgebung gegen rechte Gewalt der Wohngruppe am 02. November vor dem betroffenen Haus in der Goßlerstraße 17/17a auf…“
  • „Über 350 Menschen setzen starkes Zeichen gegen rechte Gewalt in Göttingen – Kundgebung nach Brandanschlag auf selbstverwaltetes Wohnprojekt“ am 04. November 2019 bei de.indymedia externer Link berichtet von der Solidaritäts-Aktion unter anderem: „… Am vergangenen Samstag, den 2. November 2019, haben sich über 350 Menschen bei der Kundgebung “Für eine solidarische Nachbarschaft – Gemeinsam gegen rechte Gewalt in Göttingen und überall!” versammelt und ein starkes Zeichen gegen rechte Gewalt in Göttingen gesetzt. Die Bewohner_innen und viele Göttinger Initiativen hatten zu der Kundgebung vor dem Haus in der Goßlerstraße aufgerufen, nachdem in der Nacht von 27. auf 28. Oktober Neonazis Feuer im Garten des selbstverwalteten Wohnprojekts gelegt und auf dem benachbarten Uni-Campus Nazi-Schmierereien hinterlassen hatten. Bewohner_in Luca Wolf erklärt: „Wir sind überwältigt von der vielfältigen Solidarität. Das zeigt uns, dass wir als Nachbarschaft gegen Naziterror in Göttingen und darüber hinaus zusammenstehen. Dieser Angriff reiht sich ein in eine Vielzahl von Angriffen auf Hausprojekte, Kneipen und Einzelpersonen in Göttingen durch Neonazis in den vergangenen Monaten. Auch wenn es dieses Mal uns getroffen hat, richtet sich jeder dieser Angriffe gegen alle, die nicht in das Weltbild von Neonazis und Rechten passen.“ Am Samstagnachmittag fanden sich viele Nachbar_innen und Göttinger_innen auf der Goßlerstraße zusammen und zeigten sich mit dem betroffenen Hausprojekt solidarisch. Neben Redebeiträgen, Musik und Solidaritätsbekundungen gab es Stände mit Siebdruck, Kuchen und Informationen von Göttinger Initiativen gegen Rechts. Benachbarte Hausprojekte und politische Gruppen klärten über Zusammenhänge der Anschläge mit dem gesellschaftlichen Erstarken rechter Ideologien und Netzwerke auf. Ebenso berichteten antirassistische Gruppen über Gewalt gegen Geflüchtete und Migrant_innen...“
  • „Eine neue Qualität der Bedrohung“ von Reimar Paul am 30. Oktober 2019 in der taz online externer Link hatte die Kontinuität zu vorherigen Nazi-Aktionen hervorgehoben: „… Bereits in der Vergangenheit hatte es mehrere mutmaßlich rechtsextrem motivierte Übergriffe gegeben – allerdings war bislang nie Feuer an einem Wohnhaus gelegt worden. Im August hatten Unbekannte Hakenkreuze auf den Gedenkstein für frühere Zwangsarbeiter der Göttinger Universitätsklinik gesprüht. Am Kulturwissenschaftlichen Zentrum fand sich die mit roter Farbe gesprühte Forderung nach Freilassung Anders Breiviks und anderer faschistischer Terroristen. Im Juli wurde, nicht weit von der Universität entfernt, ein von Linken bewohntes Haus im Göttinger Ostviertel angegriffen. „Mindestens zwei bis drei Personen“ hätten sich an der Zerstörung eines Info-Kastens vor dem Gebäude beteiligt, sagt Marianne Albers, die Sprecherin der Göttinger Wohnrauminitiative, in der sich etwa zehn Wohn- und Hausprojekte zusammengeschlossen haben. Durch eine Reihe harter Tritte und Schläge sei der Kasten aus der Verankerung gerissen, umgestoßen und dadurch zerstört worden. „Danach rannten die Angreifer geschlossen in den Eingang der Burschenschaft Germania“, so Albers. Deren Verbindungshaus liegt, nur wenige Meter entfernt, in derselben Straße wie das attackierte Gebäude. Mehrere Augenzeugen hätten den Vorfall beobachtet. Anfang des Jahres wurden nach Angaben der Wohnrauminitiative zudem bei vor zwei alternativen Wohnprojekten geparkten Fahrrädern Bremszüge zerschnitten sowie Pyrotechnik durch ein Fenster in ein Gebäude geworfen...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=156855
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